46. Solothurner Filmtage: «Den Schweizer Film gibt es nicht»

Nr. 3 –

Drei Generationen, drei Blickwinkel: Die WOZ hat im Vorfeld der 46. Solothurner Filmtage zum Gespräch über den Schweizer Film geladen. Wo steht er? Woher kommt er, und wohin geht er? Ivo Kummer, Alexander J. Seiler und Barbara Kulcsar suchen gemeinsam nach Antworten.


Am Erscheinungstag dieser WOZ beginnen die 46. Solothurner Filmtage. Sie gelten als Werkschau des Schweizer Films und sind als solche ein Spiegelbild des hiesigen Filmschaffens. Dieses Schaffen sei immer weniger politisch und subversiv, sagt Alexander J. Seiler, der 1966 die Filmtage mitgegründet hat. Zugleich ist er überzeugt, dass sich das wieder ändern wird. Der 82-jährige Filmemacher ging in den letzten Jahren kaum noch nach Solothurn, «zu offiziell und offiziös» sei ihm der «Event» geworden. Dieses Jahr besucht Seiler die Filmtage wieder – sein jüngster Dokumentarfilm «Geysir und Goliath» über den Bildhauer und Fotografen Karl Geiser wird im Programm gezeigt.

Schon lange mit den Filmtagen verbunden ist auch Ivo Kummer, Jahrgang 1959 und gebürtiger Solothurner. Seit 1984 ist Kummer, der auch in der Filmproduktion tätig ist, Mitglied der Geschäftsleitung, seit 1989 Direktor der Solothurner Filmtage. Für ihn stellen sie einen «Schmelztiegel zwischen Film, Kultur, Politik und Wirtschaft» dar, der auch seiner langen Geschichte wegen viel Anerkennung geniesst. Das zeigen etwa die traditionellen Besuche von BundesrätInnen, vor allem aber das grosse Publikumsinteresse – letztes Jahr zählten die Filmtage über 53 000 ZuschauerInnen. Für die Zukunft des Schweizer Films wünscht sich Ivo Kummer mehr Mut und bessere Drehbücher.

Im Programm der Filmtage läuft auch der Spielfilm «Zu zweit» von Barbara Kulcsar. Für die 39-jährige Zürcher Regisseurin mit ungarischen Wurzeln waren die Filmtage noch zu Studienzeiten eine eher lästige Pflichtübung, in den letzten Jahren besuchte sie Solothurn jedoch immer lieber. Sie treffe dort viele KollegInnen und Leute aus der Branche und tausche sich mit ihnen aus. Solothurn war zudem der Ort, wo sie die alten Schweizer Filme sehen konnte. «Für mein Bild des Schweizer Filmschaffens hat das viel gebracht», sagt Kulcsar, die neben weiteren Kinofilmen auch gerne einmal eine Serie entwickeln und schreiben würde.

WOZ: Ivo Kummer, Sie bezeichnen die Solothurner Filmtage als «Werkschau des Schweizer Films». Was verbirgt sich für Sie hinter dem Begriff Schweizer Film?

Ivo Kummer: Den Schweizer Film gibt es nicht. Genauso wie es den deutschen oder den französischen Film nicht gibt. Was aber typisch ist für das Filmschaffen in der Schweiz, im Gegensatz etwa zu unseren Nachbarländern, ist die Vielfalt der Sprachen. Durch Filme aus der Romandie, dem Tessin und dem rätoromanischsprachigen Bündnerland ist auch das Lateinische vorhanden. Diese Vielfalt ist zentral und wichtig. Schliesslich steckt in vielen Filmen aus der Schweiz diese Uhrmachermentalität: das präzise und minuziöse Schaffen, die sorgfältige Umsetzung. Hervorheben möchte ich den Schweizer Dokumentarfilm, der international einen sehr guten Ruf geniesst, weil er oft in die Tiefe geht und nur selten als Reportage aufgemacht ist.

Alexander J. Seiler: Die Vielfalt ist zentral, nicht nur sprachlich. Aber ich muss gestehen, dass ich schon seit einigen Jahren nicht mehr das Bedürfnis hatte, nach Solothurn zu gehen. Es ist mir zu sehr zu einem Event geworden, zu offiziell – mit den eingeladenen Bundesräten und Sponsoren. Die Kunst ganz allgemein und der Film im Speziellen sind für mich etwas Subversives, und genau das fehlt mir in Solothurn. Als wir vor 46 Jahren die Solothurner Filmtage gründeten, war es genau umgekehrt. Wir wollten Filme gegen den alten Schweizer Film machen, Wirklichkeit zeigen statt bemalte Fassaden.

Barbara Kulcsar: Ich habe diesen Wandel auch bemerkt. Die Filme in den neunziger Jahren haben noch mehr Befindlichkeiten aufgespürt. Durch die Art, wie die Filmförderung derzeit funktioniert, müssen die Filme zunehmend Plots aufweisen, und am besten spielt gleich auch noch dieser oder jener Star mit. Die Filme werden dadurch glamouröser – und damit auch die Solothurner Filmtage.

Alexander Seiler vermisst das Politische und Subversive am aktuellen Schweizer Filmschaffen. Teilen Sie diese Kritik, Ivo Kummer?

Kummer: Die Filmtage sind ein Spiegel der Schweizer Produktion. Die Entpolitisierung der Gesellschaft, die in den letzten Jahren spürbar geworden ist, die Debattierunlust, oder auch die fehlende Auseinandersetzung mit dem Thema Stadt, all das drückt sich in Solothurn aus: durch die Filme, die eingereicht werden. Wir lechzen nach politischen und subversiven Filmen und versuchen diese auch im Sinne einer Gegenöffentlichkeit zu zeigen: Im aktuellen Programm sind mit «Cleveland vs. Wall Street» von Jean-Stéphane Bron oder «Silberwald» von Christine Repond, der von rechtsextremen Jugendlichen handelt, durchaus politische Filme in Solothurn zu sehen.

Seiler: Die Frage ist, was man unter einem politischen Film versteht. Ich finde den aktuellen Film von Barbara Kulcsar, «Zu zweit», einen politischen Film – obschon er überhaupt nicht politisch ist. Es ist ein Film, der genau ist in der Wiedergabe der Realität von gewöhnlichen Leuten, die versuchen, ihr Leben in die Hand zu kriegen. «Zu zweit» ist so etwas wie das gelungene Gegenstück zum «Sennentuntschi» von Michael Steiner.

Barbara Kulcsar, sind Sie ein politischer Mensch?

Kulcsar: Ja. Meine Eltern sind 1956 aus Ungarn in die Schweiz gekommen. Seit es mich gibt, weiss ich, dass es verschiedene politische Systeme gibt. 1988, kurz vor der Wende, bin ich noch als Teenager fast jeden Freitagabend mit dem Nachtzug nach Budapest gefahren und am Sonntagabend wieder zurück. Ich hatte einen Kollegen, der konnte Blankotickets organisieren. Damals wurde der Zielort noch mit Kugelschreiber ausgefüllt, und so war es ein Leichtes, «Budapest» reinzuschreiben und loszufahren. Die Wende hat mich stark geprägt – die politische Energie dieser Zeit.

Seiler: Deine Wochenendausflüge nach Budapest erinnern mich an den tschechoslowakischen Filmfrühling in den späten sechziger Jahren, den ich persönlich miterlebt habe. Durch den politischen Druck waren die Filmemacher gezwungen, sich auf das sogenannt Private zurückzuziehen. Diesen Rückzug haben sie so genau und wahrhaftig dargestellt, dass er politisch geworden ist. Die Filme waren wahr im Beschreiben der menschlichen Beziehungen und haben sich durchgesetzt. In Prag hat der Filmfrühling stattgefunden, der politische hingegen ist gescheitert.

Wie viel Geld hat «Zu zweit» eigentlich gekostet?

Kulcsar: «Zu zweit» ist schon fast ein No-Budget-Film. Er hat gesamthaft 60 000 Franken gekostet. Das Problem ist, dass man nicht dauernd solche Filme drehen kann. Die Crew und die Schauspieler werden nicht jedes Mal auf ihren Lohn verzichten. Und auch ich als Regisseurin muss irgendwie über die Runden kommen.

Kummer: Ich finde es wichtig, dass beides möglich ist: Ein Unterhaltungsfilm wie «Sennentuntschi», der beim Publikum eben doch gut ankommt, und ein Film wie «Zu zweit» – im Sinne einer guten Koexistenz von verschiedenen Filmen. Wenn man eine Geschichte erzählen kann und will, dann soll man das können.

Kulcsar: Diese Koexistenz gibt es ja auch in unseren Nachbarländern. In Frankreich werden Blockbuster-Thriller mit Jean Reno ebenso gedreht wie reine Dialogfilme für ein Fünftel des Budgets.

Kummer: Wichtig scheint mir, dass der Erfolg eines Films nicht ausschliesslich kommerziell gemessen wird, sondern auch künstlerisch, zum Beispiel wenn er Erfolge an Festivals feiert. Peter Liechti hat mit «The Sound of Insects» einen wunderbaren Dokumentarfilm realisiert, der den europäischen Filmpreis gewonnen hat, und doch ist sein Publikumserfolg in der Schweiz bescheiden.

In jüngster Zeit hat in der Schweiz eine Politisierung der Kunst- und Kulturszene stattgefunden. Im Filmbereich ist diese Tendenz bisher kaum spürbar.

Kummer: Jean-Luc Godard hat einmal gesagt: Ein Film wird dann politisch, wenn er in Kontakt zum Publikum tritt.

Sobald ein Film eine gesellschaftliche Relevanz erhält, ist er also politisch?

Kummer: Ja, das sehe ich so.

Seiler: Das ist eine schöne akademische Definition. Aber als Regisseur schreibst und drehst du doch keinen Film für das Publikum. Entweder findet der Film sein Publikum, oder er findet es nicht. Ein genauer, richtiger und wahrer Film findet sein Publikum, ein öder Film nicht.

Kulcsar: Ich finde den Anspruch, dass ein Film immer politisch sein soll, nicht sinnvoll. Es darf auch poetische Filme geben. Wichtig ist, dass eine Haltung zum Ausdruck kommt.

Seiler: Das ist ein wichtiges Wort, Haltung.

Kummer: Haltung und das Authentische.

Seiler: Es gibt ja auch eine durchaus erfreuliche Entwicklung: Mit Herrn Nicolas Bideau, der bis vor kurzem Leiter der Sektion Film war, und seinen Vorgesetzten, die ja durchs Band eingefleischte Neoliberale sind oder waren, haben wir den offiziellen Versuch erlebt, den Schweizer Film zu einem Allerweltsfilm zu machen. Das ist zum Glück gescheitert. Ich glaube und hoffe, es kommt nun wieder etwas vom Subversiven ins Filmemachen zurück.

Kummer: Die Form der Filmpolitik wird sich ändern. Es herrschen momentan teilweise wirklich absurde Zustände, und das Vertrauen der Filmschaffenden in die Filmpolitik hat gelitten. Mittlerweile ist aber durchaus von beiden Seiten eine Bereitschaft vorhanden, sich wieder an den Tisch zu setzen und Gespräche zu führen, Lösungen zu suchen.

Ivo Kummer, in Ihrer letztjährigen Eröffnungsrede der Solothurner Filmtage haben Sie sich mehr Mut und Lebenslust für den Schweizer Spielfilm gewünscht. Woran fehlt es?

Kummer: Ein grosses Problem ist unterdessen, dass nicht genug in Drehbücher und in die Produktionsvorbereitung investiert wird. An diesem Punkt sollten die Förderprogramme unbedingt ansetzen. Es fehlt momentan schlicht an Potenzial bei der Autorenschaft. Das ist nicht verwunderlich, wenn sie von ihrer Arbeit nicht leben können. Die Umsetzung solcher Förderprogramme ist eine technische und praktische Frage, es braucht Strukturen dafür. Sonst gehen die Autoren weg – in andere Berufe oder ins Ausland.

Seiler: Zu den Drehbüchern möchte ich anmerken, dass in der Schweiz fast schon ein Kult um das Drehbuch entstanden ist. Auch aus einem perfekten Drehbuch kann ein schlechter Film entstehen. Umgekehrt gibt es von Charlie Chaplin bis Jean-Luc Godard, von Alain Tanner bis Barbara Kulcsar wunderbare Filme, die ohne ein eigentliches Drehbuch entstanden sind.

Kummer: Ich muss dir beipflichten. Als Produzent habe ich selbst erlebt, wie Drehbücher erst ins Script Consulting, dann ins Script Doctoring und schliesslich noch ins Script Rewriting gingen, und am Ende waren die Luft und die Lust draussen. Das Drehbuch trägt keine Handsch rift mehr, das Authentische geht verloren.

Kulcsar: Wenn ich mir Arbeiten von heutigen Filmstudenten anschaue, so habe ich den Eindruck, dass es einfach eine gewisse Zeit braucht, ehe man herausfindet, was man Eigenes erzählen will. Ist man jung, stehen oft Vorbilder im Vordergrund, deren Filme man kopieren will. Das war bei uns nicht anders. Man ist dann oft nicht ehrlich genug zu seinen Figuren und weniger offen für spannende Geschichten. Facebook ist nicht ohne Grund so erfolgreich. Es erlaubt den Menschen, sich selbst in den Mittelpunkt zu rücken, sich zu positionieren und zu verkaufen. Dieses Muster ist schlicht uninteressant. Um an wirklich spannende Geschichten zu kommen, müssen wir uns zurücknehmen können.

Seiler: Ich erinnere mich an eine Podiumsdiskussion in Solothurn vor etwa zehn Jahren. Ich sagte, ich hätte das Gefühl, das Filmemachen sei immer schwieriger geworden. Ein Kollege filmte mich während der Diskussion mit einer Videokamera und meinte lachend: «Das stimmt doch nicht, sieh doch, wie leicht das geht.» Da antwortete ich: «Eben, weil es so leicht geworden ist, ist es so schwierig.»

Alexander Seiler, Sie haben 1995 anlässlich der 30. Solothurner Filmtage eine Rede geschrieben, in der Sie drei Fragen formuliert hatten. Fragen, die Ihrer Ansicht nach für Solothurn und das Schweizer Filmschaffen aktuell und wichtig waren: «Wollen oder müssen wir auch dann Filme machen, wenn wir nichts oder doch nichts Eigenes zu sagen haben?» «Wollen wir noch mehr Filme produzieren – oder weniger, aber bessere?» und «Wollen wir mit den ‹Majors› einen aussichtslosen Kampf um Marktbruchteile führen oder uns mit eigenen und eigenständigen Filmen konsequent auf ein anderes, kleines, aber feines und noch weitgehend unerschlossenes Marktsegment konzentrieren?»

Welche Fragen sind heute wichtig?

Seiler: Ach, lassen Sie doch diese alte Geschichte bleiben.

Kulcsar: Ich finde die Fragen immer noch ziemlich aktuell.

Seiler: Wenn gerade Sie das sagen, freut mich das.

Kummer: Fast könnte man sagen, Sie seien mit Ihren Fragen auf der Linie von Nicolas Bideau (lacht). Der wollte auch weniger Filme, aber bessere, zumindest solche, die sich besser verkaufen.

Seiler: Das ist jetzt also eine ganz bösartige Unterstellung. Der grundlegende Irrtum von Bideau war sein Wahn, es sei Aufgabe der Filmförderung, «den» Schweizer Film herzustellen. Einen künstlerisch wertvollen wie auch international erfolgreichen Schweizer Film. Das ist ein Hirngespinst. Eine Filmförderung kann nur die Voraussetzungen schaffen, dass etwas möglichst Vielfältiges entsteht.

Kummer: Das ist eine der Hauptfragen in Zukunft. Das Zusammenspiel zwischen der Filmpolitik und der Filmbranche muss wieder funktionieren. Die staatliche Stelle sollte ein Dienstleister sein und – möglichst optimale – Rahmenbedingungen bieten, um das Kreative freizusetzen, um möglichst viele Filme zu realisieren.

Möglichst viele?

Kummer: Finde ich schon. Für mich hat es nicht zu viele. Natürlich gibt es Filme, die abstürzen und dann nicht einmal in Solothurn laufen. Es geht doch auch darum, Erfahrungen zu sammeln. Und dank der digitalen Technik hat eine Demokratisierung stattgefunden, man kann heute ohne viel Geld Erfahrungen sammeln.

Seiler: Mir fällt gerade auf, dass wir nur über den Schweizer Film reden und gar nicht über die Solothurner Filmtage.

Kummer: Solothurn ist der Schweizer Film.

Was bedeuten die Solothurner Filmtage eigentlich für Sie, Barbara Kulcsar?

Kulcsar: Ich bin in den letzten Jahren immer lieber nach Solothurn gegangen. Als Filmstudentin war Solothurn ein Pflichtbesuch, und so habe ich das auch empfunden. Mit meinen Kollegen und Kolleginnen haben wir damals, Mitte der neunziger Jahre, praktisch nur alte Filme geschaut und uns für das aktuelle Geschehen überhaupt nicht interessiert. Wahrscheinlich, weil wir niemanden gekannt haben, der dort war. Die Kontakte zur Schweizer Filmwelt waren noch nicht geknüpft. Und dann war da diese typische Arroganz von Anfang zwanzig. Für uns gab es nur Cannes oder Locarno (lacht). Eine Zeit lang war ich dann gar nicht mehr in Solothurn. Seit ein paar Jahren gehe ich wieder hin, und zwar gerne. Ich treffe dort meine Kollegen. Es ist eine soziale Geschichte, und ich finde das gut.

Seiler: Das war auch in den sechziger und siebziger Jahren so, man ist nach Solothurn gegangen, um seine Kollegen zu treffen.

Kulcsar: Etwas Tolles und Spannendes an Solothurn finde ich übrigens die Kategorie «Sounds & Stories», die Schweizer Musikclips zeigt. Gerade aus der Videoclip-Szene heraus ist zuletzt sehr viel entstanden. Nicht unbedingt inhaltlich, aber visuell. In den USA sind in den letzten Jahren die spannendsten Filme von ehemaligen Videoclip-Regisseuren entstanden. Was die machen, ist super interessant.

Seiler: Was ich in Solothurn als älteres Semester zunehmend als mühsam empfand, war der Kampf um die Plätze in den Kinos.

Kummer: Sie waren wirklich schon länger nicht mehr in Solothurn, mittlerweile haben Sie für die Abendvorstellungen Ihren fixen Platz. Und wir sind Ihnen noch in einem weiteren Punkt entgegengekommen: Ihre seit langem gewünschte Reduktion des Programms hat stattgefunden. Es werden dieses Jahr zehn Prozent weniger Filmminuten gezeigt, obwohl rund 35 Stunden oder 120 Filme mehr angemeldet wurden gegenüber dem Vorjahr. Es geht mit kleinen Schritten vorwärts.





Ivo Kummer

Der 51-jährige Solothurner Ivo Kummer studierte in Freiburg Germanistik und Journalistik und schrieb seit Ende der siebziger Jahre als freier Mitarbeiter für Zeitungen, Radio und Fernsehen. 1984 erhielt er an der Universität Freiburg sein Diplom in der Fachrichtung Film und Fernsehen. Im selben Jahr ist er Mitglied der Geschäftsleitung der Solothurner Filmtage geworden, seit 1989 steht er den Filmtagen als Direktor vor.

Ivo Kummer ist neben seiner Tätigkeit für die Solothurner Filmtage auch als Film- und Fernsehproduzent sowie als Regisseur tätig. Sein jüngster Dokumentarfilm «The Prison and the Priest», das Porträt über einen St. Galler Benediktiner und dessen Arbeit in Kenia, war 2009 in Solothurn zu sehen. Dieses Jahr soll ein Porträt des Solothurner Künstlers Pavel Schmidt erscheinen.

Alexander J. Seiler

Der 82-jährige Alexander J. Seiler hat nach seinem Studium der Literatur, Philosophie und Soziologie in den fünfziger Jahre zunächst als Journalist gearbeitet, schrieb anschliessend seine theaterwissenschaftliche Dissertation in Wien und widmete sich ab den sechziger Jahren dem Filmemachen. Der gebürtige Zürcher gilt als einer der Gründerväter des neuen Schweizer Films und war 1966 massgeblich an der Gründung der Solothurner Filmtage beteiligt. Zu Seilers bekanntesten Werken zählt der Dokumentarfilm «Siamo italiani» (1964) über das Leben italienischer Arbeiter in der Schweiz. Seiler war und ist auch filmpolitisch und publizistisch vielfältig tätig. Lesenswert ist der Textsammelband «Daneben geschrieben 1958–2007» (Hier + jetzt, 2008).

Seilers jüngster Dokumentarfilm «Geysir und Goliath», ein Porträt des Bildhauers Karl Geiser (siehe WOZ Nr. 46/10), läuft in Solothurn am Mittwoch, 26. Januar, um 12 Uhr im Landhaus.

Barbara Kulcsar

Die 39-jährige Barbara Kulcsar ist die Tochter eines ungarischen Paares, das 1956 in die Schweiz flüchtete. In den neunziger Jahren studierte sie in Budapest Schauspiel, dann in Barcelona Philologie und schliesslich Soziologie und Filmwissenschaften in Zürich. 1994 wechselte Kulcsar an die Zürcher Hochschule für Gestaltung. Seit 2000 arbeitet sie als freischaffende Autorin und Regisseurin. Ihr zehnminütiger Abschlussfilm «Blush» (1999) wurde an unzähligen Festivals gezeigt und war in Solothurn als bester Kurzfilm nominiert. Auch ihr zweiter Kurzfilm «Sunntig» wurde 2003 an den Filmtagen aufgeführt. Ihren bisher grössten Erfolg feierte die Regisseurin mit ihrem Spielfilmdebüt «Zu zweit», das letztes Jahr den Zürcher Filmpreis gewann und seit Anfang 2011 in Deutschschweizer Kinos läuft.

«Zu zweit» wird in Solothurn am Sonntag, 23. Januar, ab 14.30 Uhr im Landhaus sowie am Dienstag, 25. Januar, ab 21 Uhr im Kino Canva Club gezeigt. Die Regisseurin nimmt überdies am Mittwoch, 26. Januar, um 16 Uhr im Stadttheater am Podiums- gespräch «Reden über Film II: Starke Gefühle im Schweizer Kino» teil.

Zum Programm der Filmtage : Gestrafft, aber vielfältig

Im Vergleich zu den letzten Jahren haben die 46. Solothurner Filmtage, die am kommenden Donnerstag mit der Aufführung der beiden prämierten Filme enden, programmlich abgespeckt. Es werden weniger Filme gezeigt, dafür können viele nicht nur einmal, sondern neu zweimal aufgeführt werden. Trotz dieser Straffung bleibt das Programm ungemein vielfältig.

Das Hauptgefäss der Filmtage, das «Forum Schweiz», zeigt während einer Woche insgesamt über 200 Spiel-, Dokumentar-, Experimental- und Animationsfilme sowie Musikclips von Schweizer FilmemacherInnen. Ins Rennen um den zweithöchsten Filmpreis der Schweiz, den «Prix de Soleure» (60 000 Franken), steigen insgesamt zehn Filme, darunter der im Gespräch auf dieser Doppelseite erwähnte Dokumentarfilm «Cleveland vs. Wall Street» von Jean-Stéphane Bron. Weitere dreizehn Filme sind für den «Prix du Public» (20 000 Franken) nominiert, unter anderem «Silberwald» von Christine Repond.

Das Spezialprogramm «Rencontre» widmet sich der international bekannten Schweizer Filmproduzentin Ruth Waldburger, die seit den siebziger Jahren mit so namhaften Regisseuren wie Jean-Luc Godard oder Robert Frank zusammengearbeitet hat. Die Retrospektive umfasst fünfzehn Filme, die Waldburger zwischen 1978 und 2007 produziert hat.

Im europäischen Panorama «Passages» werden elf aktuelle Spiel- und Dokumentarfilme aus dem europäischen Alpenraum gezeigt. Hinzu kommen filmhistorische Sonderprogramme. Etwa die «Schweizer Filmexperimente 1962–1974 – Die wahren Toren des Schweizer Films» mit Werken unter anderem von Fredi Murer, Reto A. Savoldelli und Renzo Schraner auf neu restaurierten 16-mm-Kopien. Oder das «Jubiläum: 40 Jahre Trickfilmwettbewerb».

Reichhaltig ist auch das Rahmenprogramm mit Podiumsdiskussionen und Informationsveranstaltungen rund um das Schweizer Filmschaffen. Nach dem Rücktritt von Nicolas Bideau als Leiter der Sektion Film im Bundesamt für Kultur, dessen Nachfolge noch offen ist, und aufgrund der nach wie vor unklaren Situation im Bereich der Filmförderung steht auch in Solothurn die Filmpolitik im Fokus der Branche und der Öffentlichkeit. Spannend dürften in diesem Zusammenhang die «Brancheninformation des Bundesamtes für Kultur» am Freitagnachmittag, 21. Januar, und die Podiumsdiskussion «Filmförderkonzepte 2012–2015» am Montagmittag, 24. Januar, sein.

Weitere Informationen: www.solothurnerfilmtage.ch