Der Iran und der Atomdeal: Die Ernüchterung nach der Euphorie
Irans Konservative sind nicht grundsätzlich gegen eine Einschränkung des Atomprogramms. Aber sie befürchten die Öffnung der Islamischen Republik.
«Hoch lebe Sarif, hoch lebe Rohani», skandierte die Menschenmenge auf dem Teheraner Flughafen Mehrabad, als die iranischen Verhandlungsführer aus Lausanne eintrafen. Auf einem Plakat wurde Aussenminister Dschawad Sarif mit Mohammed Mossadegh verglichen, dem legendären Ministerpräsidenten, dem Anfang der fünfziger Jahre die Nationalisierung der Ölindustrie und damit das Ende der britischen Vorherrschaft gelang. In Lausanne einigten sich der Iran und die 5+1-Gruppe (die Uno-Vetomächte plus Deutschland) darauf, das iranische Atomprogramm zu beschränken und im Gegenzug die strengen Sanktionen gegen Teheran zu lockern.
Das staatliche Fernsehen sendete die Stellungnahme von US-Präsident Barack Obama live – auch das war ein Novum. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna beglückwünschte die Regierung zum «grossen Erfolg» – und redete gleich den iranischen KritikerInnen des Abkommens ins Gewissen: Selbstverständlich hätten beide Seiten Kompromisse machen müssen. Die Kritiker seien nun aber dieselben, die 2006 die Uno-Sanktionen gegen den Iran als ein «Stück wertloses Papier» bezeichnet und das Land in die völlige Isolation getrieben hätten.
«Katastrophales Misstrauen»
Einer der entschiedenen Gegner des Abkommens meldete sich wenige Stunden nach der Bekanntgabe der Einigung zu Wort. Hossein Schariatmadari, der vom Revolutionsführer Ali Chamenei ernannte Chefredakteur der Tageszeitung «Kayhan», kritisierte: «Wir haben ein gesatteltes Pferd verschenkt und dafür einen zerrissenen Zaum erhalten.»
Der konservative Abgeordnete Esmail Kosari warf der iranischen Verhandlungsdelegation vor, ein Jahr lang die «Zeit totgeschlagen» zu haben, während die westlichen Verhandlungspartner auf ihren Forderungen beharrt und sie am Ende durchgesetzt hätten. Und Hossein Taghawi, Mitglied des Parlamentsausschusses für nationale Sicherheit und Aussenpolitik, sagte: «Wir werden kein Abkommen akzeptieren, das nicht die sofortige Aufhebung der Sanktionen beinhaltet.»
Selbst bei gemässigten Konservativen, ja sogar bei einigen ReformerInnen stellt sich nach den ersten Tagen der Euphorie allmählich Ernüchterung ein, zumal die Darstellung der Ergebnisse von Lausanne in den USA und im Iran gravierende Unterschiede aufzeigen. Während zum Beispiel nach US-Darstellung die Sanktionen nach und nach «ausgesetzt» würden, sollen diese nach iranischer Darstellung unmittelbar nach der Unterzeichnung des Vertrags vollständig und endgültig «aufgehoben» werden.
Aussenminister Sarif versuchte, die KritikerInnen zu beschwichtigen. In einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen sagte er, die amerikanische Darstellung der vereinbarten Rahmenbedingungen sei «falsch». Grund sei die massive Kritik, der die US-Regierung im eigenen Land ausgesetzt sei. «Das Misstrauen zwischen dem Iran und den USA ist katastrophal», sagte Sarif weiter. Er hoffe, dass dieses durch den Atomdeal beseitigt werde.
Steine in der Innenpolitik
Sarif und noch mehr Präsident Hassan Rohani haben sich in ihrer nun fast zweijährigen Regierungszeit in erster Linie auf die Lösung des Atomkonflikts konzentriert, mit dem Ziel, dass die Sanktionen aufgehoben werden und so die kriselnde Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Sie sind sich wohl bewusst, dass sie einen wirtschaftlichen Aufschwung dringend benötigen, um die Bevölkerung bei der Stange halten und sich im tobenden Machtkampf gegen ihre mächtigen Gegner im Inland durchsetzen zu können.
Auch die Ultrakonservativen im Iran wünschen sich eine wirtschaftliche Erholung. Sie müssen deshalb wohl oder übel die Bemühungen der Regierung um die Lösung des Atomkonflikts gutheissen. Andererseits gilt es, einen Erfolg Rohanis und seiner Regierung zu verhindern. Allerdings werden sie kaum in Kauf nehmen, dass deswegen das Atomabkommen scheitert.
So haben sich die Hardliner bisher in der Aussenpolitik zurückgehalten. In der Innenpolitik haben sie der Regierung jedoch so viele Steine wie nur möglich in den Weg gelegt. Deshalb konnten Rohani und sein Kabinett so gut wie keines der im Wahlkampf abgegebenen Versprechen einlösen. Auch nach zwei Jahren ist eine Öffnung im Innern kaum spürbar. Die Justiz und andere Instanzen, die sich in der Hand der Konservativen befinden, haben dafür gesorgt, dass die Zensur der Presse, der Kunst und der Literatur rigoros aufrechterhalten bleibt. Internetseiten werden häufiger als je zuvor gefiltert, soziale Netzwerke gesperrt.
Zudem befinden sich die führenden gemässigten OppositionspolitikerInnen, Mehdi Karrubi, Mir Hossein Mussawi und seine Frau Sahra Rahnaward, seit Jahren im Hausarrest. Hunderte von Politikern, Journalistinnen, Schriftstellern, Anwältinnen und Menschenrechtsaktivisten, die im Zusammenhang mit der Protestbewegung von 2009 gegen die manipulierte Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad festgenommen wurden, sitzen noch im Gefängnis. Die Zahl der Todesurteile und Hinrichtungen steigt von Jahr zu Jahr.
Ende der Islamischen Republik?
Bei diesem Machtkampf kommt Revolutionsführer Ali Chamenei eine Schlüsselrolle zu. Er unterstützte bislang, wenn auch mit betonter Skepsis, die Atomverhandlungen. Allerdings hat er bisher zur Rahmenvereinbarung von Lausanne noch nicht Stellung genommen. Chamenei steht auf der Seite der Konservativen. Diese befürchten vor allem, dass eine Lösung des Atomkonflikts das Land zu stark dem wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Einfluss des Westens öffnet.
Tatsächlich scheint genau das aus westlicher, insbesondere US-amerikanischer Sicht das übergeordnete Ziel der Atomverhandlungen zu sein. Der Iran ist zu einer regionalen Grossmacht mit erheblichem Einfluss auf die arabischen Staaten geworden. Es wäre für die USA ideal, wenn sich die Islamische Republik in die neu zu gestaltende geostrategische Architektur des Westens im Nahen und Mittleren Osten integrieren liesse. In diese Richtung könnte auch die Äusserung Rohanis gedeutet werden, dass eine neue Zusammenarbeit in der Welt auch über den nuklearen Bereich hinaus «ein neues Kapitel für den Iran aufschlagen» werde.
Aus der Sicht der Hardliner im Iran wäre eine solche Entwicklung das Ende des islamischen Staats, der als antiwestlich begriffen wird. Mit einer Öffnung nach aussen würde er die Legitimation auch bei seinen treuen AnhängerInnen verlieren.
Die iranische Bevölkerung hofft auf eine Rettung aus der wirtschaftlichen Misere; die iranische Jugend hofft auf einen grundlegenden Wandel. Eine Einigung im Atomkonflikt könnte den gegenwärtigen Machtkampf im Iran verstärken – und sie könnte tatsächlich den Beginn einer neuen Ära einläuten.
Der iranisch-deutsche Germanist Bahman Nirumand (78) ist unter anderem Autor des Buchs «Iran Israel Krieg. Der Funke zum Flächenbrand» (Wagenbach Verlag, Berlin 2012).