Pestizide: Das Kreuz mit dem Kupfer
Die Trinkwasserinitiative möchte Betrieben, die Pestizide brauchen, die Direktzahlungen streichen. Aber auch BiolandwirtInnen setzen diverse Mittel ein – bekämen sie ebenfalls nichts mehr?
128 verschiedene Gifte hat das ETH-Wasserforschungsinstitut Eawag in fünf Schweizer Bächen in Intensivlandwirtschaftszonen gefunden. 128 Stoffe, die dort nicht sein sollten: Herbizide gegen Unkräuter, Fungizide gegen Pilze, Insektizide. Darunter auch Stoffe wie das hochgiftige Herbizid Atrazin, das schon lange nicht mehr zugelassen ist. «In allen Gewässern wurden Qualitätskriterien zur chronischen Ökotoxizität teilweise um ein Vielfaches überschritten», schrieb die Eawag bei der Veröffentlichung im April.
Die Eawag-Studie ist nur ein Mosaikstein in einer immer beunruhigenderen Fülle von Forschungsdaten. Viele synthetische Pestizide bauen sich nur langsam ab – mit dieser Absicht wurden sie konstruiert. Was sie in den komplexen Wechselbeziehungen der Ökosysteme alles anrichten, ist viel zu wenig erforscht. Doch dass der alarmierende Rückgang der Insekten, der kürzlich in Deutschland publik wurde, auch mit Pestiziden zu tun hat, liegt auf der Hand.
Die internationale Bewegung dagegen wächst – mit Aktionen wie dem «Monsanto-Tribunal» vor einem Jahr oder der Petition für ein EU-weites Verbot des Herbizids Glyphosat, die 1,3 Millionen Menschen unterschrieben haben. In der Schweiz sind gleich zwei Volksinitiativen lanciert worden. Das Kernanliegen der sogenannten Future-3.0-Initiative ist simpel: Synthetische Pestizide sollen verboten werden. Die zweite, laut Initiantin Franziska Herren bereits zustande gekommene Initiative «Für sauberes Trinkwasser» (siehe WOZ Nr. 41/2017 ) wählt einen anderen Hebel: Direktzahlungen soll nur noch erhalten, wer keine Pestizide einsetzt, Antibiotika nicht prophylaktisch braucht und nicht mehr Tiere hält, als mit dem betriebseigenen Futter ernährt werden können.
Und hier beginnt die Unklarheit: Die Trinkwasserinitiative schreibt «Pestizide» ohne den Zusatz «synthetisch». Eine rechtlich bindende Definition, was ein Pestizid ist, gibt es nicht. BiolandwirtInnen bekämpfen Pilzkrankheiten und schädliche Insekten mit diversen Stoffen auf pflanzlicher und mineralischer Basis. Sind das Pestizide oder nicht?
Die Zeitung «Schweizer Bauer» hat bei Franziska Herren nachgefragt. Sie antwortete, sie orientiere sich an der Definition im Pestizidreduktionsplan der Denkwerkstatt «Vision Landwirtschaft» (siehe WOZ Nr. 24/2017 ). Der vorläufige Stand sei, dass auch verschiedene im Biolandbau zugelassene Wirkstoffe zu den Pestiziden gehörten. Auf der Liste stehen mineralische Stoffe wie Kupfer, aber auch drei Pflanzenextrakte. Würden BiobäuerInnen, die sie anwenden, also bei einer Annahme der Initiative ihre Direktzahlungen verlieren?
Umstrittenes Kupfer
«Es kann ja wohl nicht Sinn der Sache sein, die Biolandwirtschaft zu verunmöglichen», sagt Pflanzenschutzspezialist Lucius Tamm vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in Frick. «Es wird die chemische Industrie freuen, wenn Bio diskreditiert wird. Dann gibt es keine Alternative mehr zur konventionellen Landwirtschaft – also muss man nichts ändern.»
Er sage überhaupt nicht, alle Biomittel seien völlig harmlos, betont Tamm. «Aber im Gegensatz zu synthetischen Pestiziden sind die meisten instabil: Sie bauen sich schnell ab.» Die Natur könne besser mit natürlichen Substanzen umgehen: «Darum sind unter den vielen Pestiziden, die in Gewässern gefunden werden, auch keine Biomittel.»
Ein im Biolandbau zugelassener Wirkstoff ist allerdings umstritten: Kupfer. Konventionelle wie BiolandwirtInnen setzen das Metall zum Beispiel gegen Pilzkrankheiten wie Falschen Mehltau auf Reben, Schorf auf Apfelbäumen oder Kraut- und Knollenfäule auf Kartoffeln ein. Kupfer baut sich kaum ab, sondern reichert sich im Boden an. Wie stark er das Bodenleben beeinträchtigt, ist umstritten. «Gegen neunzig Prozent des eingesetzten Kupfers stammen aus der konventionellen Landwirtschaft», sagt Tamm.
Robuste, wenig krankheitsanfällige Sorten sind die beste Strategie, um den Kupfereinsatz zu minimieren. Darauf setzen innovative ObstproduzentInnen wie der Thurgauer Biobauer Christoph Meili. Er versucht, möglichst wenig Kupfer einzusetzen. «Aber ganz aufhören täte weh.» Zu gross sei der Krankheitsdruck, zu gross seien auch die Anforderungen des Handels an Aussehen und Qualität der Früchte.
Das FiBL arbeite mit Hochdruck daran, pflanzliche Ersatzmittel für Kupfer zu entwickeln, sagt Lucius Tamm. «Aber auch die Ersatzmittel werden eine biozide Wirkung haben, also giftig für die Schadorganismen sein, die sie bekämpfen sollen.» Das Initiativkomitee scheine zu glauben, dass es gar keinen Pflanzenschutz brauche. «Das halte ich für einen grossen Irrtum. Alle paar Jahre kommen neue Krankheiten und Schädlinge in die Schweiz. Marssonina etwa, ein Pilz, der die Bäume entlaubt. Ungeschützte Apfelbäume sind neuerdings oft schon im August praktisch kahl.» Neue Insekten würden eingeschleppt oder breiteten sich mit dem wärmeren Klima aus, etwa die im Beeren- und Obstbau gefürchtete Kirschessigfliege. «Wenn eine neue Krankheit, ein neues Insekt auftaucht, müssen wir etwas in der Hand haben, das wirkt.» Der Biolandbau sei die beste Strategie, um die Pestizidbelastung in Gewässern rasch zu senken. «Ich kenne viele Biobauern, die sich wahnsinnig engagiert haben, um auf ihren Betrieben einen angepassten und minimalen Pflanzenschutz zu entwickeln. Das soll alles nichts wert sein? Das wäre doch unsinnig.»
«Es hapert beim Vollzug»
Letztes Jahr hat der Bund einen «Aktionsplan Pflanzenschutzmittel» erarbeitet. «Er ist ambitionslos, aber immerhin ein erster Schritt», sagt Martin Bossard, Leiter Politik des Branchenverbands Bio Suisse. Es gäbe mehr Möglichkeiten, die Pestizidbelastung zu reduzieren: die Bioproduktion stärker fördern, die Forschung und Züchtung anders ausrichten, Lenkungsabgaben und höhere Mehrwertsteuersätze auf Pestiziden.
Bossard hält es für falsch, zu viel von Initiativen zu erwarten: «Wir haben bereits sehr gute gesetzliche Grundlagen. Es hapert beim Vollzug.» In der Tat: In der Direktzahlungsverordnung steht zum Beispiel, im Pflanzenschutz seien «primär präventive Massnahmen, natürliche Regulationsmechanismen sowie biologische und mechanische Verfahren anzuwenden». Ähnliches gilt für das Gewässerschutzgesetz und die «Umweltziele Landwirtschaft» – wenn Bund und Kantone im Vollzug konsequent wären, gäbe es keine Bäche mehr wie in der Eawag-Studie.
Eine Allianz aus VertreterInnen von landwirtschaftlichen und Umweltorganisationen, Wasserwerken, Imkerei und Fischerei arbeite daran, den Aktionsplan zu verbessern, sagt Bossard. «Wir waren noch nie so breit aufgestellt, um etwas zu bewegen – und jetzt fokussiert die Trinkwasserinitiative ausgerechnet auf den Biolandbau, der heute schon wirksame Lösungen anbietet.»
Als die WOZ nachfragt, gibt sich Initiantin Franziska Herren zerknirscht: «Ich hätte nicht gedacht, dass die Reaktionen auf den ‹Schweizer Bauer›-Artikel so heftig ausfallen.» Gegenwärtig kläre das Initiativkomitee mit seinen Fachpartnern neu ab, welche Stoffe natürlichen Ursprungs unter den Pestizidbegriff fallen dürften. «Die Initiative soll Bio nicht schaden.»