Syngenta und die Pestizide: Die spitzfindige Unterscheidung zwischen «verboten» und «nicht zugelassen»
Mit Biolandbau hat Syngenta nicht viel am Hut – aber verdient trotzdem daran. Noch viel mehr Geld macht der Konzern mit dem hochgiftigen Unkrautvertilgungsmittel Paraquat. Dabei versucht er, der zunehmenden Kritik auszuweichen.
«Ich habe meiner Frau gesagt, dass ich bei uns zu Hause keine Bio-Lebensmittel will», verkündete Syngenta-CEO Michael Mack letzten Sommer in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». «Sie schmecken nicht besser und sind viel teurer.»
Dass der weltweit führende Agrochemiekonzern mit «bio» nicht viel anfangen kann, verwundert nicht. Doch das hindert Syngenta nicht daran, auch am Biolandbau kräftig zu verdienen: Drei Produkte von Syngenta und neun der Firma Maag, die wiederum der Syngenta gehört, sind in der Schweiz im Biolandbau zugelassen. Es handelt sich dabei um pflanzliche Insektizide sowie Kupfer- und Schwefelpräparate gegen Pilzkrankheiten. Denn die Biobäuerin darf zwar keine synthetischen Pestizide verwenden, kann aber auf pflanzliche und mineralische Mittel zurückgreifen. Oder auf Nützlinge: Schlupfwespen, die ihre Eier in Mottenraupen legen, Marienkäfer, die Blattläuse fressen. Eine Möglichkeit, die auch konventionelle LandwirtInnen zunehmend nutzen. Die Syngenta-Tochterfirma Syngenta Bioline hat sich ganz auf solche nützlichen Insekten spezialisiert. Wie gross der Umsatz der Bioline ist, will Syngenta «aus Wettbewerbsgründen» nicht sagen.
Der Agronom Lucius Tamm arbeitet am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) in Frick. Zu seinen Aufgaben gehört es, Produkte für die Zulassung im Schweizer Biolandbau zu prüfen. Die Zulassung hänge allein von den Inhaltsstoffen ab, sagt er. «Was eine Produktions- oder Vertreiberfirma sonst macht, spielt keine Rolle.» Es habe am FiBL zwar auch schon Diskussionen darüber gegeben – «und es wäre denkbar, ein Produkt einer Firma, die sich zum Beispiel krass menschenrechtswidrig verhält, nicht zuzulassen». Das sei aber noch nie vorgekommen.
Lungenschäden und Parkinsonrisiko
«Syngenta missachtet die Menschenrechte», betont François Meienberg von der Erklärung von Bern (EvB). «Immer noch vertreibt sie Paraquat, das giftigste Herbizid, das heute auf dem Markt ist.» Die Liste der dokumentierten Paraquat-Schäden ist lang: ArbeiterInnen, die das Unkrautvertilgungsmittel mischen und versprühen müssen, leiden unter Atemnot, Augen- und Lungenschäden, Verbrennungen und einem erhöhten Parkinsonrisiko. «Bei Syngenta heisst es immer, bei korrekter Anwendung mit Schutzkleidung sei Paraquat nicht gefährlich», sagt François Meienberg. «Aber solche Schutzkleidung können sich die Plantagenarbeiter nicht leisten, in vielen Ländern ist sie auch gar nicht erhältlich.» Die EvB schätzt, dass Paraquat jährlich zu Zehntausenden von Todesfällen führt: wegen Verwechslungen – viele ArbeiterInnen müssen die Spritzmittel in ihren Wohnräumen aufbewahren –, sehr häufig aber auch wegen Selbstmorden.
Zusammen mit dem internationalen Pesticide Action Network kämpft die EvB seit Jahren für eine weltweite Ächtung von Paraquat. Mit einigem Erfolg: Die Konzerne Dole, Lipton und Chiquita verwenden das Herbizid nicht mehr, viele Länder haben es verboten, seit 2007 ist es in der Europäischen Union nicht mehr zugelassen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs hatte die Bewilligung widerrufen, weil sie «gegen die Erfordernis des Schutzes der menschlichen Gesundheit» verstosse. Syngenta stellt dieses faktische Verbot als eigenen Entscheid dar: «Einige Monate später beschloss man seitens Syngenta, dass kein neuer Zulassungsantrag gestellt werden sollte», schreibt ein Presseverantwortlicher in einer E-Mail auf Anfrage der WOZ. «Damit wären sie sowieso nicht durchgekommen», sagt François Meienberg.
Verboten? Nicht verboten?
Und in der Schweiz? Aufgeschreckt von den grauslichen Fakten, reichte der damalige Waadtländer Linksaussen-Nationalrat Josef Zisyadis 2002 ein Postulat ein, das ein Verbot des Herbizids forderte. Der Bundesrat antwortete: «Pflanzenschutzmittel, welche den Wirkstoff Paraquat enthalten, sind in der Schweiz seit dem 31. Dezember 1989 nicht mehr zugelassen», und zwar «aus toxikologischen Gründen».
Urs Niggli, der heutige Direktor des FiBL, war beim Entscheid dabei: Er arbeitete in den achtziger Jahren an der staatlichen Forschungsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau Wädenswil (heute Agroscope ACW). Damals war es die Firma Maag, die Paraquat in der Schweiz vertrieb. «Die Forschungsanstalt Wädenswil, die gemäss Landwirtschaftsgesetz damals die Bewilligungsbehörde war, wollte Paraquat nicht mehr zulassen», sagt Niggli zur WOZ. Maag legte Rekurs ein. Kurz vor der letzten Anhörung der Maag-Vertreter, am 1. November 1986, brannte in Schweizerhalle bei Basel eine Lagerhalle der Chemiefirma Sandoz, das verseuchte Löschwasser vergiftete den Rhein. Geschockt vom Unfall, habe Maag-Direktor Ernst Homberger auf den Rekurs verzichtet, erzählt Niggli: «Er sagte, die Zeit für solche Pestizide sei vorbei.»
«Syngenta hat aufgrund veränderter Marktbedingungen keine Reregistrierung angestrebt», heisst es dagegen beim Konzern. «Es handelt sich dabei um einen geschäftlichen Entscheid und nicht um ein behördliches Verbot.» Paraquat sei weder in der EU noch in der Schweiz verboten.
Es gehe um den Unterschied zwischen Verbot und Nichtzulassung, sagt Syngenta-Pressesprecher Michael Isaac, als die WOZ noch einmal nachfragt. «Es stimmt, dass Paraquat in der Schweiz nicht mehr zugelassen ist.»
François Meienberg hält nicht viel von dieser spitzfindigen Unterscheidung: «Fakt ist: Sowohl die EU als auch die Schweiz haben aktiv entschieden, dass man Paraquat nicht mehr brauchen darf. Und beide brauchen heute im Zusammenhang mit Paraquat das Wort ‹verboten›.»
Syngenta
Der Konzern entstand im Herbst 2000 aus den Agrobusinessbereichen der Schweizer Firma Novartis und der schwedisch-britischen Astra Zeneca. Syngenta hat ihren Sitz in Basel; wichtigste Produkte sind Pestizide und Saatgut.
Laut eigenen Angaben beschäftigt Syngenta weltweit mehr als 26 000 Angestellte, 2010 betrug der Umsatz 11 641 Millionen US-Dollar. Die Firma hat eine Stiftung für nachhaltige Entwicklung gegründet, die «das Leben von Kleinbauern in Entwicklungsländern nachhaltig verbessern» soll.