Standpunkt von David Roth: Mitte-Links n’existe pas!

Nr. 51 –

Juso-Präsident David Roth erklärt, warum es nach den Wahlen keine Selbstzufriedenheit geben darf. Ein Plädoyer für eine selbstbewusste Linke.

Die ungelenken bis verzweifelten Erklärungsversuche und Rundumschläge der erfolgsverwöhnten SVP waren schön mitanzusehen. Die Politik der Diffamierung von Minderheiten, des Fremdenhasses, angetrieben durch die blocherschen Werbemillionen, verfing diesen Herbst nicht mehr. Nach den Bundesratswahlen ist nun bei den Linken eine allgemeine Euphorie festzustellen. Bei der SP war diese bereits nach den Sitzgewinnen im Nationalrat vorhanden und noch grösser nach den Erfolgen bei den Ständeratswahlen.

Ein Sieg ohne Machtgewinn

Diese Freude tut einer in den letzten Jahren etwas griesgrämigen bis frustrierten Linken gut. Aber wir müssen auch festhalten: Der Sieg der Linken bei den Bundesratswahlen ist ein Sieg ohne Machtgewinn. Die Freude besteht weniger im Bejubeln der eigenen Leistung, sondern ist primär eine Schadenfreude über die desolate Rechte. Die Linke hat in diesem Jahr nicht gewonnen, sondern weniger verloren.

Gleichzeitig haben sich mit der GLP und der BDP bei den letzten Wahlen zwei Parteien ins Spiel gebracht, die es fertigbringen, den Niedergang der Bürgerlichen aufzufangen und eine rechte Politik mit einem frischen Anstrich zu versehen. Gewonnen hat die neue Rechte, die es versteht, in die Wählersegmente der klassischen Rechten wie auch der Linken einzudringen, indem sie einen unsortierten Gemischtwarenladen auffährt. Dies hat uns nun zwar geholfen, der traditionellen und der extremen Rechten eine Niederlage bei den Bundesratswahlen beizufügen, aber es besteht keine Grundlage für eine linkere Politik.

Die geblendete Linke

Trotzdem ist es der SVP in den letzten Monaten gelungen, den Eindruck zu vermitteln, es würde eine breite Koalition gegen sie bestehen. Die rechten Leitmedien NZZ, «Weltwoche» und «BaZ» übernehmen die Wortwahl von SVP und FDP und konstruieren den Begriff der «Mitte-links-Regierung». Ein Begriff, der auch von anderen Medien aufgenommen wird und den langweiligen Status quo der Bundesratswahlen in einem interessanteren Licht erscheinen lässt. Davon lässt sich auch eine Linke gerne blenden, insbesondere weil Siege auf nationaler Ebene selten sind. Sogar die WOZ hat auf der Titelseite ihrer jüngsten Ausgabe (vgl. Nr. 50/11) von einer gefestigten «Mitte-links-Mehrheit» geschrieben. Dies ist eine gefährliche Illusion, und die Linke ist gut beraten, dieser Illusion nicht zu verfallen.

Nach den Bundesratswahlen legten aber viele Linke eine selbstzufriedene Rhetorik an den Tag, ganz als ob sie jetzt den Kurs der Regierung und sogar des Parlaments diktieren könnten. Die SP ist nicht die Anführerin einer Mitte-links-Koalition, sondern zusammen mit den Grünen immer noch die nützliche Idiotin – und meist nur für den Schein des Dialogs und des Kompromisses zuständig. Dies wird auch das Schicksal der Linken bleiben, wenn sie es nicht fertigbringt, eine klare inhaltliche Linie zwischen der Linken und den Rechten zu ziehen.

Dazu ist eine weitere inhaltliche Schärfung eines linken Gegenprojekts dringend notwendig, wie dies die SP mit ihrem Parteiprogramm versucht hat. Bei den Wahlen hat sich gezeigt, dass entgegen den Wahrsagungen der Politologen insbesondere jener Teil der Linken gewonnen hat, der den Wahlkampf mit einem eigenständigen Programm prägte. Die Linke konnte dort zulegen, wo sie sich nicht für die antikapitalistische Rhetorik schämte und auf das Hickhack um das Parteiprogramm verzichtete.

Es gibt keine Mitte-links-Regierung, es gibt wenig Übereinstimmung mit dem Gesamtbundesrat, und es gibt keinen Grund, nun einen dermassen staatstragenden Eindruck zu erwecken, wie das die beiden linken Parteien nach den Bundesratswahlen getan haben. Eine regelmässige Mehrheit für linke Anliegen ist im Bundeshaus überhaupt nicht in Sicht, und sie lässt sich auch nicht aus der Bundesratsmehrheit für den Atomausstieg ableiten. Weder Eveline Widmer Schlumpf noch Doris Leuthard sind grün oder links angehaucht. Für die Parteispitzen von CVP und BDP war der Entscheid rein populistisch-strategischer Natur, und es ist alles andere als sicher, dass die Basis jener Parteien diesen Richtungswechsel längerfristig mittragen wird.

Verzicht auf das Gegenprojekt?

Es wirkt deshalb sonderbar, wenn die Linke nun plötzlich auf Kuschelkurs geht und der grüne Fraktionschef Antonio Hodgers in der NZZ meint: «Wir sehen uns nicht als Oppositionspartei, sondern als ‹Propositionspartei›. Wir wollen im Parlament vermehrt Allianzen mit der Mitte suchen, und wir sind bereit, Kompromisse einzugehen.»

Die Vorstellung eines grösseren inhaltlichen Konsenses ist entweder realitätsfremd oder nur mit dem Verzicht auf ein eigenständiges linkes Gegenprojekt zu erreichen, sprich mit der zersplitterten Mitte in der Beliebigkeit zu versinken. Wir müssen wieder zur selbstbewussten Linken heranwachsen, die dank mutiger Positionen die Debatte dominieren kann. Dies dürfte in den kommenden Krisenjahren dringend nötig sein. Die Idee von Mitte-Links existiert bislang nur in den Köpfen der SVP-Strategen. Lassen wir sie nicht Realität werden.

David Roth (26) ist Präsident der Juso Schweiz und Vizepräsident der SP Schweiz. Roth ist ausserdem Kantonsrat in Luzern und im Vorstand des Thinktanks Denknetz tätig. Er studiert Zeitgeschichte und Philosophie in Freiburg.