Die Welt von Basel aus gesehen: Mehr Basel, weniger Folklore

Nr. 48 –

Nein zu Blocher, Nein zur Ausschaffungsinitiative: In Basel, einer Stadt mit aussergewöhnlich hohem Ausländeranteil, sind fremdenfeindliche Positionen nicht mehrheitsfähig.


«BaZ»-Redaktor Patrick Künzle ist froh, dass jetzt, vierzehn Tage nachdem die «NZZ am Sonntag» enthüllt hatte, dass Christoph Blocher entgegen allen Beteuerungen doch bei der «Basler Zeitung» involviert ist, Ruhe herrscht. Dass die Abonnementsabbestellungen aufgehört haben, «denn das wurde existenzgefährdend» – Hunderte in zwei Tagen. Ein Fiasko in Zeiten, in denen sich selbst ein grosser Verlag über hundert neu erworbene Probeabonnements freut. Wenn etwas enthüllt werden müsse, dann bleibe das Gefühl zurück, etwas sei verheimlicht worden, sagt Künzle – «und so war es mit Christoph Blocher und der ‹BaZ›. Als die Zeitung im Februar vom konservativen ‹Weltwoche›-Financier Tito Tettamanti übernommen wurde, war man gar erfreut ob der erhaltenen Unabhängigkeit. Und auch als der ‹Weltwoche›-Journalist Markus Somm zum neuen Chef ernannt wurde, war man bereit, ihm eine Chance zu geben.» Die unterschwellige Angst: Basels einzige Tageszeitung solle wie die «Weltwoche» zum rechtsideologischen Blatt mit fremdenfeindlicher Grundhaltung gedreht werden. «Somm gewann das Vertrauen der Redaktion. Doch dann wurden alle Bedenken bestätigt mit der Enthüllung, dass Blocher ein geheim gehaltenes Beratermandat bei der ‹BaZ› hat.»

Was dann folgte, schlug die «BaZ»-Investoren in sieben Tagen in die Flucht: 18 000 unterzeichneten eine Internetpetition für eine unabhängige Zeitung, Hunderte kündigten ihre Abonnements. Markus Somm verspielte das errungene Vertrauen, indem er sich vor den SVP-Chefideologen Blocher stellte – als sei der Mann, der wie kaum ein Zweiter in diesem Land eine radikale politische Mission verfolgt, ein Berater wie jeder andere und wie selbstverständlich kompatibel mit einer Region, die als politisch liberal und ausgeglichen gilt, die in einer Mehrheit nicht anfällig ist für Blochers politische Kernkompetenz, die Fremdenfeindlichkeit. Der «BaZ» drohte der Kollaps. Tettamanti gab auf und stiess die Zeitung ab. Blochers Mandat wurde beendet, Ersterer warf den Baslern «Fremdenfeindlichkeit» vor, Blocher sprach von einer «Hexenjagd».

Doch am Sonntag darauf stimmte Basel als einziger Kanton in der Deutschschweiz Nein zur Ausschaffungsinitiative. Das Resultat der Abstimmung zeigte in den Augen mehrerer Basler WOZ-GesprächspartnerInnen auf, «wie wenig diese beiden Milliardäre Basel verstanden haben». Die Kombination mit Blocher sei für die «BaZ» auf jeden Fall rufschädigend gewesen, sagt Redaktor Künzle. Das habe weniger damit zu tun, dass Basel links-grün regiert sei, sondern eher mit der politischen Kultur des Stadtkantons, «in der aggressive Töne und extreme Positionen die Ausnahme bilden». Die SVP habe etwa noch nie einen Regierungsrat gestellt. Die «BaZ» als Monopolblatt sei dazu verpflichtet, ausgewogen zu berichten: «Als Blochers Engagement enthüllt wurde, hat es uns die Basler Bevölkerung nicht mehr abgekauft, dass wir unabhängig bleiben, dass es keine politische Einmischung gibt – und wir selbst waren uns nicht mehr sicher», sagt Künzle.

Ein schlecht platzierter Fasnachtswitz

«Das ganze Drama um die ‹BaZ› war eine schlechte Form von Kolonialismus», sagt Thomas Kessler, Basels oberster Stadtentwickler, einst Drogenbeauftragter, dann zuständig für Integrationsfragen – in der WOZ auch schon kritisiert als Linker, der angebliche linke Tabus breche. Spricht Kessler von der «BaZ», herrscht sofort gute Stimmung. «Kürzlich wollte sich der Neu-Basler Markus Somm über den SP-Parteitag in Lausanne lustig machen. Als negatives Vergleichsbild zog er die Fasnacht bei: Der Parteitag sei wie die Fasnacht, wo man betrunken der Serviertochter unter den Rock fasse. Dabei hat Somm vergessen, dass er nicht im Thurgau mit seiner Kompensationsfasnacht arbeitet, wo Prostituierte aus dem Vorarlberg in schlecht dekorierten Bars Geld verdienen, sondern in Basel eben, das stolz ist auf seine kultivierte Fasnacht. Niemand lachte über die SP, alle lachten über Somm.» Und Blocher habe wohl von seinem engen Freund, Ex-UBS-Boss Marcel Ospel, ein «etwas falsches Bild von Basel vermittelt bekommen».

Basel will also keinen Blocher, der ihm die Welt erklärt. Und Basel lehnt auch SVP-Initiativen ab, die den Graben zwischen der Schweizer und der ausländischen Bevölkerung vertiefen. Aber wie ist das ausgerechnet in Basel möglich? 49 Prozent der PrimarschülerInnen im Stadtkanton sind nicht deutscher Muttersprache, der Ausländeranteil ist enorm hoch, Basel ist von Grenzen eingezwängt, und – eigentlich ein gefundenes Fressen für die SVP-Propaganda – der Ausländeranteil unter Straftätern ist hier so hoch wie nirgendwo in der Schweiz. Thomas Kessler: «Fakten gegen Folklore, das ist das Problem der Schweiz.» Und dann sagt er: «Diese Folklore, die Abgrenzung, muss man sich zuerst einmal leisten können. Die drei Metropolen Genf, Basel, Zürich, welche den Rest des Landes finanzieren und subventionieren, stimmten am Sonntag Nein. Die subventionierten Regionen stimmten Ja. Die Metropolen sind auf Ausländer angewiesen, sie leben miteinander, das Land wiederum leistet sich – subventioniert von den weltoffenen Regionen – einen archaischen Folklorewahnsinn.» Die Abstimmungskarte sei eine Blaupause für die Wertschöpfung im Land: «Dort, wo Geld generiert wird, überwiegen die Neinstimmen, dort, wo Geld hingeschoben wird, überwiegt das Ja. Wir sind im globalen Wettbewerb exponiert. Die Schweiz steht in der Topliga. Mit Blick auf die globale Entwicklung müssten wir weitsichtig sein – stattdessen leisten wir uns den Luxus von Anachronismen.» Kessler ist überzeugt: «Ein bisschen mehr Basel und weniger Folklore würde der Schweiz guttun.»

«Eine einzige Verarsche»

Dort, wo Geld generiert werde, sei man sich etwa bewusst, dass man die Krise der letzten vier Jahren nur deshalb habe stabil überstehen können, «weil wir auf Ausländer zurückgreifen konnten», sagt Kessler. In einer ländlichen Agrargesellschaft aber, «wo der Allmendnutzen den Bürgern gehört, geht es um Verlustängste: Das Holz, das geschlagen wird, gehört den Bürgern. Je mehr Bürger, desto weniger Holz für den Einzelnen. Das ist auch der Grund, warum es etwa in Zermatt keine Einbürgerungen gibt: Die Bürger wollen das wertvolle Land nicht teilen.» Man projiziere globale Ängste etwa auf Minaretttürme, und das habe dann offensichtlich eine reinigende Wirkung. Die Ausschaffungsinitiative sei eine einzige «Verarsche» gewesen, sagt Kessler, und zwar auch deshalb, weil Blocher als Exjustizminister für das herrschende Vollzugsproblem in hohem Mass mitverantwortlich sei. Es sei wie bei den Rasern: Möglichst grosse, möglichst harte Worte, wenn es Tote gebe, «in Sachen Prävention aber stellen sich in Bern dann genau jene siebzig Parlamentarier quer, die für die Ausschaffungsinitiative gestimmt haben. Radarfallen, sagen sie, seien bloss eine Art Sondersteuer, die einzig dazu diene, dem Staat die Kasse zu füllen. Dabei muss man ja ein Gesetz übertreten, um überhaupt geblitzt zu werden.»

Tickt also Basel gar nicht anders, wie es ein städtischer Werbeslogan verspricht? Sondern steht Basel symbolisch für die Stimmung in grösseren Schweizer Städten? Davon ist Kathrin Meyer überzeugt: «Wären St. Gallen, Winterthur, Zürich, Bern Stadtkantone, sie hätten am Sonntag wie Basel-Stadt Nein zur Ausschaffungsinitiative gestimmt», sagt die Koordinatorin am Basler Zentrum für Gender Studies und HSG-Dozentin. «Es ist ein allgemeines Stadtphänomen: Je mehr Interaktion da ist, desto künstlicher erscheint die Trennung von Ausländern und Inländern.» Meyer ist überzeugt, dass der Gedanke der Rechtsstaatlichkeit in einer Stadt plausibler erscheine – «weil man mehr daran gewöhnt ist, Probleme zu lösen, statt sie zu verdrängen, statt sie auszuschaffen. Wohin soll einer, der auf dem Land nicht mehr hinpasst, wenn nicht in die Stadt?»

«Die Vorstellung ghettoartiger Quartiere ist auch aus konservativer Sicht abschreckend», sagt Meyer. Dass der Stadtkanton neben dem Nein zur Ausschaffungsinitiative Ja zur SP-Steuerinitiative stimmte, hat denn für Meyer auch weniger mit Solidarität zu tun als mit dem praktischen unguten Gefühl, für andere im grossen Stil zahlen zu müssen: «Baselland hat einen deutlich tieferen Steuersatz. Wer es sich also leisten kann oder mobil ist, der wohnt auf dem Land, konsumiert aber die Dienstleistungen der Stadt. Studien etwa sagen, dass jeder Städter den Theatereintritt eines Ländlers finanziert. Einen solchen unsolidarischen Egoismus empfinden wir Städter als höchst unfair.»


Ikea-«BaZ»? : Moritz Suters reiche Freunde

Über Nacht soll Moritz Suter Tito Tettamanti die «Basler Zeitung» abgekauft haben. Woher hat Suter die geschätzten fünfzig bis sechzig Millionen? Macht Tettamanti die Bank? Ist das Geld also gestundet? Oder hat Suter auf die Schnelle einen Geldgeber gefunden?

Klar ist: In Suters Umfeld wimmelt es nur so von Leuten, welche die «BaZ» aus der Portokasse bezahlen könnten. Suter sitzt etwa im Verwaltungsrat der rumänischen Fluggesellschaft Carpatair. Dort sitzen auch Rechtsanwalt Georg Wiederkehr, ein alter Bekannter Suters, sowie Johannes Stenberg. Was Stenberg und Wiederkehr vereint: Sie arbeiten für Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, dessen Vermögen auf mindestens 35 Milliarden Franken geschätzt wird. Kamprad soll mit Suter nicht nur geschäftlich verbunden sein.

Schwerreich ist auch Reedereibesitzer Victor Restis: Dem Griechen gehören Anteile der Lambrakis Press SA, Herausgeberin mehrerer Zeitungen und Magazine wie etwa der renommierten Tageszeitung «To Vima» («The Tribune»). Die Basel-Connection: Restis präsidiert den Verwaltungsrat der Reederei Swiss Marine Services mit Hauptsitz auf den Bahamas. Seit März 2010 sitzt auch Felix Suter in diesem Verwaltungsrat. Felix ist der Sohn von Moritz – er fädelte den Verkauf zwischen Tettamanti und seinem Vater ein. Auch Felix hat schwerreiche Freunde: Seine Frau Stefania leitet den Rechtsdienst der Zürcher Luxusairline Cat Aviation, die der Pilotin Helene Niedhart gehört. Sie ist die Frau des Liechtensteiner Patrons und Cat-Group-Chefs Alfons Niedhart, der ebenfalls problemlos Millionen zur Verfügung stellen kann.

Auch in Basel sind Vater und Sohn Suter bestens vernetzt: Marcel Ospel ist ein guter Freund des Vaters. Klar ist: Tettamanti ist raus. Der WOZ teilt er schriftlich mit: «Die ‹BaZ› ist nicht mehr mein Problem. Ein Geschäftsmann ist nicht an Religionskriegen interessiert.»