Ausschaffungsinitiative: Das Schweigen der Deutschen
Das Klischee besagt: Die Deutschen sind nicht auf den Mund gefallen. Im Abstimmungskampf um die Ausschaffungsinitiative sind sie aber nicht zu hören, obwohl die Kampagne auch direkt auf sie zielt. Erklärungsversuche – und ein Exklusivbeitrag der «Titanic».
Die Deutschen: Sie sind nach den ItalienerInnen die zweitgrösste ausländische Bevölkerungsgruppe in der Schweiz. Über 260 000 Menschen, die – geht es nach der SVP und ihrer Ausschaffungsinitiative – künftig für eine Reihe von Delikten doppelt bestraft werden sollen: mit der Strafe nach Strafgesetzbuch und mit der Ausweisung.
Neben den klassischen Sündenböcken vom Balkan und aus fernen Kontinenten müssen je länger, je mehr die Deutschen den Kopf für fremdenfeindliche Projektionen hinhalten – jüngst in Form von «Detlef S.», dem fiktiven «Kinderschänder», auf Plakaten im ganzen Land zu bewundern.
In der Öffentlichkeit waren bisher kaum Stimmen zu hören von jenen, deren Kinder künftig ausgeschafft werden könnten; von jenen, die dem Buchstaben der Initiative gemäss künftig auch wegen eines Bagatelldelikts und nach Jahren im Lande verschwinden müssten. Erstaunlich still sind dabei gerade die Deutschen. Vielen von ihnen hierzulande mangelt es weder an gesellschaftlichem Status und Einfluss noch an rhetorischem Geschick, um in die Debatte eingreifen zu können und die Frage aus der anderen Sicht – aus jener der potenziell Betroffenen – zu erörtern.
Interessiert das Ganze die Deutschen gar nicht? Fühlen sie sich nicht betroffen? Oder liegt es gar an mangelnder Integration, dass sie bisher geschwiegen haben?
Die Suche nach Deutschen, die etwas dazu sagen wollen, gestaltet sich schwierig: Vanessa Matthiebe, Präsidentin des Deutschen Clubs Zürich, bittet um Verständnis, dass sie sich nicht zum Thema äussern möchte. Die Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortet. Auch die deutsche Botschaft in Bern kommentiert die Schweizer Innenpolitik offiziell nicht. Pressereferent Otto Schneider gibt zwar zunächst inhaltlich Belangloses zu Wort, selbst damit möchte er dann aber nicht zitiert werden.
Unzählige Anrufe zur Stellungnahme bleiben unbeantwortet, Mails mit Fragen dazu ignoriert. Deutsche Schriftstellerinnen, Regisseure und Professorinnen schweigen. Die Lieblingsstrategie vieler deutscher EinwanderInnen scheint das versteinerte Ausharren, das Abwarten zu sein. Bis die Gefahr vorbeigezogen ist.
Unterwürfiges Ducken und Kopfeinziehen?
«Ja, das unterwürfige Ducken und Kopfeinziehen», bestätigt eine junge Deutsche, die bereits seit sechs Jahren in Zürich lebt, «das ist die Strategie von vielen.» Die «Deutschenhetze» in den letzten paar Jahren sei sehr weit gegangen. Ein paar Müsterchen? «Deutsche spalten die Schweiz» titelte «20 minuten». Die gut ausgebildeten Nachbarn werden von Schweizer Arbeitnehmenden als gefährliche Konkurrenz gesehen. Die Deutschen schnappten uns die günstigen Wohnungen im Stadtzentrum weg, schrieben «Tages-Anzeiger» und «Blick». Es ging weiter mit dem angeblichen «Deutschen Filz an der Uni». Den Deutschen mangle es an «Integration», wird gar gemurmelt, wenn einer beim Beck ein «Kruassang» statt ein Gipfeli bestellt.
Ist es Zufall, dass diese neue Angst in der Öffentlichkeit erst hochgekocht wird, seit mittelständische SchweizerInnen ihre Arbeitsplätze gefährdet glauben? Die Italiener, Portugiesinnen und Kosovaren waren vor allem ein Problem für ArbeiterInnen; aber seit hochqualifizierte Deutsche an Universitäten, in den Medien und im Gesundheitswesen Einsitz nehmen, flüstern plötzlich auch angeblich liberale SchweizerInnen über die «teutonische Gefahr».
Die junge Frau, die mittlerweile selbst im Tram kein Wort mehr sagt, um niemanden unnötig zu einem deutschfeindlichen Kommentar anzuregen, meint: «Da stelle ich mich jetzt nicht hin und sage laut, was ich über die Schweizer Innenpolitik denke.»
Die Deutschen als regungslose Opfer, auf deren Kosten man flugs die Vorurteile all jener Schweizer, denen Deutsche bereits Wohnung, Job und die Frau weggeschnappt haben sollen, in bare Stimmzahlen ummünzen kann?
Eine löcherlose Grenze
Jens Wiese, der die Website blogwiese.ch betreibt, ist einer der wenigen Deutschen, die die Schweizer Politik öffentlich kommentieren. «Klar sind wir auch gemeint – ich kenne eigentlich kaum österreichische Detlefs», sagt er. Der IT-Berater bloggt als «Deutscher in der Schweiz» bereits seit Jahren zu hiesigen politischen Themen. Beiträge zur SVP und ihren «hübschen» Plakaten inklusive. In seinem jüngsten Beitrag nimmt er die Initiative mit einer gehörigen Portion Ironie auf die Schippe: «Wenn Boswichte wie Vergewaltiger und Kinderschänder über die Landesgrenze ‹geschafft› werden, was nach einem gehörigen Stück Arbeit klingt, dann sind sie fort, aus dem Sinn, ausser Gefahr und machen keine Arbeit mehr. Denn diese Grenze, die ist so dicht und löcherlos wie ein Stück Schweizerkäs.» Jens Wieses Fazit: «Warum nicht jede Einreise verbieten, um das Problem so noch besser an der Wurzel zu packen?»
Wiese, diesmal ernsthaft, zur WOZ: «Dass Deutsche sich nicht in die Schweizer Innenpolitik einmischen, hat mit mangelnder Mitbestimmungsmöglichkeit zu tun.» Und auch damit, dass Deutsche in der Schweiz wohl genauso oft meinungsabstinent seien wie SchweizerInnen in der Schweiz.
Kommt hinzu: Die SVP zielt zwar auf alle AusländerInnen, in der Realität dürften aber bei einer allfälligen Annahme der Initiative Deutsche als EU-BürgerInnen viel weniger betroffen sein als zum Beispiel KosovarInnen. Die bilateralen Verträge würden automatisierten und unverhältnismässigen Ausweisungen im Wege stehen.
Rechtspopulismus auch in Deutschland
Bei manchen Deutschen ist nicht einmal mangelndes Interesse Grund fürs Schweigen: Viele findens gut, dass die anderen raus sollen. In Deutschland werden zurzeit ähnliche Reden geschwungen, und zwar nicht nur von den Rechten. So blies auch SPD-Chef Sigmar Gabriel vor einem Monat ins gleiche populistische Horn: «Wer auf Dauer alle Integrationsangebote ablehnt, kann ebenso wenig in Deutschland bleiben wie vom Ausland bezahlte Hassprediger in Moscheen.» Die Deutschen in der Schweiz trauen sich aber noch nicht, das laut zu sagen – ähnlich wie angeblich liberale SchweizerInnen vor der Minarettinitiative. Anonym aber gehts flott: «Mike Schweiz» beispielsweise schreibt in einem Onlinekommentar: «Ich bin Deutscher (und somit selbst Ausländer) und lebe seit einiger Zeit in der Schweiz. Einer der Gründe, hier zu leben, ist die bessere Politik gegen Überfremdung.» Fremd ist die andere Ausländerin, die mit Kopftuch und so.
Abschaffungsinitiative: Einer spricht doch
Martin Sonneborn, Politiker und Exchefredaktor des Faktenmagazins «Titanic», kennt die Schweiz: Der Parteivorsitzende hat Anfang Jahr den Zürcher Ableger der Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, kurz Die Partei, gegründet – mit dem ehrgeizigen Ziel, künftig zwei BundesrätInnen zu stellen. In dieser Funktion tut er, was sich viele Deutsche nicht getrauen: Er mischt sich ein.
«Wenn die Schweiz ihre Ausschaffungsinitiative nicht aufgibt, wird Die Partei in Deutschland eine Abschaffungsinitiative starten – für die Schweiz. Dabei würden wir notfalls auch auf bereits existierende libysche Pläne zurückgreifen. Und das, obwohl uns Deutsche die Initiative natürlich nicht betrifft. Erstens haben die Schweizer naturgemäss einen hohen Respekt vor Besserverdienenden und Schnellersprechenden, zweitens haben die deutschen Kriminellen traditionell das beste Verhältnis zu Schweizer Banken und Behörden.
Als Kompromiss würde ich vorschlagen, die Ausschaffungsinitiative auf kriminelle Ausländer im Dienst der Fifa anzuwenden – und auf Sepp Blatter, dessen Anwälte mich gebeten haben, ihn nicht als korruptesten Menschen der Welt zu bezeichnen.»