­Mobil in Afrika: Ein Handy für alles

Nr. 24 –

Handys hat Afrika ja schon eine Weile, nun kommt die Handysoftware. Überall auf dem Kontinent gründen junge SoftwareentwicklerInnen Start-ups und bringen ganze Wirtschaftszweige in Gang. Allmählich werden westliche InvestorInnen aufmerksam.


Die Landschaft ist atemberaubend. 4000 Meter hoch ragen die Vulkangipfel in den Himmel, an den Hängen wuchert der Regenwald. Wasserfälle stürzen zu Tal, Hochmoore dampfen über Bambushainen. Es ist dieser Anblick, für den John Wang’ombe Bauer wurde, für den er hierher zog an den Fuss der Aberdares-Berge, weit weg von der kenianischen Hauptstadt Nairobi, weit weg von seinem alten Leben als Buchhalter. Leider auch weit weg von den Märkten, auf denen er sein Gemüse verkauft.

Wie alle hier war er angewiesen auf die ZwischenhändlerInnen und ihre schlechten Ankaufspreise. Bis drei Frauen in sein Dorf kamen und behaupteten, sie könnten die ZwischenhändlerInnen entmachten. Ganz einfach, nur mit einem Handy. «Wir haben ziemlich gestaunt», erinnert sich Wang’ombe. M-Farm heisst das System, bei dem in der Testphase bereits tausend BäuerInnen per SMS abfragen, was ihre Ware gerade wert ist. Knapp zehn Rappen kostet eine Nachricht. Siebzig Prozent der Einnahmen kassiert der Provider Safaricom, dreissig Prozent bekommt M-Farm.

Beispielloses Wachstum

Hinter M-Farm stehen drei junge Frauen, die gerade ihr Informatikstudium abgeschlossen haben und schon ihr erstes Start-up aufbauen. Ihre Firma liegt im vierten Stock des sogenannten iHub, einem gesichtslosen Neubau in der Hauptstadt Nairobi. Der iHub ist der derzeit wohl wichtigste Treffpunkt für die IT-Szene des afrikanischen Kontinents. Auf 400 Quadratmetern diskutieren Tekkies ihre Projekte oder hacken in die Tasten. Ausländische InvestorInnen, VertreterInnen der Weltbank und von Konzernen wie Nokia und Google gehen ein und aus. Längst hat sich herumgesprochen, dass auf dem Kontinent die IT-Start-ups nur so aus dem Boden schiessen: Auf ein beispielloses Wachstum der Mobiltelefonie in Afrika folgt jetzt der Boom der SoftwareentwicklerInnen.

In Kenia treffen die InvestorInnen auf junge Talente wie die Frauen von M-Farm. Schon mit vierzehn schaute Susaneve Oguya ihren Cousins beim Informatikstudium über die Schulter und wusste gleich: Das mache ich auch. Jamila Abass dagegen wollte eigentlich in Marokko Medizin studieren. Dort angekommen, erfuhr sie allerdings, dass ihr Stipendium für jedes Fach galt – ausser Medizin. Sie entschied sich schliesslich für Informatik. Heute ist sie die Geschäftsführerin von M-Farm.

Wie M-Farm entwickeln fast alle im iHub Anwendungen für Handys. Das Mobilfunknetz ist in den strukturschwachen Weiten Afrikas die einzige flächendeckende Infrastruktur; selbst für die Ärmsten ist das Handy Zahlungsmittel, Informationsquelle und Kommunikationsmedium. In den neunziger Jahren gab es in Afrika eine halbe Million Handys, heute sind es über 400 Millionen – und ein nächster Entwicklungssprung steht bevor: 2009 verband nur ein einziges Unterseekabel Afrika südlich der Sahara mit den Datennetzen der Welt, mittlerweile sind es sieben, und bald werden es ein Dutzend sein. Nach Prognosen von ExpertInnen wird das Internet in Afrika vor allem über Handys und andere mobile Geräte genutzt werden. Innerhalb von zehn Jahren werde das mobile Breitband die Massen erreichen, heisst es bei der Beratungsfirma McKinsey.

«In Afrika entsteht gerade eine Industrie, und wir wollen dabei sein», sagt Thomas Trüb, zuständig für neue Märkte beim Schweizer Medienhaus Ringier, das hier bis Ende des Jahres ein Dutzend Webportale aufziehen will. Die wohl grösste Investorin aber ist die Weltbank. 400 000 US-Dollar kostet allein ihr App-Testlabor, das unter dem iHub entsteht. «Mobile Apps sind hier sehr viel dynamischer als im Rest der Welt», sagt Tim Kelly von der Weltbank-Agentur infoDev. «Auf diesem Markt gibt es für sie keinen Ersatz.»

Gestärkte Kaufkraft dank Handy

Kellys Agentur zählt M-Farm zu den fünfzig besten Kleinunternehmen, die derzeit in Entwicklungs- und Schwellenländern mobile Technologien entwickeln. Dabei beliefert kaum eines der afrikanischen Unternehmen die Appstores der Smartphones von Apple, Blackberry oder Android, die zusammen nur über einen Marktanteil von rund zwei Prozent verfügen. «Ein iPhone ist ziemlich nutzlos für jemanden, der kaum lesen kann und von zwei Dollar am Tag lebt», sagt Ken Banks, der das Nachrichtensystem FrontlineSMS entwickelt hat: Anrufen und SMS verschicken, mehr können die in Afrika üblichen Billighandys nicht. Doch den afrikanischen EntwicklerInnen genügt das. Ihre Anwendungen werden eben per SMS bedient, das macht die Programme, die auf dem Server laufen, nicht weniger anspruchsvoll.

Die Marktpreise auf dem M-Farm-Server trägt ein Team von zwanzig BeobachterInnen aus zehn Städten zusammen. Sobald dort frische Ware eintrifft und die Preise feststehen, schicken sie die Information an den Server. Falls zwei BeobachterInnen für einen Markt verschiedene Preise melden, sorgt das M-Farm-System dafür, dass der Widerspruch telefonisch aufgeklärt wird.

Ein zweiter Dienst von M-Farm ist gerade angelaufen, eine Art Co-Shopping-Portal. 3750 Schilling – umgerechnet 35 Franken – würde John Wang’ombe normalerweise für einen Sack Dünger bezahlen. Jetzt schliesst er sich über M-Farm mit anderen BäuerInnen zusammen. «Weil wir eine grosse Menge kaufen konnten, habe ich nur 3200 Schilling bezahlt», sagt er. Eine lukrative Option für die fünf Millionen kenianischen BäuerInnen, von denen viele am Existenzminimum leben.

Überall auf dem Kontinent entstehen solche Anwendungen, so verschieden wie ihre MacherInnen. Es gibt Sozialentrepreneure wie den südafrikanischen IT-Unternehmer Gustav Praekelt, der sich mit Mobilfunkanbietern zusammengetan hat, um per Handy über Aids und Tuberkulose aufzuklären. Und es gibt den jungen nigerianischen Autodidakten, der einen SMS-Staumelder für die chronisch verstopfte Wirtschaftsmetropole Lagos entwickelt hat.

Erfolgreicher Geldtransfer

Die erfolgreichste App für Handys in Afrika ist jedoch M-Pesa, ein Geldtransfersystem, das 2007 für Safaricom entwickelt wurde. Wenn John Wang’ombe seiner Schwester Beth die Schulgebühren für ihre Kinder überweisen will, dann geht er zu Safaricom. Deren HändlerInnen gibt es überall – im Gegensatz zu Bankfilialen. Sie wandeln Bargeld in Handyguthaben um, die per SMS übertragen werden können. Der oder die EmpfängerIn bekommt das Geld bar ausgezahlt. In Ländern, wo kaum jedeR Vierte ein Bankkonto besitzt, ist so ein System eine Revolution. Während Handybezahlsysteme in Europa nicht aus den Startlöchern kommen, ist Kenia durch M-Pesa zu einem führenden Zentrum für das mobile Geld geworden. Ständig tauchen neue Produkte auf, mit Namen wie Kopo Kopo, PesaPal oder Moca. M-Pesa selbst expandiert mittlerweile bis nach Afghanistan und Indien.

Trotzdem sieht der Zukunftsforscher Jasper Grosskurth, Autor des Buchs «Futures of Technology in Africa», die Entwicklung nicht nur positiv: «Es besteht die Gefahr einer Schuldenspirale», sagt er. «Europäer geben nur ein Prozent ihres Einkommens für mobile Kommunikation aus, Afrikaner mehr als siebzehn Prozent.» Und dabei ist das mobile Internet hier noch gar nicht richtig angekommen.