Durch den Monat mit Bea Schwager (Teil 5): Was gilt als Kriterium für eine «Scheinehe»?

Nr. 39 –

Seit Januar dieses Jahres können Menschen ohne geregelten 
Aufenthalt in der Schweiz nicht mehr heiraten. 
Bea Schwager berichtet, wie es zum Eheverbot für Sans-Papiers kam 
und wie die einzelnen Kantone mit dem Verbot umgehen.

Bea Schwager: «Mit einer als ‹Missbrauchsbekämpfung› verpackten Motion wurde letztlich ein Grundrecht ausgehebelt.»

WOZ: Frau Schwager, letzte Woche sagten Sie, eine linke Migrationspolitik müsse von einer Welt als Ganzem ausgehen, das heisst: sich international vernetzen. Ist die Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich über die Schweiz hinaus vernetzt?
Bea Schwager: Die Spaz ist Mitglied in der «Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants», kurz Picum. Das ist ein europaweites Netzwerk mit Sitz in Brüssel, das sich als Koordinationsstelle von Organisationen und Einzelpersonen versteht, die mit Sans-Papiers arbeiten. Die Picum leistet in ers­ter Linie Lobbyarbeit in den Gremien der EU. Sie stossen Debatten an und betreiben Kampagnenarbeit.

Mindestens einmal jährlich veranstaltet sie Konferenzen, an denen ich wenn immer möglich teilnehme. Diese Treffen geben wichtige Impulse für die politische Arbeit, auch hier in der Schweiz.

Seit Anfang des Jahres können in der Schweiz Menschen, die keinen geregelten Aufenthaltsstatus haben, nicht mehr heiraten. Was bedeutet das für Sans-Papiers?
Dass ihnen ein grundlegendes und in der Verfassung verankertes Recht abgesprochen wird. Das Gesetz betrifft einen grossen Teil der Bevölkerung, weil ja auch die jeweiligen Partner und Partnerinnen in Mitleidenschaft gezogen werden.

Interessant – wenn man das so sagen kann – ist, wie das Verbot zustande kam: Begonnen hatte es mit einer Motion von Toni Brunner im Nationalrat unter dem Titel «Bekämpfung der Scheinehen». Als die Motion in den Räten diskutiert wurde, wurde immer wieder betont, das Gesetz dürfe nicht auf ein grundsätzliches Eheverbot für Sans-Papiers hinauslaufen. Gar die damalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf vertrat diese Position. Als das Gesetz dann ausformuliert wurde, hiess es aber genau das: Eine Person, die keinen geregelten Aufenthaltsstatus hat, kann nicht heiraten. Mit einer als «Missbrauchsbekämpfung» verpackten Motion wurde letztlich also ein Grundrecht ausgehebelt. Immerhin gibt es in der Weisung vom Bundesamt für Migration zu diesem Gesetz eine «kann»-Formulierung, die es den kantonalen Migrationsämtern erlaubt, im Hinblick eines Ehevorbereitungsverfahrens eine Aufenthaltsbewilligung auszustellen.

Die Kantone könnten Sans-Papiers das Heiraten also nach wie vor erlauben?
Laut Gesetz, ja – wenn offensichtlich keine sogenannte Scheinehe vorliegt und wenn die Voraussetzungen für einen Familiennachzug nach der Heirat erfüllt sind, kann das kantonale Migrationsamt eine Aufenthaltsbewilligung erteilen. Das bedeutet: Die Partnerin oder der Partner muss zum Beispiel einen Schweizer Pass oder die Niederlassungsbewilligung haben und darf beispielsweise nicht von der Sozialhilfe abhängig sein.

Nun ist die Praxis der Kantone aber sehr unterschiedlich. Genf nutzte die Möglichkeit von Anfang an: Dort werden Ad-hoc-Aufenthaltsbewilligungen für die Ehevorbereitung ausgestellt. Auch die Waadt und Basel-Stadt nutzen die Möglichkeit. Zürich hingegen null. Hier sind auch keinerlei Ausnahmen vorgesehen. Bern war anfangs genauso restriktiv, änderte aber seine Praxis, nachdem ein Paar vor das kantonale Verwaltungsgericht zog und recht bekam.

Wie werden sogenannte Scheinehen «nachgewiesen» – doch nicht mit einem Liebes­barometer?
Als Indizien gelten laut Bundesamt für Migration unter anderem: ein grosser Altersunterschied, «namentlich deutlich höheres Alter der Frau», wie es schreibt, oder wenn der/die «Anwesenheitsberechtigte» einer sozialen Randgruppe angehört. Ist der Verdacht da, gilt es, diesen durch Beantwortung eines Fragebogens auszuräumen. Die Fragen lauten etwa: «Wie und wo haben Sie sich kennengelernt?», «Wer hat zuerst von Heirat gesprochen?» und so weiter. Interessant ist ja, dass es solche Fragen nur im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsstatus gibt – Zweckehen, bei denen es ums Erbe oder sonstige finanzielle Vorteile geht, scheinen den Staat nicht zu interessieren.

Diesen Samstag (1.10.2011) findet in Bern eine landes­weite Demonstration für die Rechte der Sans-Papiers statt – zehn Jahre nachdem Sans-Papiers in der Schweiz zum ersten Mal an die Öffentlichkeit traten. Wie hat sich die Bewegung seither verändert?
Anfangs war die Bewegung noch stärker von Sans-Papiers getragen. Die Hoffnung auf eine kollektive Regularisierung beflügelte die Leute damals. Umso grösser war dann die Enttäuschung, als klar wurde, dass sich so bald keine solche Regularisierung abzeichnet. Über die Jahre wurde die Hoffnung vieler Sans-Papiers weiter zermürbt. Doch gibt es nach wie vor ein paar Unentwegte, die trotz der widrigen Umstände dranbleiben und weiterkämpfen. Vor allem in der Romandie sind auch heute noch viele Sans-Papiers aktiv. In der Westschweiz ist es um einiges einfacher, an die Öffentlichkeit zu treten, als in der Deutschschweiz, weil dort die Empathie für die Anliegen der Sans-Papiers grösser ist als hier. Die Romands sind sehr gut organisiert, sie werden bestimmt wieder einen grossen Teil der Demo ausmachen.

Bea Schwager (50) leitet seit August 2005 die Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich (Spaz).