Medientagebuch: Das fiktive Foltercamp
Jan Jirát über eine öffentliche Entschuldigung
Auf der Frontseite des «Blick» stand am vergangenen Dienstagmorgen ein Wort, das im Boulevard Seltenheitswert hat: «Entschuldigung». Es war das dritte Mal innerhalb von zehn Jahren, dass sich das Ringier-Blatt so prominent wegen persönlichkeitsverletzender Berichterstattung entschuldigen musste: 2002 war Thomas Borer, der ehemalige Schweizer Botschafter in Berlin, Adressat der Entschuldigung, 2007 Jürg Maurer, einstiger Anlagechef der Pensionskasse Rieter. Die aktuelle Entschuldigung ist an Beat Dünki gerichtet, der vor sechs Jahren tagelang im Mittelpunkt einer schmutzigen Medienkampagne stand.
Der heute 58-jährige Dünki war damals Inhaber der Firma Time Out, die schwierige Jugendliche an Gastfamilien vermittelte – unter anderem im Auftrag des Zürcher Sozialdepartements. Anfang April 2006 veröffentlichte der «Blick» einen Artikel über ein angebliches «Foltercamp» in Spanien, in dem Jugendliche in «Wildschweinkäfige» gesteckt und mit «Eisenstangen» geprügelt worden seien. Wie sich später herausstellte, entsprachen die Darstellungen der Jugendlichen nicht der Realität, die zuständige Zürcher Staatsanwaltschaft stellte ihr Verfahren im September 2006 ein. Beat Dünki hingegen war als «Kindervermittler» und «Mann, der Jugendliche ins Foltercamp schickte» gebrandmarkt. Er verlor seine Firma, seinen Ruf und die «Hälfte seines sozialen Umfelds», wie er sagt.
Genau siebzig Monate nach dem ersten «Foltercamp»-Artikel folgten nun die Entschuldigung auf der «Blick»-Frontseite, eine Genugtuungszahlung, die «im sechsstelligen Bereich liegt», wie Dünki sagt, sowie ein Schreiben von Ringier-CEO Marc Walder, in dem dieser zugibt, dass die Berichterstattung «ein Bild vermittelte (…), das nicht der Realität entsprach». All dies ist Bestandteil eines Vergleichs, den die beiden Parteien im Dezember abschlossen.
Ursprünglich hatte Beat Dünki über den Zürcher Medienanwalt Adrian Bachmann gegen Ringier wie auch gegen die beiden Journalisten Beat Kraushaar (heute beim «Sonntag») und Reto Kohler (Wissenschaftsredaktor beim «Blick») sowie die Journalistin Katia Murmann (heute ebenfalls beim «Sonntag») wegen Persönlichkeits- und Wettbewerbsverletzung geklagt. Nach jahrelangen Verhandlungen (und niedrigen fünfstelligen Entschädigungsangeboten seitens Ringiers) hat Dünki seine Klage zurückgezogen und den erwähnten Vergleich unterschrieben. Für ihn ist der Fall somit abgeschlossen. «Ich wollte diese Entschuldigung auf der Frontseite, also genau dort, wo ich vom ‹Blick› durch den Dreck gezogen wurde», sagt Dünki.
Das Ringier-Blatt war im Frühling 2006 bei weitem nicht die einzige Zeitung, welche die Geschichte rund um das «Foltercamp» ausschlachtete. So nahm die «Weltwoche» den Steilpass dankbar auf und integrierte sie – auf Kosten von Beat Dünki – in ihre Kampagne gegen Monika Stocker, die Vorsteherin des Zürcher Sozialdepartements, die im Sommer 2008 schliesslich zum Rücktritt der grünen Stadträtin führte.
«Betreffend meiner Person war der ‹Weltwoche›-Artikel der mieseste von allen», sagt Dünki. Der Verfasser besagten Artikels heisst Alex Baur. Pikant: Dünki wollte eigentlich auch Baur wegen Persönlichkeitsverletzung anklagen. Sein Anwalt Adrian Bachmann ist jedoch der Schwager des Journalisten. Dünki liess die Anklage fallen, um sich «voll auf den ‹Blick› zu konzentrieren».
Jan Jirát ist WOZ-Redaktor.