Umweltbelastungspunkte: Ist Huhn halb so schlimm?

Nr. 9 –

Bettina Dyttrich über die scheinbare Objektivität von Ökobilanzen.

«So verderben uns Beamte den Appetit»: Berechnungen des Bundesamts für Umwelt (Bafu) haben es letzte Woche auf die Seiten 2 und 3 von «Blick am Abend» geschafft. Dort war zu erfahren, dass saisonale Bohnen aus der Schweiz zehnmal umweltfreundlicher sind als solche, die mit dem Flugzeug aus Ägypten kommen. Oder dass Schweizer Treibhausbohnen die Umwelt genauso stark belasten wie aus Spanien importierte. Gut zu wissen.

Problematisch wird es allerdings beim Fleisch: Eine Mahlzeit mit Rindsragout bringt es laut Bafu auf 6000 Umweltbelastungspunkte, das gleiche Menü mit Geflügelragout nur auf knapp die Hälfte, «weil Hühner das Futter viel besser verwerten als Rinder».

Es stimmt: Rinder müssen mehr Kalorien zu sich nehmen als Hühner, um ein Kilo Fleisch anzusetzen. Die grosse Frage ist allerdings, woraus diese Kalorien bestehen. Hühner brauchen eine Mischung aus Kohlehydrat- und Eiweissfutter, also Getreide und Hülsenfrüchte (oder Fleischabfälle – aber das ist verboten). Das können wir genauso gut selber essen: So werden viel mehr Menschen satt, als wenn wir es zuerst den Hühnern füttern. Rinder dagegen können sich als Wiederkäuer von Gras und Kräutern ernähren. Menschen nicht, weil ihnen die Fähigkeit fehlt, Zellulose zu verdauen. Rinder wären also eigentlich keine Nahrungskonkurrenten der Menschen – eigentlich, denn heute bekommen sie immer mehr Getreide und Soja, um mehr Milch und Fleisch zu produzieren.

Ein Stück Weiderindfleisch aus dem Berggebiet ist trotz Bafu-Bilanz ökologischer und vor allem sinnvoller als ein Stück Geflügelfleisch. Denn das Huhn frisst menschliche Nahrung weg, es besetzt gewissermassen den Acker. Und auch die Treibhausgase, die im Ackerbau entstehen, müssen berücksichtigt werden. Ein Weiderind in den Alpen nutzt dagegen Flächen, die sonst keine Lebensmittel liefern würden (ausser vielleicht etwas Wildgemüse). Für ein Intensivmastrind, das vor allem Mais, Getreide und Soja frisst, stimmt das natürlich nicht.

Ökobilanzen täuschen eine Objektivität vor, die es nicht gibt. Denn je nachdem, was alles einbezogen wird, sehen sie ganz anders aus. Die Produktion von Rindfleisch braucht zum Beispiel auch viel mehr Wasser als die Produktion von Poulet (wie der «Beobachter Natur» einmal vorgerechnet hat). Entscheidend ist aber, ob dieses Wasser einfach vom Himmel fällt – wie in den Schweizer Alpen – oder ob dafür Raubbau am Grundwasser betrieben wird wie auf Rinderfarmen in den Trockengebieten der Welt.

Wer ökologisch essen will und das alles zu kompliziert findet, lässt das Fleisch lieber ganz weg. Wer aber nicht auf Fleisch verzichten will, sollte genau hinschauen: Die einfache Formel «Huhn ist halb so schlimm wie Rind» taugt nichts.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.