Senegal: «Die Zeit der Worte ist vorbei»

Nr. 5 –

Einst galt er als Erneuerer Senegals, jetzt geht es Präsident Abdoulaye Wade nur noch um den Erhalt seiner Macht. Die Bevölkerung ruft nach Demokratie.

Senegal rutscht immer tiefer in die Krise. Nachdem das Oberste Gericht die Kandidatur des amtierenden Abdoulaye Wade für die Präsidentenwahl vom 26. Februar gutgeheissen hat und die von Wade ernannten «fünf Weisen» – der Verfassungsrat – diesen Entscheid abgesegnet haben, ist die Opposition in Aufruhr. Dass dasselbe Gericht zugleich die Kandidatur des internationalen Musikstars Youssou N’Dour zurückwies, heizt die Stimmung noch an.

In Senegals Bevölkerung gärt der Unmut schon länger. Jobs sind schwer zu bekommen, die Hälfte der Bevölkerung ist arbeitslos. Nahrungsmittel, Strom und Wasser werden immer teurer, Stromausfälle immer häufiger. Auch ist der Weg ins gelobte Europa schwieriger geworden – dort Arbeit zu finden, ebenso. Aber nicht nur die Wirtschaftssituation, auch die korrupten politischen Machenschaften des «Alten» – Präsident Wade ist 85 – versetzen die Leute in Rage. Wade wurde 2000 gewählt und 2007 wiedergewählt. Seine verfassungsgemässen zwei Amtszeiten sind abgelaufen. Doch der entsprechende Artikel stammt aus dem Jahr 2001. Er könne nicht rückwirkend gelten, lautet die Argumentation Wades und der höchsten Richter.

Strassenkämpfe

Den Mitgliedern der Oppositionsbewegung M23 geht es allerdings nicht um Juristisches. Sie haben von der Machtanmassung des Wade-Clans die Nase voll. Wade hat seinen unpopulären Sohn Karim mit hohen Machtbefugnissen ausgestattet, um ihn als Nachfolger in Position zu bringen. Der Protest in der Hauptstadt Dakar nach Bekanntgabe des Richterspruchs am 27. Januar war heftig. Militante Jugendliche errichteten Barrikaden, zündeten Autos an und lieferten sich an der Place de l’Obélisque im Arbeiterviertel Colobane Strassenschlachten mit der Polizei. Ein Polizist wurde dabei von Steinen getroffen und getötet. Zuvor waren im Geschäftszentrum, wo vor allem ChinesInnen ihre Geschäfte haben, Läden in Flammen aufgegangen. Am Montag erschoss die Polizei bei Anti-Wade-Demonstrationen in der nordsenegalesischen Stadt Podor eine sechzigjährige Frau und einen siebzehnjährigen Jugendlichen.

Ihren Namen hat die Bewegung M23, die mehrere Parteien und zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen vereinigt, vom 23. Juni 2011 übernommen. An diesem Tag protestierten Hunderttausende auf den Strassen Dakars, weil sich Wade anschickte, die Verfassung zu seinen und seiner Familie Gunsten abzuändern. Trotz massiven Polizeieinsatzes waren vier Tage später die Strassen wieder voll erzürnter BürgerInnen. Die Menge vor dem Parlamentsgebäude wuchs zu solcher Grösse an, dass die Regierung die Armee aufbot. Diese setzte gepanzerte Fahrzeuge und sogar einen Kampfhelikopter gegen die Bevölkerung ein – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte Senegals, das bisher als Hort von Demokratie und Stabilität in Westafrika galt. Dennoch legten die DemonstrantInnen das Geschäftsviertel Dakars lahm und liessen sich erst durch die Ankündigung des Präsidentensprechers beruhigen, die Verfassungsänderung werde sistiert.

Rap gegen Wade

Nicht nur M23 setzt Wade zu. Da sind auch die RapperInnen, die mit ihren scharfen Worten bei den Jungen Gehör finden. Die Hälfte der senegalesischen Bevölkerung ist unter zwanzig Jahre alt. Omar Touré (Bühnenname Thiat) hat mit andern MusikerInnen die Bewegung Y’en a marre – frei übersetzt: Wir haben die Nase voll – gegründet. Sie prangern etwa das miserable Schulsystem an und rufen die Leute zum Aufbegehren auf. Auch versuchen sie, die eben erst wahlberechtigt gewordenen Jugendlichen zu überzeugen, sich in die Wählerregister einzutragen, um Wade den Laufpass zu geben.

Scharfe Worte braucht jetzt auch M23. «Die Zeit für Reden ist abgelaufen», rief Amadou Gueye, einer der M23-Anführer, am letzten Sonntag der Menge zu. «Das ist ein Aufruf, ein ehrlicher, kräftiger und resoluter Aufruf zum Widerstand. Wir sind zu jeglichen Opfern bereit», ergänzte er. Derweil berichtet der Webnachrichtendienst Appel über Störaktionen gegen eine grosse Zahl von Onlinemedien. Die Regierung versuche, Berichte über die angespannte Lage im Land zu unterbinden.

Einst galt Wade als Erneuerer Senegals. Doch wie das 49 Meter hohe Monument der afrikanischen Renaissance, das er durch eine nordkoreanische Firma für 27 Millionen US-Dollar in Bronze giessen und auf die Colline des Mamelles ausserhalb Dakars errichten liess, strahlt er heute mehr Machtanmassung denn Erneuerung aus. Senegal drohen unruhige Zeiten.