Durch den Monat mit Filmemacherin Anna Luif (Teil 4): Sollen die Geschlechterrollen aufgelöst werden?

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Anna Luif begeistert sich neben dem Filmschaffen auch für Musik, freut sich über einen neuen Umgang von weiblichen Popstars mit der Sexualität und rechnet mit dem Konzept
der Kleinfamilie ab.

Anna Luif: «In einem Buch mit den hundert besten Regisseuren der bisherigen Filmgeschichte kommen vielleicht fünf Frauen vor.»

WOZ: Neben dem Filmen und Drehbuchschreiben haben Sie immer auch Musik gemacht. In den neunziger Jahren spielten Sie bei der All-girl-Band Rosebud, danach bei der Zürcher Indie-Band Niece. Mittlerweile leben Sie in Berlin. Haben Sie dort auch eine Band?
Anna Luif: Niece gibt es weiterhin, aber auf Sparflamme. Als ich noch in Zürich lebte, haben Beat Cadruvi und ich einmal im Monat zusammen Aufnahmen gemacht. Das ist seit meinem Umzug nach Berlin natürlich nicht mehr möglich. Momentan möchte ich etwas Neues beginnen, mit Musikern aus Berlin.

In welche Richtung soll das gehen?
Ich habe vor ein paar Jahren mehrere Songs geschrieben. Als ich richtig starken Liebeskummer hatte und das Einzige, was ich tun konnte, um nicht zu sterben, Musikmachen war. Ich spiele Gitarre und singe, es sind also Singer-Songwriter-Songs – irgendwo zwischen Leslie Feist und KT Tunstall, nur natürlich nicht in deren Liga (lacht). Ich kann mir aber auch gut vorstellen, wieder in eine richtige Band einzusteigen.

Welche Musik hören Sie momentan?
Zu Hause höre ich am liebsten Jazz oder Soul, Musik der vierziger, fünfziger, sechziger und siebziger Jahre. Meine letzten Konzertbesuche waren Stevie Wonder, Janelle Monáe und Lady Gaga. Von der Musik her war Stevie Wonder der Höhepunkt. Was mir an den beiden Frauen aber gefällt, ist die Interpretation ihrer Sexualität. Sie überschreiten Rollenmuster, entsexualisieren sich. Gerade Janelle Monáe ist eine unglaublich hübsche Frau, und doch verkauft sie sich kein bisschen über ihre Sexyness. Darüber freue ich mich, weil ich das nicht ausstehen kann.

Was können Sie nicht ausstehen?
Sich als Frau über die sogenannt weiblichen Attribute definieren zu lassen. Der Fokus sollte auf das Menschliche ausgerichtet sein, auf das Verbindende zwischen Mann und Frau. Ich finde in dieser Hinsicht viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede: die Seele, wie wir traurig sind, wie wir lachen.

Die Geschlechterrollen sollen aufgelöst werden?
Ja, aber nicht biologisch, sondern wirtschaftlich gesehen. Ein natürliches Subjektsein gibt es für Frauen noch immer nicht. Was heute als natürlich oder normal gilt, ist geprägt von einem zutiefst männlichen Blick auf die Gesellschaft. Wie man eine Frau beurteilt, den Sex, die Liebe oder die Arbeit. Auch das Kino ist ein typisches Beispiel für diesen männlichen Blick: In einem Buch mit den hundert besten Regisseuren der bisherigen Filmgeschichte kommen vielleicht fünf Frauen vor. Ich bin mir aber sicher, dass dieser Blick dabei ist, sich zu ändern.

Suchen Sie in Ihren Filmen bewusst einen weiblichen Blick, quasi als politischer Akt?
Nein, ich setze mich nicht hin und schreibe bewusst ein «weibliches» Drehbuch. Das passiert automatisch und intuitiv.

Glauben Sie an die grosse Liebe?
Ich glaube an das Liebespaar. Daran, dass sich zwei Menschen finden und eine sehr schöne Zeit miteinander verbringen können. Aber ich glaube nicht an die ewige Liebe, die ein ganzes Leben andauert. Ich habe auch Mühe mit dem Konzept der klassischen Kleinfamilie: Vater, Mutter und ein bis zwei Kinder. Ich halte das für eine schwierige Konstellation, weil das Kind in einer so engen Bindung emotional rasch überfrachtet wird. Ich möchte sehr bald ein Kind haben und wünsche mir, dass es unter möglichst vielen Menschen aufwächst.

In einer Art Kommune?
Wieso nicht? Natürlich soll das Kind ein Mami und einen Papi haben, aber eben auch eine Gotte, die 21-jährig ist, und deren Freund. Und vielleicht hat das Mami einen neuen Freund und der Papi eine neue Freundin, aber trotzdem begleiten sie das Kind gemeinsam. Vermutlich ist das eine Utopie. Ich habe auch noch keine Ahnung, wie ich diese Ideen umsetzen soll. Mal sehen, was in Berlin noch möglich ist, mit all den guten Leuten um mich herum. Aber vielleicht bin ich da auch total naiv …

In der Pressemappe zu «Madly in Love» schreiben Sie, dass Sie ab Ihrem elften Lebensjahr, nachdem sich Ihre Eltern getrennt hatten, abwechselnd jeweils ein Jahr bei Ihrer Mutter und dann bei Ihrem Vater gelebt haben. Wie ist es dazu gekommen?
Wir wissen heute alle nicht mehr genau, wie es zu diesem doch etwas fragwürdigen Entscheid kam. Ich glaube, wir wollten eine gerechte Lösung für alle finden. Ausserdem haben meine Schwester und ich uns damals oft gestritten. Eigentlich seit sie auf die Welt kam und mich entthront hat (lacht). Im Grunde genommen gab es in meiner Jugend eine Zweisamkeit mit dem einen Elternteil, aber kein wirkliches Familiengefühl.

Wie kommen Sie heute mit Ihrer Familie aus?
Ich habe sie immer lieber. Es ist alles ein wenig mühsam, rührselig, lebendig und schwierig, aber auch sehr lustig. Als Kind war das nicht immer einfach, auch wenn du dich nicht als Opfer begreifst, sondern stark sein willst. Heute kann ich meine Familie geniessen.

Was kommt als Nächstes? Ein Film? Eine CD? Eine Kommune in Berlin?
Ich arbeite mit verschiedenen Autorinnen und Autoren an drei Drehbüchern, nehme Gitarrenstunden und geniesse seit einem Monat das Leben als Single.