Spitalpolitik: Spitäler im Wettbewerb: Teurer und schlechter

Nr. 47 –

Die ZugerInnen können darüber abstimmen, ob die Privatisierung des Spitals rückgängig gemacht werden soll. Basel-Stadt ist hingegen erst daran, seine Spitäler auszulagern. Die Spitallandschaft wird umgepflügt – zugunsten der privaten Anbieter.


Nervosität unter den Spitälern: In rund einem Jahr bricht ein neues Zeitalter an. Am 1. Januar 2012 soll das DRG-System Einzug halten. DRG steht für Diagnosis Related Groups – zu Deutsch «diagnosebezogene Fallgruppen». Bisher verrechneten die meisten Spitäler die getätigten Dienstleistungen: Die eine Patientin liegt zum Beispiel nach einer Blinddarmoperation vier Tage im Spital, die andere zehn, weil es Komplikationen gab – folglich verrechnet das Spital je nach Aufwand und PatientIn weniger oder mehr. Das ist mit dem DRG-System vorbei: Künftig erhält das Spital eine Pauschale für die Kosten, die ein Blinddarm in der entsprechenden Fallgruppe im Durchschnitt verursacht.

Mit dem DRG-System werden die Spitäler als Konkurrenten gegeneinander antreten müssen. Angeblich soll dieser Wettbewerb zu günstigeren und besseren Behandlungen führen. In der Realität beginnt damit aber auch bei den Spitälern die Jagd nach den guten Risiken: Junge, ansonsten gesunde BlinddarmpatientInnen sind betriebswirtschaftlich betrachtet gute PatientInnen – weil sie das Spital schnell verlassen und nicht viel kosten, womit dem Spital mehr von der Pauschale bleibt. Alte und chronisch Kranke sind hingegen schlechte PatientInnen, weil sie viel Arbeit bescheren und mehr kosten, als die Pauschale hergibt.

Eine handstreichartige Entlassung am Zuger Spital

Um im Spitalwettbewerb mithalten zu können, müssen die Krankenhäuser, die bislang noch öffentlich sind, ausgegliedert werden. Das behaupten zumindest viele Kantonsregierungen.

Die Regierung von Basel-Stadt bereitet diesen Schritt zurzeit vor. Im Kanton Zug wird aber bereits wieder andersherum diskutiert: Dort kommt am nächsten Wochenende die Spitalinitiative zur Abstimmung, die von den Grün-Alternativen und den Gewerkschaften lanciert worden ist und verlangt, dass die Privatisierung des Kantonsspitals rückgängig gemacht wird.

Zug war 1999 der erste Kanton der Schweiz, der sein Spital in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft umwandelte. Zwar besitzt der Kanton bis heute fast alle Aktien – die Politik darf sich jedoch nicht mehr in die Belange des Spitals einmischen.

Vor zwei Jahren kam es zum Eklat. Handstreichartig hatte der damalige Verwaltungsrat der Spital AG den Spitaldirektor entlassen. Der Direktor, ein ehemaliger CVP-Regierungsrat, sei allseits sehr beliebt gewesen, sagt Anna Lustenberger, die für die Alternative im Zuger Kantonsrat sitzt: «Der Verwaltungsrat hat dem Direktor damals vorgeworfen, sich zu wenig stark und schnell nach dem Markt ausgerichtet zu haben. Im Rat gab die Entlassung heftig zu reden.» Am Ende wurde aufgrund des öffentlichen Drucks fast der gesamte Verwaltungsrat ausgewechselt. «Das Parlament hat sich damals benommen, als ob wir immer noch mitbestimmen könnten – wozu wir eigentlich gar nicht mehr legitimiert waren», sagt Lustenberger. Wird die Initiative angenommen, wäre das Parlament künftig wieder offiziell dazu berechtigt.

Zuger SP-Leute kritisieren die Initiative, weil sie befürchten, damit würde der Gesamtarbeitsvertrag des Spitalpersonals gefährdet. Die Gewerkschaft VPOD ist jedoch anderer Meinung, denn im Kanton Zug gilt bereits das Fallkostensystem und entfaltet – auch in Bezug auf die Löhne – unangenehme Wirkung. Bei den Lohnverhandlungen vor einem Jahr wurde zum Beispiel keine Lohnerhöhung erreicht, das Personal erhielt «aber die Zusage, dass je nach Geschäftsergebnis eine Einmalzulage an alle bezahlt werde», schreibt Annette Hug, die als Gewerkschaftssekretärin für Zug zuständig ist, im «VPOD-Magazin». «Tatsächlich kamen dann alle in den Genuss von 400 Franken», fährt Hug fort, «Personalkommission und Verbände sind sich einig, dass das kein Modell für die Zukunft ist. Der tägliche Druck, möglichst viele und gut finanzierte Fälle zu generieren, ist an sich schon eine Absurdität. Sie soll sich nicht in der Lohnpolitik niederschlagen: Je mehr Kranke, umso mehr Bonus – ist das die Logik einer neuen Gesundheitspolitik?»

In Basel wird gegen die Auslagerung vermutlich das Referendum ergriffen

Basel-Stadt will zurzeit das Universitätsspital, die psychiatrischen Kliniken und das Felix-Blatter-Spital in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft überführen. Urs Müller, Grossrat (BastA!) und Präsident der VPOD-Sektion Basel, sagt, rechtlich sei die Auslagerung nicht zwingend, auch wenn das von der Regierung behauptet werde: «Mit der neuen Spitalfinanzierung wird verlangt, dass die Spitäler eine eigene Bilanz und Erfolgsrechnung ausweisen. Das können die Spitäler aber auch als Unternehmen der kantonalen Verwaltung.» Es sei klar, dass die Spitäler eine gewisse Autonomie bräuchten, doch das könne auch ohne Auslagerung erreicht werden, sagt Müller. So wie die Vorlage ausgestaltet ist, dürfte das Parlament nur noch alle paar Jahre über ein Globalbudget der Spitäler befinden – mehr hätte es nicht zu sagen.

Die Vorlage kommt Anfang 2011 ins Parlament. Es ist zu erwarten, dass dagegen das Referendum ergriffen wird. Bereits wurde der Verein «Keine Auslagerung der öffentlichen Spitäler» gegründet.

Die Pflegeberufe werden weiter an Attraktivität verlieren

Es gibt diverse Gründe, die gegen eine Auslagerung und eine Privatisierung sprechen: Für gewöhnlich sinken die Löhne des Personals sofort, wenn es nicht mehr der Kantonsbesoldung untersteht. Sinken die Löhne, verlieren die Pflegeberufe weiter an Attraktivität, was sich fatal auswirkt. Es herrscht bereits ein gigantischer Personalmangel, pro Jahr werden heute schon 5000 Pflegefachleute weniger ausgebildet, als es brauchen würde. Die Spitäler kollabieren nur nicht, weil sie im Ausland Leute rekrutieren können. Ein Drittel des Spitalpersonals kommt bereits aus dem Ausland – dort werden diese Fachleute allerdings auch fehlen. Gleichzeitig dürften diverse Spitäler wegen der Fallkostenpauschale unter steigenden Kostendruck geraten und gezwungen sein, innert Kürze massiv zu sparen. Und das geht am einfachsten und schnellsten über die Löhne, weil die flexibel sind – ein Teufelskreis.

Mit der Einführung der Fallkostenpauschale geht zudem in schwindelerregendem Tempo ein Umbau unseres Gesundheitssystems einher, der die öffentlichen Spitäler ruiniert – und die privaten Anbieter gewinnen lässt. Das System nähert sich dem US-amerikanischen an: Es wird schlechter und teurer.

Kaiserschnitte lohnen sich für die Spitäler mehr als Normalgeburten

Dorin Ritzmann, die in Dietikon seit Jahren als Gynäkologin praktiziert, nennt als Beispiel die Geburtshilfe. Ritzmann war spezialisiert auf Hausgeburten und stolz auf ihre niedrige Kaiserschnittrate. Vor zwanzig Jahren erhielt sie von den Krankenkassen für eine Geburt etwa 1000 Franken, heute sind es noch etwas mehr als 300, unabhängig davon, wie viel Zeit eine Geburt braucht – und eine gute Geburt brauche Zeit und Geduld, sagt sie. Gleichzeitig sind die Versicherungsprämien für Geburtshilfe um das Zehnfache auf über 9000 Franken gestiegen. Sie müsste also dreissig Geburten betreuen, nur um ihre Prämien zu bezahlen. Das sei ökonomisch schlicht nicht machbar.

Zudem kam sie noch unter Beschuss des Krankenkassenverbands Santésuisse, der die ÄrztInnen disziplinieren kann, wenn sie seines Erachtens zu teuer wirtschaften. Wenn Ritzmann eine Schwangere betreut, dann kostet das insgesamt etwa 2000 Franken, weil sie auch die Geburt zu Hause verrechnet. Ihre KollegInnen, die die Schwangeren zum Gebären ins Spital schicken, verrechnen aber nur die Kosten für eine Schwangerschaftsbetreuung von etwa 1000 Franken.

Die Spitalkosten werden nicht über die Praxis verrechnet. «Ich versuchte, Santésuisse klarzumachen, dass eine Hausgeburt x-fach günstiger ist als eine Spitalgeburt. Das hat Santésuisse aber überhaupt nicht interessiert.» Da habe sie verstanden, dass sie nicht mehr ins System passe, und mit Hausgeburten ganz aufgehört.

Vor einigen Jahren boten im Kanton Zürich noch vierzehn ÄrztInnen Hausgeburten an, heute ist niemand mehr von dieser Gruppe dabei – weil es sich niemand mehr leisten kann. In den Spitälern strebt man hingegen eine immer höhere Kaiserschnittrate an. Dafür braucht es weder Zeit noch Geduld – und ein Kaiserschnitt wird mit weit über 1000 Franken entgolten. So lohnt es sich. Ein natürlicher Vorgang wird zur Operation, aus einer Gebärenden wird eine Patientin. Niemand hat etwas davon – ausser die Zusatzversicherer.