Franz Josef Degenhardt (1931–2011): Heftige und zarte Lieder für die unten
Kaum einer hat der deutschsprachigen Linken zwischen 1968 und 1989 eine so prägnante Stimme gegeben. Kurz vor seinem 80. Geburtstag ist der Liedermacher Franz Josef Degenhardt gestorben. Seine Lieder gegen Krieg und den Kleingeist der Mächtigen bleiben.
Mit dem Liedermacher und Literaten Franz Josef Degenhardt ist eine Generation politisch engagierter Menschen erwachsen geworden, in der deutschen Bundesrepublik vor allem, auch in der Schweiz. Eine Generation, die um ’68 herum aufbegehrte und überzeugt war von der Notwendigkeit einer Revolution. Mit ihr würde der Mief der Alten weichen und Schluss sein mit Kriegen und Unterdrückung, mit den US-amerikanischen Verbrechen in Vietnam und der griechischen Militärdiktatur, mit der Drangsalierung der «Gastarbeiter» – Schluss auch mit dem «Monopoly», dem Märchen von der Marktwirtschaft, das denen da unten bis heute weismachen will, sie könnten aufsteigen, vom Tellerwäscher nach oben.
Ein Sänger der Revolution
1931 geboren, wuchs Degenhardt im Ruhrgebiet auf, studierte Jurisprudenz und arbeitete ab 1956 als Rechtsanwalt. Erstmals als Liedermacher trat er bei den legendären Festivals auf der Burg Waldeck auf. 1965 erschien sein erstes Album, «Spiel nicht mit den Schmuddelkindern»; das Titellied wurde sprichwörtlich. 1967 nahm er mit Hanns Dieter Hüsch, Wolfgang Neuss und Dieter Süverkrüp die Platte «Da habt ihr es!» auf, auch sie war ein Erfolg.
Dann kam die Zeit, als den Konzern- und Landbesetzern, Generälen, Popen, Panzern, der bekannten Kumpanei – «immer wollen sie die Zeit aufhalten, in Hanoi und Kapstadt, Bogotá, Berlin und Quang Ngai» – mulmig wurde und sie spürten, dass ihre Macht bröckelte. Es nahte der grosse Bruch, «jener Tag, an dem wir auf den Strassen tanzen und uns wiedersehen» (Franz Josef Degenhardt: «Für Mikis Theodorakis», 1968). Da war er, Väterchen Franz, der Sänger der Revolution, die ja dann noch nicht anstand und auch nicht kommen würde.
1973 erschien sein Roman «Zündschnüre», für den er auf die Jugendzeit zurückgriff und in dem er den Widerstand gegen die Nazis beschrieb und manchen WiderstandskämpferInnen ein Denkmal setzte. Da hatten sich die meisten der ehemaligen GenossInnen schon abgesetzt – und sich auf den Marsch durch die Institutionen gemacht. Derweil standen viele Mitglieder der Parteien links von der SPD vorm Berufsverbot. Degenhardt verteidigte einige von ihnen vor Gericht und besang das neue Klima: «Vorsicht ist in unsere Träume geschlichen, die Maultrommel spieln wir nicht mehr.» Wegen seines linken Engagements war er 1971 aus der SPD ausgeschlossen worden. 1978 trat er der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bei. Er blieb in ihr bis zu seinem Tod.
Schon Anfang der Siebziger hatte er das Lied vom Kommunisten Rudi Schulte geschrieben, jener Figur, die er bis zum Ende des europäischen Sozialismus begleitete. Er muss sie geahnt haben, die bevorstehende weltpolitische Zäsur, damals im Dezember 1987, als er Schulten Rudi sterben lässt. Beerdigt kurz vor der DDR, auf die Degenhardt gesetzt hatte: «Da ist nichts grossartig, das soll es auch nicht sein, denn wo was gross ist, ist es drumherum meist klein.» Für den Sänger war die DDR, wie für recht viele Westdeutsche, eine Hoffnungsträgerin.
Pastor Klaus und Mutter Mathilde
Väterchen Franz hat danach nicht mehr so recht darüber gesungen, über die Niederlage, die auch seine war, bei Auftritten in den Neunzigern oder auf den Platten, die er noch machte. Manchmal kann abwarten klüger sein, mag er gedacht haben. Geduld gehört nicht nur zur Revolution – «lasst nicht die roten Hähne flattern, ehe der Habicht schreit» –, sondern auch zum Umgang mit der Geschichte, besonders dann, wenn die Bäume der Sieger in den Himmel zu wachsen scheinen.
Die schönsten Degenhardt-Lieder für mich sind die von der Hoffnung. Das von Pastor Klaus und Rosemarie, der Rentnerin («Lied für die ich es sing» nach Georges Brassens), von Natascha Speckenbach und Mutter Mathilde, doch vor allem der «wundersame Tango du Midi»: Der Lehrer, weggedöst über der «Humanité», «Väterchen» trinkt seinen Pastis in der Mittagshitze des französischen Orts, beobachtet, wie eine Reisegruppe aus dem Land der Täter in das Stille einfällt, darunter die strenge Frau, «ganz genau der Nazi-Witwe-Typ». Er täuscht sich. Gerade sie ist es, die so streng Wirkende, die die Rosen niederlegt für die Résistance, die Männer des Maquis, die an der Mauer erschossen wurden von den deutschen Faschisten. Väterchen trinkt – «irritiert» – noch ein Glas.
Franz Josef Degenhardt verband viel mit dem französischen Savoir vivre und mit dem Geist der Aufklärung. «Nehm wir mal an, Deutschland läge westlich vom Rhein, aber das wär viel zu schön, um wahr zu sein» – unkte er zu Zeiten der Bonner Restauration und entdeckte Georges Brassens, Zwangsarbeiter einst für die deutsche Industrie während des Faschismus, herausragender Poet und Liedermacher französischer Zunge. Degenhardts Brassens-Übertragungen («Junge Paare auf Bänken») demonstrieren diese Liebe, aber vor allem zeigen sie den Biss und Humor des herausragenden Chansonniers deutscher Zunge. Seine Lieder gegen Krieg und Kleingeisterei, die messerscharfen Analysen und historischen Collagen des Mannes mit dem aufrechten Gang überdauern. Und vielleicht werden eines Tages beim ausgelassenen Gelage unterm Pflaumenbaum die Kumpanen singen: «Unsere Sache, die steht nicht schlecht.» Degenhardt wäre irgendwie dabei.