Fussball und Gewalt: Debatten statt Fussfesseln
Nach den Ausschreitungen am Zürcher Fussballderby von Anfang Oktober ringen Männer um Rezepte, der Gewalt Herr zu werden. Ein Staatsanwalt schreckt dabei auch vor dubiosen Sicherheitsleuten nicht zurück.
«Wir zeigen den Querulanten, wozu wir fähig sind», schreibt einer. Er freue sich auf «viele, schöne Schlachten», ein anderer. Mit einem an die SS angelehnten «GruSS» unterschreibt ein weiterer, und wieder ein anderer widmet der Polizei ein «A. C. A. B.» (All cops are bastards). Zur Aufheiterung wird ein rassistischer Witz gegen FC-Basel-Fans eingestreut. Dies sind Auszüge aus dem internen Mailverkehr der Weinfelder Sicherheitsfirma Delta Security AG. Die Korrespondenz wurde Anfang September 2011 den Medien anonym zugespielt. Sie liegt auch der WOZ vor.
Im «Club» des Schweizer Fernsehens vom 11. Oktober erklärte der Aargauer Staatsanwalt Simon Burger, ihm liege das Angebot eines privaten Sicherheitsdienstes vor, künftig Fankurven in Fussballstadien zu stürmen, um gewalttätige Fans herauszupflücken. Burger kann damit nur eine Firma gemeint haben: die Delta Security AG und ihre Spezialeinheit Delta AT. Das ist eines der Diskussionsergebnisse seit dem Zürcher Fussballderby vom 2. Oktober: ein Staatsanwalt, der zur Problemlösung die Dienste einer polizeifeindlichen, rechtsextrem angehauchten und gewaltsuchenden privaten Sondereinheit empfiehlt.
Harte Linie
Die «Deltas», wie die Sicherheitsleute in Fussballkreisen genannt werden, sind unter anderem in den Stadien von Sion, St. Gallen und Zürich tätig. Sie werden auch am Donnerstag dieser Woche im Einsatz stehen, wenn der FC Zürich gegen Lazio Rom sein erstes Spiel im Letzigrund seit dem Abbruch des Stadtderbys gegen die Grasshoppers austrägt. Damals waren FCZ-Anhänger nach einer Provokation aus dem GC-Fanlager aus ihrem Sektor gestürmt, zwei von ihnen schleuderten Leuchtfackeln in die Menge der GC-Fans, auf der Gegengerade kam es zu Schlägereien. Einer der Fackelwerfer stellte sich der Polizei, nachdem der «Blick» sein Gesicht in hoher Auflösung der Öffentlichkeit präsentiert hatte. Er sitzt seither in Untersuchungshaft.
Die Aufarbeitung der jüngsten Ausschreitungen ist geprägt von Ratlosigkeit, Schuldzuweisungen, Uneinigkeit und falschen Behauptungen. FCZ-Präsident Ancillo Canepa forderte in Presse und Fernsehen, die Täter hart zu bestrafen, nicht mit lächerlichen Bussen von «zwanzig Stutz». Wie der «Blick», der sich mit der Veröffentlichung des Täterbildes als «Hilfssheriff» (NZZ) aufspielt, suggeriert Canepa damit, der Rechtsstaat versage im Zusammenhang mit gewalttätigen Fussballfans regelmässig. Das Gegenteil ist der Fall. Heute werden Fehlbare in aller Regel dreifach sanktioniert: durch das Strafgericht, mittels Hooligangesetz und vom Schweizerischen Fussballverband (SFV). Die FCZ-Fans, die 2008 im Basler St.-Jakob-Park Fackeln in die Zuschauerränge geworfen hatten, wurden zu Geldstrafen von bis zu 30 000 Franken verurteilt. Sie werden überdies mit einem Rayonverbot belegt und landen in der Datenbank Hoogan. Der SFV spricht gegen sie zudem ein mehrjähriges Stadionverbot aus. Wenn in den strafrechtlichen und den Verbandsurteilen eine Linie auszumachen ist, dann die der Härte.
Männlichkeit und Macht
Im erwähnten «Club», in dem sich einzig Buchautor Daniel Ryser um einen differenzierten Gewaltbegriff bemühte, fiel die Uneinigkeit von Staatsanwaltschaft, Polizei und Politik auf, wie es nach dem Zürcher Derby weitergehen soll. Schnellschüsse wie der Vorschlag des Zürcher Stadtrats Gerold Lauber, beim Abbrennen der ersten Fackel ein Match abzubrechen, spielen den Fans in die Hände. Sie erhalten damit die Möglichkeit, jede beliebige Partie zu jedem beliebigen Zeitpunkt für beendet zu erklären – dabei ist es doch gerade der zunehmende Einfluss der Kurven, der den Behörden ein Dorn im Auge ist. Auf den Vorschlag von Staatsanwalt Burger, private Schlägertrupps in die Kurven zu entsenden (die Idee hatte der FCZ bereits 1982, wie Klubakten belegen), reagierte Berns Polizeikommandant Stefan Blättler entgeistert. Er machte sich für schärfere Eingangskontrollen stark. Die Runde wirkte wie eine Ansammlung von Alchemisten ohne Rezept. Doch womöglich liegt genau darin der Schlüssel.
Im Schweizer Fussball wird es, ungeachtet der Sanktionen, die gegen den FCZ und gegen GC ausgesprochen werden, weitergehen wie bisher. Einerseits fehlen für einschneidende neue Massnahmen neben dem nötigen Konsens auch die nötigen Mittel. Andererseits sind Ereignisse wie jene vom 2. Oktober nicht die Regel, sondern die Ausnahme: Es gibt im Schweizer Fussball keine nachweisbare Zunahme der Gewalt. Hingegen gibt es nebst steigenden Zuschauerzahlen weitere Indizien dafür, dass der in den Vereinen eingeschlagene Weg vernünftig ist: Versuche wie jener in Bern, wo YB als Verein Extrazüge für Auswärtsspiele chartert, sind Vertrauensbeweise und Investitionen in gegenseitige Verbindlichkeit.
In einem Umfeld, wo sich Woche für Woche Hunderte junge Erwachsene meist männlichen Geschlechts versammeln, sind Rückschläge nicht zu vermeiden und ist die Forderung nach Nulltoleranz wertlos. Die Fanszenen mit ihren über Jahre gewachsenen Strukturen ganz zu zerschlagen, wie es der pensionierte Polizist Dölf Brack am Fernsehen forderte, dürfte zudem ein aufreibendes Unterfangen werden.
Vielversprechender wäre es womöglich, die Gunst der Stunde zu nutzen und statt über Fussfesseln und Eingreiftruppen über Männlichkeit und Macht in Subkulturen zu debattieren. Die Kraft einer Kurve liegt ja gerade in der Vielfalt ihrer Ausdrucksmittel. Wie stark dabei die Gewalt gewichtet werden soll, entscheiden letztlich die Fans. Zusammen mit den Sicherheitsdiensten, die man ihnen gegenüberstellt.