Menschenrechte im Rohstoffbusiness: «Die Schweizer Rohstoffkonzerne sind extrem risikofreudig»

Nr. 8 –

Die Schweiz ist eine der wichtigsten Rohstoffdrehscheiben der Welt. Was für Geschäfte betreiben diese Firmen, und was bedeuten diese politisch für die Schweiz? Ein Gespräch mit Rohstoffexperte Urs Rybi.

WOZ: Herr Rybi, die Schweiz hat sich im letzten Jahrzehnt zu einer der wichtigsten Rohstoffdrehscheiben der Welt entwickelt. Was für Herausforderungen kommen damit auf die Schweiz zu?
Urs Rybi: Unseren Schätzungen zufolge laufen 15 bis 25 Prozent des Rohstoffwelthandels über die Schweiz. Damit sind gleichzeitig zahlreiche Probleme verbunden: Korruption, Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen. Die Schweiz wird immer mehr mit diesen Problemen in Verbindung gebracht. Sie gerät international zunehmend unter Druck.

Durch wen?
Die EU arbeitet an Plänen, um die Rohstoffindustrie transparenter zu machen. Nun fordert sie das Gleiche von der Schweiz. Hinzu kommen die Aufforderungen, sich an Sanktionen gegen bestimmte Staaten zu beteiligen – wie derzeit gegen Iran.

Aus der Bundesverwaltung ist die Befürchtung zu hören, dass der Rohstoffplatz bald unter ähnlichen Druck geraten könnte wie derzeit die Banken …
Die Schweiz droht hier tatsächlich in dasselbe Messer zu laufen. Unser Land hat schmerzlich erfahren müssen: Wer mit Regulierungsbemühungen zu spät kommt, den bestraft das Leben. Die Politik muss proaktiv handeln.

Die Interessen des Finanzplatzes sind in Bundesbern stark vertreten. Wie steht es um den Rohstoffplatz?
Die Rohstoffbranche ist personell weniger stark mit der Politik verflochten. Viele Firmen sind Zuzüger mit internationalen Führungskräften, die mit der Schweiz wenig zu tun haben. Allerdings sind die Rohstoffunternehmen in verschiedenen Kantonen trotz Sonderregeln wichtige Steuerzahler – etwa in Genf oder Zug. Das verleiht der Branche politisches Gewicht. Zudem hat sie gute Beziehungen zu gewissen Verwaltungsstellen, etwa dem Seco, dem Staatssekretariat für Wirtschaft. Der Genfer Branchenverband Geneva Trading and Shipping Association gibt in seinen Rundbriefen regelmässig damit an, über exzellente Drähte in die Verwaltung zu verfügen.

Im Vergleich zu den Banken schaffen die Rohstoffunternehmen hierzulande wenige Arbeitsplätze. Ist das ihre Achillesferse?
Das hat die Branche auch erkannt. Sie hat bereits Studien publiziert, die zeigen sollen, wie viele Arbeitsplätze die Branche schafft, um zusätzliche Argumente in der Hand zu haben.

Sie haben Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden angetönt …
Zwei Drittel der Energie- und Metallrohstoffe stammen aus Entwicklungsländern. Rohstofffirmen sind entsprechend sehr stark mit schwachen Staaten konfrontiert, in denen der Staat die Menschenrechte oft nicht garantiert. Zudem ist der Rohstoffsektor exponiert, weil er immer mit Landverschleiss zu tun hat: Rohstoffe werden in der Natur und oft in einer Umgebung ausgebeutet, in der Menschen leben. Bevor die Rohstoffe ausgebeutet werden, müssen diese weg. Und schliesslich tangiert Rohstoffförderung lokale Wasserressourcen.

Im Fall von Schweizer Firmen kommen drei spezielle Punkte hinzu: Erstens sind sie selten börsenkotiert – Glencore und Xstrata sind Ausnahmen. Damit sind sie zu besonders wenig Transparenz verpflichtet. Zweitens steigen die hiesigen Händler zunehmend selber in den Bergbau ein. Dort ist das Risiko, in Menschenrechtsverletzungen involviert zu werden, noch viel grösser. Und drittens: Die Schweizer Firmen sind extrem risikofreudig. Sie drängen in jene Märkte, die noch nicht besetzt sind. Das sind häufig Märkte in fragilen Staaten, in Konfliktzonen.

Was sind häufige Menschenrechtsverletzungen?
Es gibt die offenkundigen Menschenrechtsverletzungen, etwa die Vertreibung von Menschen. Häufiger handelt es sich jedoch um Verletzungen der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte. Nehmen Sie die Mopani-Mine in Sambia, die Glencore gehört (vgl. Haupttext): Dort wird das Recht auf Gesundheit stark tangiert: Der Ausstoss von Schwefeldioxyd ist unglaublich hoch, ein x-Faches des gesamten Schweizer Ausstosses. In Mufulira, wo Glencores Schmelzerei steht, ist zudem bereits zweimal Schwefelsäure in das Trinkwassersystem gelangt.

Sie haben vorhin auch die Korruption angesprochen …
Wenn Geld bei einem Staat ankommt, der schwach oder vielleicht sogar korrupt ist, besteht das Risiko, dass das Geld nicht der lokalen Bevölkerung zugutekommt. Das andere Problem ist aber ebenso wichtig: Gelangt überhaupt ein fairer Anteil der Gewinne aus dem Rohstoffgeschäft an den Staat? Wegen günstiger Verträge und aggressiver Steuervermeidung durch die Konzerne ist das häufig nicht der Fall. Beide Probleme haben miteinander zu tun: Je lukrativer die Bedingungen für die Konzerne sind, desto grösser ist die Bindung ihrer Manager zu den politischen Eliten – das ist ein Klüngel.

Über fünfzig Schweizer NGOs, darunter auch die Erklärung von Bern, haben jüngst die Kampagne «Recht ohne Grenzen» lanciert …
Wir fordern, dass der Bund den Schweizer Konzernen, die im Ausland tätig sind, Mindestauflagen macht. Konzerne sollen verpflichtet werden, zu überprüfen, was ihre ausländischen Geschäftsaktivitäten für Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte haben. Die Mutterkonzerne, die in der Schweiz sitzen, sagen: Mit unseren Töchtern haben wir nichts zu tun. Wir saugen zwar hundert Prozent ihrer Gewinne ab, um sie dann in den hiesigen Steuerparadiesen zu versteuern, übernehmen jedoch keine Verantwortung für die Art und Weise, wie diese Gewinne zustande kommen. Die Konzerne sollen nicht mehr von Doppelstandards profitieren können, um Drecksgeschäfte in schwachen Ländern zu machen.

Zudem fordern wir den Zugang von Opfern zu Schweizer Gerichten: Opfer von Tochtergesellschaften müssen hier gegen die Schweizer Mutterkonzerne klagen können. Die hiesigen Konzerne sollen für ihre Fehler geradestehen. Heute zu klagen, ist so schwierig und teuer, dass es hierzulande noch nie zu einem solchen Prozess gekommen ist.

Urs Rybi

Der 34-jährige Urs Rybi arbeitet bei der entwicklungspolitischen Organisation Erklärung von Bern (EvB) zum Thema «Unternehmen und Menschenrechte» und ist verantwortlich für den Fachbereich Rohstoffe. Zudem vertritt er die EvB in der Kampagne «Recht ohne Grenzen», mit der über fünfzig Schweizer NGOs strengere Regeln für Konzerne fordern, die im Ausland tätig sind.