Martin Büsser: «Music Is My Boyfriend»: Der Provinz-Punk liest Adorno
Eine postum veröffentlichte Textsammlung zeigt Martin Büssers unbestechlichen und leidenschaftlichen Blick auf die Popkultur – und darüber hinaus.
Im letzten Herbst starb der Musikjournalist, Verleger, Lektor, Zeichner und regelmässige WOZ-Autor Martin Büsser im Alter von erst 42 Jahren. Seine CD-Tipps fehlen genauso wie seine intelligenten Essays und seine bissigen Kommentare (die deutsche Band Wir sind Helden nannte er einmal «das als Pop weiterwuchernde Geschwür des rot-grünen Kuschel-Nationalismus»).
Die nun erschienene Textsammlung «Music Is My Boyfriend» zeigt, wie vielfältig Büssers Arbeit allein über Musik war. Die 250 Seiten versammeln nur einen kleinen Teil seines Werks, mehrheitlich Zeitungs- und Magazinartikel und einige Beiträge aus Sammelbänden. Texte aus seinen eigenen Büchern fehlen fast vollständig. Aber der von Büsser mitgegründete Ventil-Verlag wird hoffentlich dafür sorgen, dass Büssers Bücher noch lange erhältlich bleiben, während viele der verstreuten Artikel aus «Konkret», «Jungle World» oder der Zürcher «Fabrikzeitung» ohne diesen Band nicht mehr zugänglich wären.
Adorno immer mit dabei
Büsser verleugnete seine Vergangenheit als linker Provinz-Punk nie: Lebenslang behielt er die Überzeugung, dass Kultur nicht nur Spass machen, sondern im Idealfall auch Anstoss für politisches Handeln sein konnte. Mit gut zwanzig Jahren begann er für das deutsche Punk- und Hardcore-Magazin «Zap» zu schreiben – und hielt sich dabei von Anfang an nicht an Szenekonventionen: Zu den vier «Zap»-Texten im Sammelband gehört ein Nachruf auf den Avantgardekomponisten John Cage. Um ihn den LeserInnen näherzubringen, hob Büsser Cages Sympathien für anarchistische Ideen hervor. Im gleichen Artikel zitierte er den Philosophen Theodor W. Adorno – auch nicht gerade üblich in Punkkreisen.
Der Bezug auf Adorno zieht sich durch das ganze Buch. Obwohl der 1969 verstorbene Philosoph Pop und Jazz hasste, fand Büsser in Adornos Kritik an der Kulturindustrie ein nützliches Instrument für das Nachdenken über Pop – und überhaupt, war Büsser überzeugt, wäre Adornos Urteil anders ausgefallen, wenn dieser den Saxofonisten John Coltrane oder das Spätwerk der Beatles noch kennengelernt hätte. Von Adorno beeinflusst war sein Blick auf die «Materialästhetik» von Musik, auf Inhalte, die über die Ebene der Texte hinausgehen. «Mainstream als neue Dissidenz zu feiern», wie es unter PoptheoretikerInnen in den neunziger Jahren Mode wurde, blieb ihm fremd. Er schrieb keine Essays über die subversive Kraft von Madonna oder Michael Jackson, sondern hielt an der Idee einer fortschrittlichen Ästhetik fest. Die von ihm mitgegründete Buchreihe «Testcard» stehe für «einen anderen Kanon», einen, «dem posthistorische Beliebigkeit auf die Nerven geht. Es ist nicht autoritär, sondern reine Menschenliebe, Pere Ubu vor Mick Jagger und Palais Schaumburg vor Fleetwood Mac oder Die Goldenen Zitronen vor Herb Alpert zu stellen.»
Leidenschaft und Ernsthaftigkeit waren für Büsser kein Grund, den Humor zu verlieren. Das zeigen seine ironischen Texte über Phil Collins (den «Schutzengel der westlichen Welt»), Bärte in der Rockmusik oder Sexfeindlichkeit im Punk. Einmal erinnert er sich auch an den Tag, an dem er einem noch kaum bekannten Sänger namens Kurt Cobain Grüsse von einer Sängerin namens Courtney Love ausrichtete – er hatte beide kurz nacheinander interviewt.
Ist der Hip-Hop schuld?
Manchmal stossen kulturkritische Theorien auch an Grenzen. So im Text «Zu zart für diese Welt», den Büsser 2008 für die «Fabrikzeitung» schrieb. Thema: die sogenannten Emos – androgyne, schwarz gekleidete Jugendliche mit Hang «zum Tagtraum, zum Grübeln und Schwelgen», die in verschiedenen Ländern Opfer von homophoben Attacken wurden. Büssers Verteidigung der Emos ist löblich, doch seine Erklärung für die Emo-Phobie greift zu kurz: «Dass den Emos ihre Verträumtheit inzwischen von Gleichaltrigen geneidet wird, hat mit einem veränderten Selbstverständnis von Jugendkultur zu tun: Coolness wird nicht mehr mit Verweigerung, sondern mit männlichen ‹Tugenden› wie Disziplinierung, Durchsetzungsvermögen und Leistungsbereitschaft gleichgesetzt – zwei Jahrzehnte Hiphop-Battles sei Dank!» Kein Zweifel, dass die Mainstreamjugendkultur reaktionärer geworden ist. Aber dafür sind wohl eher die immer brutaleren ökonomischen Konkurrenzkämpfe verantwortlich als der Hip-Hop.
Wenn es um die Musikindustrie geht, beschreibt Büsser gerade solche Konkurrenzkämpfe kenntnisreich und genau. Mehrere der neusten Texte des Sammelbands handeln von den «Umwälzungen auf dem Tonträgermarkt» und ihren Einfluss auf den Musikjournalismus: «Ich kenne fast kein Magazin mehr, das Tonträger von Labels rezensiert, die nicht als potenzielle Anzeigenkunden in Frage kommen.» «Musik ohne Lobby» sei «aus den Magazinen in die endlosen Weiten von MySpace verbannt worden». Grund zum Pessimismus sah Büsser deswegen nicht: «All das hat nichts mit Niedergang zu tun, schon gar nichts mit dem Ende von guter Musik – davon gibt es im Gegenteil mehr denn je! (...) Am Kuchen verdienen lediglich viel mehr Personen viel weniger als in den Jahrzehnten der Überschaubarkeit.»
Martin Büsser gehörte zu den wenigen MusikjournalistInnen, die informellen Sektor nach spannender Musik suchten und darüber schrieben. Eine ungeheure Arbeit, aber seine Leidenschaft war gross genug.
Martin Büsser: Music Is My Boyfriend. Texte 19902010. Ventil Verlag. Mainz 2011. 256 Seiten. Fr. 21.90