Iran: Der permanente Machtkampf und die Fehler des Westens
Es sieht schlecht aus für den Frieden im Nahen Osten: Die Differenzen innerhalb der iranischen Regierung lassen kaum einen grundlegenden Kurswechsel zu. Und die Nachbarstaaten haben mit Schützenhilfe der USA längst Stellung bezogen.
Der Streit um das iranische Atomprogramm eskaliert. Harte Sanktionen der USA und der EU, der Boykott des iranischen Öls und der Zentralbank von Teheran, die militärischen Drohungen aus Israel – all das deutet auf einen Krieg, der nicht nur für die Region, sondern für die ganze Welt verheerende Folgen haben würde.
Die USA und die EU, die nach eigenen Angaben keinen Krieg wünschen, sind offenbar der Meinung, dass es ihnen gelingen wird, den Iran durch harte Sanktionen zur Aufgabe seines Atomprogramms zwingen zu können. Doch diese Annahme basiert auf einer irrigen Analyse des im Iran herrschenden Regimes. Schon ein flüchtiger Blick auf die Entwicklung der Islamischen Republik und deren Aussenpolitik zeigt, dass das Atomprogramm in ein ideologisch verbrämtes Freund-Feind-Denken eingebettet ist, auf das die Führung in Teheran nicht verzichten kann, ohne ihre schon längst beschädigte Legitimität vollends zu verlieren. Auch die innere Machtkonstellation lässt einen grundlegenden Kurswechsel in der Aussenpolitik kaum zu.
Wandel abgewürgt
Die Aussenpolitik der Islamischen Republik hat sich seit ihrer Gründung mehrmals gewandelt. Der Staatsgründer Ajatollah Chomeini, dem nach der Revolution von 1979 gegen den Schah unerwartet die Macht in den Schoss gefallen war, träumte von einem islamischen Weltreich. «Unser Weg geht über Bagdad nach Jerusalem», verkündeten die neuen Machthaber. Doch dieser Wunsch wurde bald von der Realität eingeholt. Der Angriff des Irak unter Saddam Hussein auf das Nachbarland Iran leitete 1980 einen achtjährigen Krieg ein. Schliesslich musste Chomeini einen Waffenstillstand unterzeichnen, der ihm nach eigenen Angaben wie ein Gifttrunk vorkam.
Nach dem Tod Chomeinis 1989 begann die Ära von Akbar Haschemi Rafsandschani, der notgedrungen den Versuch unternahm, die Beziehungen Irans zur Aussenwelt pragmatisch zu gestalten. Doch diese Politik erlitt immer wieder Rückfälle, weil sie vom Terror nach innen und nach aussen begleitet wurde.
Erst in der Ära von Präsident Mohammed Chatami, ab 1997, wurde der islamische Staat allmählich salonfähig. Die Offenheit, die Chatami propagierte, und seine Forderung nach einem Dialog der Kulturen, die international begrüsst wurde, weckten die Hoffnung auf einen grundlegenden Wandel. Doch diese Versuche wurden nicht nur im Inland durch radikale Gruppen torpediert, auch die konfrontative Politik des Westens brachte sie zum Scheitern. Obwohl Chatamis Regierung bereit gewesen war, allen Widerständen im eigenen Land zum Trotz dem Westen gegenüber Zugeständnisse zu machen – im Atomkonflikt oder in den Kriegen gegen Afghanistan und den Irak mit Washington zu kooperieren –, zeigte sich das Weisse Haus unter dem damaligen Präsidenten George Bush unnachgiebig. Der Iran wurde neben dem Irak und Nordkorea als «Schurkenstaat» eingestuft und in die «Achse des Bösen» eingereiht.
Republik ohne Geistlichkeit
Das war mit ein Grund für die Machtübernahme der Radikalen, die eine Rückkehr zu den Idealen der Gründerzeit der Islamischen Republik anstrebten. Doch dieser Machtwechsel hat zugleich das islamische Lager, das trotz Differenzen stets gegen innere GegnerInnen und «ausländische Feinde» einheitlich auftrat, in mehrere Fraktionen gespalten. Heute tobt ein offener Machtkampf zwischen den ReformerInnen, den Konservativen und den Radikalen. Der seit 2005 amtierende Präsident Mahmud Ahmadinedschad, den Revolutionsführer Ajatollah Chamenei in den ersten Jahren seiner Präsidentschaft gegen KritikerInnen in Schutz nahm, hat inzwischen einen eigenen Weg eingeschlagen. Wohlwissend, dass die islamische Ideologie weitgehend ihre Legitimation im Volk verloren hat, propagiert er einen Nationalismus, mit dem er vor allem die Mittelschicht für sich zu gewinnen hofft. Zudem strebt er eine Islamische Republik ohne die traditionelle Geistlichkeit an.
Diese Strategie hat die Geistlichkeit und die Konservativen alarmiert, die sich mittlerweile um den Revolutionsführer Chamenei scharen. Sie halten an der bisherigen Politik fest. Auch die ReformerInnen wollen die gegenwärtige Staatsordnung beibehalten, sie aber etwas volksnaher gestalten, offener und freier. Der Machtkampf zwischen diesen in sich wiederum heterogenen Fraktionen spiegelt sich in den staatlichen Institutionen wider: Die Regierung ignoriert die Beschlüsse des Parlaments, alle Instanzen bekämpfen sich gegenseitig, der Staat ist in seiner Gesamtheit kaum noch zu wichtigen Entscheidungen fähig.
Wirtschaftsmacht Pasdaran
Neben den politischen Fraktionen und geistlichen Instanzen, die auch ein wichtiges Wort mitzureden haben, gibt es ein weiteres Machtzentrum, dessen Einfluss in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Die Organisation der RevolutionswächterInnen (Pasdaran) ist mit ihren modernen Waffen heute weitaus stärker als die reguläre Armee. Ihre früheren Kommandanten sitzen inzwischen auch an den Schalthebeln der politischen Macht. Die Organisation ist aber auch wirtschaftlich die mächtigste im Land. Sie bekommt die lukrativsten Staatsaufträge, ist im Ölgeschäft tätig, kontrolliert die Grenzen und damit auch den Aussenhandel sowie den Schwarzmarkt. Die Atomindustrie wird ebenfalls vorwiegend von der Organisation betrieben. Als Staat im Staat spielt die Pasdaran auch bei aussenpolitischen Entscheidungen eine wichtige Rolle.
Diese Machtkonstellation führt zu dem Umstand, dass in der Islamischen Republik anders als in Militärdiktaturen oder absolutistisch regierten Staaten nicht eine Person autoritär Befehle erteilt, die von allen Ämtern befolgt werden. Zwar gilt in der Islamischen Republik formal betrachtet der Revolutionsführer als höchste Instanz, die mit nahezu uneingeschränkten Befugnissen ausgestattet ist. In Wirklichkeit wirken bei wichtigen Entscheidungen jedoch verschiedene Instanzen mit, von denen sich je nach den momentanen Machtkonstellationen die eine oder die andere durchsetzt. Genau darauf sind auch die Widersprüche zurückzuführen, die man oft in den offiziellen Stellungnahmen Teherans feststellt.
Doch trotz Machtkampf und Differenzen gibt es auch Realitäten, die die iranische Aussenpolitik mitbestimmen: Der Iran befindet sich mitten in der politisch unruhigsten Region der Welt. Das Land ist umgeben von elf Nachbarstaaten respektive Staaten, von denen die meisten eine auch für den Iran bedrohliche Instabilität aufweisen. In zwei Nachbarländern, Irak und Afghanistan, herrschen seit Jahren Krieg und Bürgerkrieg. In Pakistan sind weite Gebiete des Landes nicht unter Kontrolle der Regierung. Und die Staaten am Persischen Golf haben längst gegen den grossen Nachbarn Iran Front bezogen.
Starr und dogmatisch
Das Regime in Teheran fühlt sich auch zu Recht von US-amerikanischen Streitkräften und Stützpunkten bedroht, die rund um den Iran stationiert sind. Der Iran ist zudem von Atommächten umgeben: im Osten von Pakistan und von dessen Nachbarn Indien, im Norden von Russland und im Westen von Israel. Das Regime setzt alle seine Möglichkeiten ein, um sich militärisch mit moderner Bewaffnung und Ausrüstung gegen die drohenden Gefahren zu wappnen. Es ist zu vermuten, dass manche radikalen Gruppen auch eine nukleare Bewaffnung zur Selbstverteidigung für nötig halten. Andere lehnen es ab.
Einig scheinen sich alle islamischen Gruppen über die ideologische Ausrichtung zu sein. Die stand schon bei der Gründung des islamischen Staates fest: Feindschaft gegen den Westen und gegen den zionistischen Staat Israel. Diese Ideologie, die neben dem islamischen Glauben die wichtigste Säule des islamischen Gottesstaates Iran bildet, umfasst nicht allein die Politik und die Wirtschaft, sondern auch die Kultur im weitesten Sinn des Wortes. Jede Abweichung von dieser Ideologie, insbesondere in der Aussenpolitik, wird als Verrat an den Idealen der Revolution aufgefasst und erbittert bekämpft. Das macht die Aussenpolitik der Islamischen Republik starr und dogmatisch. Die Diplomatie, die Flexibilität und Kompromissbereitschaft voraussetzt, hat in dieser ideologisch befangenen Aussenpolitik nichts zu suchen.
Es ist höchst fraglich, ob ein solches Regime durch Sanktionen oder durch einen militärischen Angriff zu einer radikalen Kehrtwende in seiner Aussenpolitik gebracht werden könnte. Denn wie es scheint, werden die Herrschenden im Iran lieber die Sanktionen und sogar einen Krieg in Kauf nehmen, als dem Druck von aussen nachzugeben. Die Folgen hat – einmal mehr – die iranische Bevölkerung zu tragen.