Atomkraft in Afrika: Strahlende Werbesendungen aus Wien

Nr. 13 –

Afrikanische Staaten träumen nicht vom Ausstieg, sondern vom Einstieg in die Atomkraft: Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die Internationale Atomenergieagentur. Sie rührt kräftig die Werbetrommel.

Nigerias bislang einziger Atomreaktor steht in der Universität von Saria im Norden des Landes. Die Versuchsanlage hat eine Leistung von gerade mal dreissig Kilowatt. Doch wenn es nach dem Willen der Regierung des bevölkerungsreichsten afrikanischen Staates geht, werden ihm bald grosse Atomkraftwerke folgen.

«Nigeria hat mit einem Nuklearenergieprogramm begonnen», kündigte Nigerias Wissenschaftsminister Mohammed Abubakar beim Gipfeltreffen der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) im September an. Seine Regierung bezwecke damit «die Selbstversorgung des Landes mit Energie». Wenige Wochen später vereinbarten Russlands Aussenminister Sergej Lawrow und sein nigerianischer Amtskollege Odein Ajumogobia ein Abkommen, demzufolge Russland die nötigen Reaktoren liefert. «Was die Sicherheit angeht, haben wir keine Bedenken: Wir halten uns an alle internationalen Abkommen», so Ajumogobia.

Dass sich Ajumogobias Meinung nach dem Reaktorunglück von Fukushima geändert hat, ist unwahrscheinlich. Breiter Widerstand gegen die Atompläne ist in Nigeria, wo in diesen Tagen gewählt wird, nicht auszumachen.

«Verlässliche Grundversorgung»

Dabei gäbe es Grund genug, an der Verlässlichkeit der nigerianischen Kraftwerksbetreiber zu zweifeln, mit einer so riskanten Technologie wie der Atomkraft umzugehen. Wegen ständiger Pannen in den oft trocken liegenden Wasserkraftwerken oder den wenigen Gaskraftwerken im Land haben die 155 Millionen NigerianerInnen im Durchschnitt nur zwei Stunden Strom am Tag. Oft wird auch der einzigen Raffinerie Nigerias der Strom abgestellt, was Diesel knapp werden lässt, der für die zahllosen Generatoren im Land gebraucht wird. Pläne der Regierung, die Stromversorgung sicherzustellen, scheitern regelmässig auch daran, dass innerhalb von Ministerien und Staatskonzernen Millionensummen verschwinden. «Bis jetzt zahlen wir für die Korruption im Land nur mit Stromausfällen», warnt Olorundare Aworowa, einer der wenigen lautstarken Atomkraftgegner im Land. «Hätten wir Atomkraftwerke, würden wir bei einem Störfall mit Menschenleben zahlen müssen.»

Die in Wien ansässige IAEA scheinen solche Zweifel nicht zu plagen. Schliesslich wurde die Sonderorganisation der Vereinten Nationen 1957 mit dem Ziel gegründet, die friedliche und sichere Nutzung der Atomenergie zu fördern. Bis die Reaktoren in Fukushima ausser Kontrolle gerieten, rührten IAEA-Chef Yukiya Amano und sein Vorgänger Mohammed El-Baradei deshalb kräftig die Werbetrommel – nicht nur in Nigeria. Insgesamt sechzig Länder sollen in den vergangenen Jahren Interesse am Bau von Atomkraftwerken bekundet haben, unter ihnen viele afrikanische Länder. Das einzige Atomkraftwerk auf dem Kontinent steht in der Nähe von Kapstadt in Südafrika.

«Der Wind weht nicht immer, die Sonne scheint nicht immer, aber Nuklearenergie liefert eine verlässliche Grundversorgung», wirbt die IAEA-Expertin Anne Starz. Seit Fukushima hat die Behörde ihre MitarbeiterInnen zwar zum Schweigen verpflichtet – angeblich sind selbst Afrika-ExpertInnen zu sehr mit den Vorgängen im japanischen Reaktor beschäftigt. Doch die früheren Aussagen lassen sich nicht widerrufen.

Auch die wenigen Unternehmen, die heute noch Atomkraftwerke bauen, beschwören die sogenannte «Renaissance der Atomkraft». Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ist seit seinem Amtsantritt oberster Botschafter französischer Nukleartechnik. 2007 etwa schloss Sarkozy eine erste Rahmenvereinbarung mit Libyens damals noch hofiertem Machthaber Muammar al-Gaddafi. Kooperationsverträge zugunsten des staatlich kontrollierten Konzerns Areva vereinbarte Sarkozy zudem mit Marokko, Algerien und Saudi-Arabien. Auch in Jordanien, im Jemen und in Tunesien soll Areva in Sachen Atomkraft vorstellig geworden sein.

Klumpenrisiko

Ein undemokratisches Regime galt nie als Hinderungsgrund, um ein Atomgeschäft anzubahnen. Es ging schliesslich um viel Geld. Auf mindestens sieben Milliarden Franken Baukosten veranschlagen ExpertInnen die Kosten für einen neuen Atommeiler. Nicht nur Frankreich, auch Russland, Korea und China kämpfen um solch lukrative Aufträge, ebenso Konzerne aus den USA und Japan. Der Markt ist klein: Seit 2005 wurde mit dem Bau von gerade einmal 32 Anlagen begonnen, von denen 20 in China und 6 in Südkorea stehen sollen. Neben dem energiehungrigen China, das vor allem staatseigene Firmen mit dem Bau neuer Meiler beauftragt, gelten Entwicklungsländer als Zukunftsmarkt.

Dabei ist der Nutzen der Atomkraft für die Entwicklung armer Länder selbst unter AtomkraftbefürworterInnen umstritten. Die IAEA räumt ein: «Wenn man sofort Strom braucht, hilft Atomenergie nicht – man geht zudem eine sehr langfristige Verpflichtung ein.» Die Kosten sind ausserdem so hoch, dass viele AtomkraftanwärterInnen bisher nach Ausschreibungen vom Bau abgesehen haben. Oft wäre nur schon das Klumpenrisiko zu hoch, weil das Stromnetz zu sehr von einem einzigen Kraftwerk abhängen würde. Ein 1000-Megawatt-Atommeiler, wie ihn der Chef von Nigerias Atomenergiekommission, Erepamop Osaisai, propagiert, könnte allein deshalb ein skurriler Wunschtraum bleiben. Denn derzeit werden in Nigeria nur geschätzte 4000 Megawatt produziert – wenn nicht gerade ein grösseres Kraftwerk ausgefallen ist.