Der Fall Hildebrand : Im Land der Briefträger

Nr. 2 –

Philipp Hildebrands Rücktritt ist der vorläufige Höhepunkt einer politischen Kampagne. Aufgeklärt ist die Affäre nicht. Nach dem Abgang gibt es weiterhin Widersprüche und neue Fragen.

Ein SVP-Mitglied aus dem Thurgau brach im Spätherbst letzten Jahres das Bankgeheimnis, um einen vermuteten Missstand aufzudecken. Der 39-jährige Reto T. glaubte, Philipp Hildebrand, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), habe «spekuliert» – was sich seiner Meinung nach «schlecht mit seiner Rolle als SNB-Präsident» vereinbaren lasse, wie er in einer Mail an die Presse schrieb. Was danach geschah, entglitt seiner Kontrolle: die Weitergabe der gestohlenen Kontoangaben, die Veröffentlichung ebendieser durch die «Weltwoche», der Rücktritt von Philipp Hildebrand.

Eindeutig ist in dieser Affäre wenig. Diese seltsame Geschichte ist geprägt von Widersprüchen, Inszenierungen und Falschbeschuldigungen. Sie ist ein Lehrstück über Doppelmoral und Doppelzüngigkeit, sie offenbart einen beispiellosen Angriff auf die politischen Institutionen und die Stabilität dieses Landes, bei dem die «Weltwoche» den Nationalbankpräsidenten mit einer Reihe von nachweislich falschen Behauptungen diffamierte.

Der Datenklau

Handelte Reto T., der IT-Mitarbeiter der Bank Sarasin, von sich aus, als er Hildebrands Kontoauszüge kopierte, oder wurde er von einer dritten Person dazu angestiftet? Der Whistleblower entdeckte jedenfalls auf dem Privatkonto des obersten Schweizer Währungshüters mindestens eine gewinnbringende Devisentransaktion der Bankerfamilie. In seiner Funktion hatte Reto T. zwar Zugriff auf Kundendaten, auf Hildebrands Konto war er allerdings nicht selbst gestossen. In der Bank hätten ihn «Leute von der Front» darauf aufmerksam gemacht, schrieb er in einer Mail. Die Kontobewegungen erschienen ihm verdächtig. Daher suchte er Rat bei einem Freund aus Kindergartentagen, dem Anwalt und Thurgauer SVP-Kantonsrat Hermann Lei.

Ab hier wird die Geschichte verworren. So ist unklar, ob Reto T. den Anwalt zunächst bloss mündlich über seinen Verdacht informierte und Hildebrands Kontoauszüge erst danach fotografierte. Die Bank Sarasin hat jedenfalls wegen möglicher Verleitung zum Bankgeheimnisbruch Anzeige gegen Dritte erstattet.

Die Weitergabe

Hermann Lei und Reto T. trafen sich am 3. Dezember mit Christoph Blocher. Einzig Blocher dementiert dieses Treffen in seiner Villa in Herrliberg. Wie auch immer: Der Neonationalrat unterrichtete Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey am 8. Dezember mündlich über die Vorgänge. Am 13. und 15. Dezember kam es zu weiteren Sitzungen. Beim letzten Treffen zeigte er Unterlagen, übergab sie aber nicht. Blocher ist gemäss Lei aber im Besitz der gestohlenen Daten.

Blocher war nicht der harmlose Briefträger, der bloss mithelfen wollte, einen möglichen Missstand zu beseitigen. Er ist der Schmied eines politischen Komplotts: Als er der damaligen Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey am 15. Dezember vorschlug, Hildebrand solle zurücktreten, offenbarte Blocher seine wahre Mission. Hätte er ein echtes Interesse an einer Aufklärung der Affäre gehabt, hätte er seine Unterlagen der Aufsichtsbehörde übergeben und zumindest die Untersuchung abgewartet, ehe er der Bundespräsidentin einen Rücktritt von Hildebrand «im Stillen» nahelegte. So erklärte er sein Vorgehen in einem Interview mit der «Basler Zeitung». Die «Weltwoche» schrieb gar, Blocher wollte einen «diskreten, gesundheitlich motivierten Rücktritt» Hildebrands. 

Blocher witterte die einmalige Chance: Es ging ihm nach einer monatelangen Kampagne um die Entfernung eines Notenbankpräsidenten, der als starker Mann hinter einer schärferen Bankenregulierung galt.

Doch Blochers Plan ging zunächst nicht auf. Die Kontrollbehörden und die Revisionsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers stellten Hildebrand einen Persilschein aus. Die Nationalbank wurde selbst aktiv. Aus ihrem Umfeld wurden zwei Sonntagszeitungen gezielt Informationen gesteckt, wonach Blocher eine Kampagne gegen Hildebrand starte. Die «Weltwoche» reagierte und veröffentlichte Hildebrands Kontoauszüge. Hermann Lei hatte die Unterlagen dem Autor Urs Paul Engeler übergeben mit dem Einverständnis von Reto T., wie Lei behauptet. Der Whistleblower widerspricht dieser Darstellung. Er sagt, ihm sei es um eine «Untersuchung der Ereignisse» gegangen. «Wer die Medien verwenden will, soll es tun, ich will es nicht.» Dafür spricht, dass Reto T. bei einem Treffen mit «Blick»-Journalisten an Heiligabend nichts Brisantes preisgab.

Heute beklagt sich das SVP-Mitglied Reto T., der sich Anfang Jahr selbst anzeigte, über die «rücksichtslosen SVP-Methoden». Tatsächlich stellt sich die Frage: Hat auch Lei mit der Weitergabe gestohlener Daten an die «Weltwoche» gegen das Bankgeheimnis verstossen? Der St. Galler Staatsanwalt Thomas Hansjakob bejaht das: «Solche Informationen gehören entweder in die Hände der Staatsanwaltschaft oder der Aufsichtsbehörden. Der korrekteste Weg wäre der zur Justiz gewesen. Gangbar ist auch der zur Aufsichtsbehörde, also zum Bankrat oder zum Bundesrat.» Das Verhalten Christoph Blochers schätzt er als «relativ unproblematisch» ein.

Die Börsengeschäfte der Hildebrands

Am Ende trat Philipp Hildebrand zurück, weil er nicht beweisen konnte, dass nicht er, sondern seine Frau die umstrittenen Devisengeschäfte getätigt haben soll. Ihm fehlte der «Entlastungsbeweis» – ein vielsagender Begriff, der die Umkehr der Unschuldsvermutung in sich trägt. Dabei ging es eben nicht um eine rechtliche Verfehlung, sondern um die Beschädigung seiner Glaubwürdigkeit. Selbst Teile der veröffentlichten Dokumente, die ihn entlasten sollten, konnten diese nicht wiederherstellen. Sie belasteten ihn sogar. Ohne Zweifel: Fragwürdig und fahrlässig waren die Börsengeschäfte der Familie Hildebrand ohnehin – auch die Aktienkäufe.

Dennoch lohnt sich ein Blick in die Details des umstrittenen Börsengeschäfts. Hildebrand legte dazu vier Dokumente vor: eine handschriftliche Notiz des Kundenberaters Felix S., ein nachträglich erstellter «Contact Report», den E-Mail-Verkehr mit der Bank sowie eine Erklärung des Kundenberaters. Die Erklärung entlastet Hildebrand. Erst recht tut dies die handschriftliche Notiz, denn darin stehen nur die konkret erteilten Aktienkaufaufträge sowie eine Transaktion über 20 000  US-Dollar von seinem Konto auf jenes der Tochter. Der umstrittene Kauf von 400 000  US-Dollar bleibt unerwähnt. Erst im später erstellten «Contact Report» taucht dieser auf: Hildebrand überliess den Entscheid über diese Devisentransaktion seiner Frau («he would leave it up to his wife Kashya to so decide»). Kashya Hildebrand beauftragte in der Folge den Kundenberater, die Dollarposition von 31 auf 50 Prozent zu erhöhen. Entsprechend kaufte der Kundenberater 400 000  US-Dollar. Im Oktober tauschten die Hildebrands eine ähnlich hohe Summe in Franken, woraus die «Weltwoche» wegen der Kursveränderungen nach der Frankenanbindung an den Euro einen Gewinn von 75 000  Franken ableitete.

Warum ausgerechnet das von der Summe her gewichtigste Geschäft erst auf dem «Contact Report» auftaucht, nicht aber in den Handnotizen, bleibt offen. An der Pressekonferenz beteuerte Hildebrand, nichts von dieser Transaktion gewusst zu haben. «Es war so. Ich stehe dafür hier mit meinem Ehrenwort.»

Die Steuerfrage

Philipp Hildebrand erklärte sich bei seinem Rücktritt ausführlich. Nur einmal wurde er einsilbig. Als ein Journalist nach der US-Steuerpflicht von Kashya Hildebrand fragte, verneinte Hildebrand und sagte: «Das müssen Sie meine Frau fragen.»

Bereits am Morgen vor dem Rücktritt hatte der erfahrene Wirtschaftsjournalist Lukas Hässig, der zwei Bücher über den Beinahe-Untergang der UBS und die kriminelle Steuerpraxis der Grossbank in den USA geschrieben hat, auf seinem Blog «Inside Paradeplatz» gefragt: «Umgingen Hildebrands US-Steuerpflichten?» Am Dienstag doppelte er nach: «Wegen neuer Sarasin-Dokumente hätte Hildebrand kaum gehen müssen. Geht es um verletzte US-Steuerpflichten?»

Als schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin ist Kashya Hildebrand in den USA steuerpflichtig. Gemäss den Richtlinien der US-Steuerbehörde IRS über «Foreign Bank and Financial Accounts» (FBAR) scheinen Philipp oder Kashya Hildebrand meldepflichtig zu sein. Aber die Bank Sarasin sagt zur WOZ, das Konto unterliege nicht der Meldepflicht. Sie will mit Hinweis auf das Bankgeheimnis nicht angeben, ob die Hildebrands das Konto gemeldet haben.

Der Steuerexperte Fabio Bonciani, Generalsekretär der Swiss American Tax Help, sagt, er teile die Ansicht der Bank Sarasin, dass das Konto den US-Behörden nicht hätte gemeldet werden müssen. Laut einem Sprecher der IRS gibt es zwei Möglichkeiten, weshalb jemand sein Konto nicht angeben muss: bei einem gemeinsamen Deal mit den Steuerbehörden oder wenn ein Konto nur von den Einkünften des nicht amerikanischen Ehepartners gespeist wird. Die Kernfrage bleibt, ob Kashya Hildebrands Vollmacht sie dazu verpflichtet, das Konto ihres Mannes den US-Steuerbehörden zu melden. Doch selbst wenn die Hildebrands nicht US-meldepflichtig sind, bleibt die Frage: Warum handelte Kashya nicht über ein eigenes Konto?

Der nächste Angriff

Im Fall Hildebrand bleiben vorerst viele Fragen unbeantwortet. Dennoch hat die SVP offenbar kein Interesse an einer echten Klärung. Stattdessen plant sie bereits den nächsten Umsturz. Die neuen Ziele sind der Bankrat, der Bundesrat und insbesondere die neue Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf.

Allerdings könnte sich der Angriff auf die Institutionen für die SVP in eine unerwünschte Richtung entwickeln. Die Bank Sarasin hat aufgrund der mutmasslichen Bankgeheimnisverletzung des IT-Mitarbeiters Reto T. bei der Zürcher Staatsanwaltschaft Strafanzeige «gegen Dritte wegen Verleitung zur Verletzung des Bankkundengeheimnisses und wegen Ausnützung des Verrats des Geschäftsgeheimnisses» eingereicht. Davon betroffen dürften insbesondere der Anwalt Hermann Lei, Christoph Blocher und die «Weltwoche» sein.

Die SVP fordert nun eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK), die die Ereignisse aufarbeiten soll. Zur Einordnung: Nachdem die UBS 2008 gerettet worden war, verhinderte die SVP eine PUK. Damals ging es um 68 Milliarden Franken. Im Fall Hildebrand geht es um 75 000  Franken.