Deutschland: Ein marktkonformer Mann für Merkel
Halb Deutschland jubelt – über einen künftigen Bundespräsidenten, der den neoliberalen Sparkurs für richtig hält und die Opposition gegen die Finanzmärkte «albern» nennt.
Die geistige Verwirrung von SPD, Grünen und der Mehrheit der Medien ist hoffentlich mit den Folgen der Fasnachtstage zu erklären. Denn sie alle sind fest davon überzeugt, dass die Nominierung von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten ein Sieg der Opposition und ein Desaster für Kanzlerin Angela Merkel sei. Es wird sich über kurz oder lang herausstellen: Das Gegenteil ist der Fall. In ungewollter Fürsorge zwangen die zwei Oppositionsparteien und die Medien Merkel einen Kandidaten auf, der dieser viel mehr Freude bereiten wird als ihnen. Um zu erklären, wie sie zu dieser verwunderlichen Einschätzung kommen, ist ein Blick zurück notwendig.
Als der vorletzte Bundespräsident, Horst Köhler, überraschend zurücktrat, hat die Bundesversammlung Ende Juni 2010 den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) im dritten Wahlgang gewählt – gegen Gauck. Gauck war damals schon der Kandidat dieser Koalition aus SPD, Grünen, einem Grossteil der Medien – von «Spiegel» über «Süddeutsche» bis zur rechtskonservativen «Welt» – und gemäss Umfragen einer Mehrheit der Bevölkerung. Die via Medien erzeugte Stimmung hat in jenem Frühsommer 2010 den einstigen ostdeutschen Bürgerrechtler und früheren Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde zum Messias stilisiert, Merkels Kandidat aber zu deren blassem und hörigem Apparatschik. Hosianna Gauck, kreuzigt Wulff. Nur Kanzlerin Angela Merkel wollte den Messias nicht, sondern unbedingt den nunmehr kläglich gescheiterten Wulff.
Ein Lob für Sarrazin
Schon damals konnten sich aufmerksame BeobachterInnen nur wundern: Warum bejubelt die Opposition ihren Kandidaten Gauck? Warum greift nicht Merkel selbst zu ihm? Denn schon damals im Frühsommer 2010 stand Gauck Merkel, ihrer Partei und der FDP viel näher als allen Parteien und Gruppen links des Mainstreams. Und das ist heute immer noch so: Gauck ist ein Konservativer reinsten Wassers. Die sozial sehr ungerechte Agenda 2010, die zu Hartz IV und Dumpinglöhnen führte, findet er uneingeschränkt gut, und den Krieg in Afghanistan verteidigt er: Dort bekämpfe die Völkergemeinschaft den Terror und leiste Gutes für die Bevölkerung. Dem latent ausländerfeindlichen SPD-Politiker und Bestsellerautor Thilo Sarrazin attestiert er «Mut», während er die Occupy-Bewegung mit ihrer Kritik an den Finanzmärkten «albern» nennt. Eine rot-rot-grüne Bundesregierung «wünsche ich mir nicht», und der Partei Die Linke fehle «die programmatische Verlässlichkeit». Auf die Deutschen sieht der ehemalige protestantische Pastor so herab: «Die Leute müssen aus der Hängematte der Glückserwartung durch Genuss und Wohlstand aufstehen.»
Die schwindsüchtige FDP unter ihrem Vorsitzenden Philipp Rösler, der auch Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister ist, bestätigte öffentlich, dass sie Merkel und die Union in dramatischen Gesprächen gezwungen habe, Gauck als Kandidaten zu akzeptieren. Die Koalition habe sogar am Abgrund gestanden. Das klingt einleuchtend, denn Gaucks Verständnis von «Freiheit in Verantwortung» ist dem der wirtschaftsliberalen FDP sehr nahe. Das sieht auch Friedrich Schorlemmer so, ebenfalls ein renommierter ehemaliger DDR-Bürgerrechtler. Gaucks Nominierung, kommentierte er, sei «eine Würdigung des Freiheitskampfes der Ostdeutschen». Allerdings müsste Gauck, so Schorlemmer, gleichermassen für Gerechtigkeit einstehen, «damit sich alle die Freiheit leisten können». Aber das tue er nicht.
Der bessere Kandidat
Deutschlands Bundespräsident hat keine Macht. Er muss Gesetze gegenzeichnen und soll vor allem gute Reden zu bedeutsamen Fragen halten. So stellt sich bei jedem Kandidaten für dieses Amt und bei jedem Bundespräsidenten die Frage: Was verkörpert er? Also: Was verkörpert Gauck?
Am Beispiel eines anderen Kandidaten, der bei der Union im Gespräch war, kann gut gezeigt werden, wofür Gauck nicht steht: Klaus Töpfer. In einigen Medienberichten hiess es, Angela Merkel habe bei ihrer Koalitionspartnerin FDP vergeblich für Töpfer geworben. Auch wenn das nicht stimmen sollte: Wenn SPD und Grüne ihn vorgeschlagen hätten, er wäre es sehr wahrscheinlich geworden. Klaus Töpfer: ein weltweit renommierter, wertkonservativer Umweltpolitiker, der nicht nur für eine atomenergiefreie Gesellschaft, sondern für eine andere Art des Wirtschaftens und des Lebens steht. Dank SPD und Grünen wird Deutschland dagegen einen 72-jährigen Mann zum Bundespräsidenten haben, der aufgrund seiner Verdienste allen Respekt verdient, in diesem Gestern verweilt – und den Markt mit Freiheit verwechselt.