Bieler Hausbesetzer heute: «Aufstehen, wann ich will»

Nr. 21 –

Biel ist eine Hochburg alternativer Wohnprojekte. Zu Besuch im grössten besetzten Haus der Stadt, wo es die BewohnerInnen nicht stört, als «Lifestylebesetzer» bezeichnet zu werden.


«La Biu» heisst das grösste der drei besetzten Häuser von Biel. Vom Bahnhof hierhin sind es nur fünf Minuten, die Fassaden sind grossflächig mit Graffiti besprayt – und doch versprüht das Gelände den Charme eines Anwesens auf dem Lande. Das hat mit der Grösse des Doppelmehrfamilienhauses und dem stattlichen Garten zu tun, vielleicht auch mit den zahlreichen herumtollenden Hunden und den sich entspannt in der Abendsonne räkelnden Katzen.

Aurelien ist 21-jährig und sieht aus, wie man sich einen Hausbesetzer gemeinhin vorstellt: dunkle Kleider, eine mit Nieten besetzte Baseballmütze, darunter ein Irokesenschnitt, in der Hand eine Billigmarkenbierdose. «Wir versuchen, so gut es geht, uns selber zu versorgen», sagt Aurelien. Er zeigt auf die Gemüsebeete, dann geht es zum grosszügigen Gehege für die neun Hühner. «Der Hahn ist im Topf gelandet», sagt Aurelien, «den Nachbarn ging sein Krähen auf den Wecker.»

«La Biu» wurde 2007 besetzt. 2008 wollte das Berner Tiefbauamt die BesetzerInnen rauswerfen. Elf Parkplätze sollten entstehen. 300 Leute gingen auf die Strasse. Im Parlament setzten sich die Grünen und die SozialdemokratInnen geschlossen für die BesetzerInnen ein. Ein Sozialarbeiter vermittelte erfolgreich zwischen BesetzerInnen und Kanton, seither zahlen die BewohnerInnen insgesamt 600 Franken Miete im Monat – so viel hätten die Parkplätze dem Tiefbauamt eingebracht.

Aurelien lebte damals noch bei seinen Eltern im Kanton Freiburg, machte die Matura. Er kannte Leute aus der Bieler Szene und wollte seine «Lebensweise» ändern. «Hier arbeitest du für dich und nicht fürs Geld.» Er stehe auf, wann er wolle, gehe ins Bett, wann er wolle, arbeite am Haus, wenn er Lust habe. «Es gibt keinen finanziellen Druck. Das Essen holen wir bei einer Organisation ab, bei der Läden Lebensmittel abgeben, die sie nicht mehr verkaufen können.»

Von der Kulturbesetzung ...

Die Hausführung geht weiter: Im Keller ein improvisiert wirkender Konzertraum mit Bar, im Erdgeschoss das Bistro, wo immer donnerstags zum Mahl geladen wird. Dann kommen Gäste vorbei, zum Beispiel aus anderen besetzten Häusern oder von den drei Wagenplätzen Biels.

Ein in die Wand geschlagenes Loch verbindet die beiden Treppenhäuser. Es gibt mehrere Gemeinschaftsküchen, Schlafzimmer, Ateliers, Büros und einen Raum mit Hochbetten für Gäste. Letzterer ist zurzeit leer. Als vor kurzem in Biel die Anarchistische Buchmesse stattfand, seien aber fast alle Matratzen belegt gewesen. «Hier schliefen Leute aus Deutschland, aus Israel, aus Frankreich.»

In einer der Gemeinschaftsküchen steht Anna und spielt mit einem Welpen. Anna ist Künstlerin. Ihr Studium an der Kunsthochschule in Lausanne hat sie abgebrochen. «Hier kann man problemlos fast ohne Geld leben», sagt sie. Einige der zehn MitbewohnerInnen würden voll arbeiten, andere hätten Gelegenheitsjobs. «Etwas mehr als die Hälfte sind Westschweizer.» Einen hausinternen Röstigraben gebe es aber nicht. «Wir sind wie Biel – in Miniatur.» Daher auch der Name des Hauses. «La Biu, das ist ein Wortspiel. Einerseits tönt es wie ‹Biel› mit französischem Artikel, anderseits wie ‹labil›, Berndeutsch ausgesprochen». Und labil seien hier alle ein bisschen, sagt Anna und lacht.

«Ich bin politisch kaum aktiv. Ich organisiere grosse Essen oder Konzerte – keine Demos», so die Frau mit den schwarzen Dreadlocks und der dick umrahmten Brille. Auch Aurelien definiert sich nicht über Politik: «Natürlich habe ich Ideale, meine Lust, zu revoltieren, ist aber viel schwächer als früher.» Wichtig ist ihm die basisdemokratische Funktionsweise des Kollektivs, die Entscheidfindung über den Konsens. «Das hat für mich schon eine politische Komponente, aber mehr gegen innen. Es geht mir nicht darum, uns als eine Art leuchtendes Vorbild gegen aussen zu präsentieren.» Überhaupt, da sind sich Anna und Aurelien einig, gelte «La Biu» als Kulturbesetzung, während etwa das besetzte Haus der «Familie von Allmen» sich vielmehr über politische Ziele definiere.

... zum Häuserkampf

Der 33-jährige Matthias ist ein ehemaliger Bewohner der «La Biu». Mit der Zeit und nach vielen BewohnerInnenwechseln sei ihm die «Subkulturatmosphäre» der «Spassfraktion» im Haus zu dominant geworden. Der Mann mit dem verschmitzten Lächeln macht kein Hehl daraus, dass er sich etwas mehr aktivistisches Engagement der BewohnerInnen wünschen würde. An Anknüpfungspunkten würde es nicht fehlen, das wird klar, wenn Matthias über die Stadtentwicklung zu sprechen beginnt: von Spekulanten, «grössenwahnsinniger Aufwertung des Stadtzentrums» und den Kämpfen, die es zu führen gelte. «Der Kampf hängt an wenigen Personen – auch wenn dann an Partys in leer stehenden Häusern wieder 700 Leute kommen.»

Auch die BewohnerInnen von «La Biu» werden sich wohl früher oder später wieder im Häuserkampf üben müssen. Auf dem Gelände soll im Jahr 2012 der Werkhof für den Bau einer neuen Autobahn entstehen. Wenn der Bau beginnt, endet der Vertrag mit dem Tiefbauamt. Dazu Aurelien: «Bis dahin gehts noch lange.»

Der Kalender «Hot-Squats 2010» zeigt BewohnerInnen der «La Biu» und ihre Neuinterpretation bekannter Gemälde. Alle Sujets: www.labiu.ch.