Vor der Wahl im Iran: Ein Regime schminkt sich ab
Bei der anstehenden Parlamentswahl werden Tausende politisch unliebsame BewerberInnen nicht antreten dürfen. Die Hardliner um Revolutionsführer Ali Chamenei wollen die Macht im Land offenbar ganz monopolisieren – und riskieren damit viel.
Mehr als 1000 DemonstrantInnen sind bei den landesweiten Unruhen im November getötet worden, mindestens ebenso viele wurden verletzt und mehr als 7000 festgenommen. Zusammen mit den Protesten nach dem Abschuss der ukrainischen Maschine im Januar sendeten sie eine deutliche Botschaft an das Teheraner Regime: So kann es nicht weitergehen.
Voller Wut waren die Menschen auf die Strasse gegangen, weil nicht allein die Sanktionen, sondern auch die Misswirtschaft und vor allem die masslose Korruption das Land in eine tiefe Krise geführt haben. Sie haben demonstriert, weil sie belogen und betrogen wurden, weil sie das Gefühl haben, die Staatsführung nehme ihre Nöte nicht wahr, achte ihre Würde nicht. Die Versprechen der Regierung von Hassan Rohani, das Land nach innen und aussen zu öffnen, die Wirtschaft anzukurbeln, die Zensur der Medien, der Kunst und Literatur spürbar zu lockern und der Gesellschaft mehr Freiheit einzuräumen, wurden nicht eingelöst.
Die Antwort der Verfassung
Die Machthaber scheinen den Ernst der Lage allmählich begriffen zu haben. Sie stehen vor der Wahl, entweder Reformen durchzuführen oder den konfrontativen Kurs fortzusetzen und weiterhin zu versuchen, die Proteste mit Gewalt zum Schweigen zu bringen. Seit Jahren ist dies der eigentliche Streitpunkt zwischen Reformern und Hardlinern. Letztlich geht es um die Frage, ob der Iran eine Theokratie sein soll, die sich nach dem Koran und dem Willen der Geistlichkeit richtet – oder ob auch das Republikanische, das in der Bezeichnung des Staates erwähnt wird, also der Wille der Bevölkerung, zum Zug kommt.
Bereits nach dem Tod von Ajatollah Chomeini 1989 fragten sich immer mehr Menschen: «Haben wir denn erreicht, was wir durch die Revolution und den Sturz der Monarchie erreichen wollten?» Die Antwort leitete einen Machtkampf ein, der sich bis heute immer weiter zuspitzt – und in allen Bereichen der Gesellschaft geführt wird.
Zwar sind beide Seiten am Erhalt der Islamischen Republik interessiert; doch während die eine Seite die Lösung im Festhalten an einem streng islamischen Staat sieht, glaubt die andere, ohne gewisse Zugeständnisse an die Bevölkerung werde das Regime über kurz oder lang zugrunde gehen. Letztlich geht es also darum, wie viel Macht dem von der Bevölkerung gewählten Parlament und dem Präsidenten zugestanden wird und wie gross diesen gegenüber die Macht des geistlichen Führers und der von ihm ernannten Organe sein soll.
Die Verfassung gibt darauf eine klare Antwort: Sie basiert auf dem System des Welayat-e Faghieh. Das bedeutet, dass der herrschende Schriftgelehrte, der offiziell Revolutionsführer genannt wird, alle Entscheidungen des Parlaments und der Regierung zunichtemachen kann. Ein Recht, von dem er oft genug Gebrauch gemacht hat.
Steilvorlage für die Hardliner
Selbst als in der Regierungszeit von Mohammad Chatami (1997–2005) die Reformer im Parlament die absolute Mehrheit hatten, konnten sie kein einziges Gesetz durchsetzen, mit dem grundlegende Veränderungen hätten erzielt werden können. Auch der als gemässigt bezeichnete Präsident Rohani und seine Regierung erleben das gleiche Schicksal. Jede Reforminitiative der Regierung wurde bislang vom Revolutionsführer und der Justiz, dem Wächterrat und nicht zuletzt von den mächtigen Revolutionsgarden torpediert.
Am deutlichsten zeigt sich das in der Aussenpolitik. Rohani hatte zunächst alle Karten auf die Lösung des Atomkonflikts gesetzt und gehofft, nach dem Atomabkommen und der Aufhebung der Sanktionen einen raschen Aufschwung der Wirtschaft in Gang setzen zu können. Der Austritt der USA aus dem Abkommen und die neu verhängten Sanktionen machten ihm einen Strich durch die Rechnung – eine Steilvorlage für die Hardliner, die schon immer gegen das Vertragswerk gewesen waren.
Während Rohani und sein Aussenminister Dschawad Sarif versuchen, doch noch auf diplomatischem Weg eine Lösung zu finden, drängen die GegnerInnen darauf, nicht nur das Abkommen, sondern auch den Atomwaffensperrvertrag zu verlassen. Ihre VertreterInnen im Parlament forderten kürzlich, Sarif aus dem Aussenministerium zu jagen und ihn gerichtlich zu verfolgen, weil er in einem Interview mit dem «Spiegel» Verhandlungen mit den USA nicht ausgeschlossen hatte.
Es klingt absurd, ist aber wahr: Die iranische Aussenpolitik in der Region wird nicht vom Aussenministerium bestimmt, sondern von den Revolutionsgarden. Kassem Soleimani, der von den USA getötete Kommandant der Al-Kuds-Brigaden, war der eigentliche Architekt der iranischen Nahostpolitik. Das Aussenministerium wird meistens nicht einmal über wichtige Vorgänge informiert.
Auch wichtige innenpolitische Entscheidungen werden in Wirklichkeit weder von der Regierung noch vom Parlament gefällt. Presse, Kunst, Literatur und Filme werden rigoros zensiert, obwohl die Regierung immer wieder öffentlich erklärt, dass sie dagegen sei. Bei den Protesten im November wurde das Internet zehn Tage lang gesperrt, obwohl sich der Minister für Kommunikation und Technologie mehrmals dagegen ausgesprochen hatte.
Rigorose Ausgrenzung
Allmählich gelangen die Reformer zur Einsicht, die Islamische Republik sei nicht reformierbar. Sie selbst hätten bislang nur als Schminke gedient, um das Gesicht der Islamischen Republik vor der Aussenwelt liberal und demokratisch erscheinen zu lassen. Diese Erkenntnis stärkt jene Kräfte, die einen Regimewechsel anstreben.
Doch offenbar haben die jüngsten Proteste sowie die aussenpolitischen Ereignisse die Radikalen und Konservativen dazu bewogen, selbst auf diese Schminke zu verzichten und Andersdenkende völlig an den Rand zu drängen. Der Wächterrat, der vor jeder Wahl «ungeeignete» oder, besser gesagt, politisch unliebsame BewerberInnen zurückweist, was die Wahlen zu einer Farce macht, gab bekannt, von 14 000 BewerberInnen, die sich als KandidatInnen für die Parlamentswahlen am 21. Februar gemeldet hatten, seien 5000 als «geeignet» eingestuft worden.
Unter den Abgelehnten befinden sich eine ganze Reihe von Abgeordneten, die derzeit noch im Parlament tätig sind. Laut der Zeitung «Etemad» gehören die meisten von ihnen zum Kreis um die Reformer. Damit werde die Wahl zu einer «internen Abstimmung» unter den Hardlinern, schreibt die Zeitung.
Den ersten Berichten zufolge wurden von 762 BewerberInnen, die zu den Reformern gezählt werden, lediglich 44 zur Wahl zugelassen. Laut einer Erklärung der Reformer sind bereits vor der Wahl 160 von 290 Sitzen im künftigen Parlament an Konservative und Hardliner vergeben worden. Es ist die rigoroseste Ausgrenzung der Gemässigten in der vierzigjährigen Geschichte der Islamischen Republik.
Der Vorgang deutet darauf hin, dass die Rechten mit Revolutionsführer Chamenei an der Spitze entschlossen sind, die Macht nun ganz offen zu monopolisieren. Sie riskieren damit, dass die Wahlbeteiligung so niedrig ausfällt wie noch nie, die Unruhen im Land erheblich zunehmen, ja, sie riskieren sogar einen Krieg. Dem Iran stehen keine guten Tage bevor.
Bahman Nirumand (83) ist ein iranisch-deutscher Journalist und Autor zahlreicher Bücher.