Fumoir: Der Gesichtsverlust
Ruedi Widmer über Dienstleistungen auf Sparflamme.
Wer am Flughafen eincheckt, macht dies an einem Automaten. Wer Bahntickets kauft, setzt sich vor das Internet. Man begegnet keinem Menschen bei diesen Tätigkeiten. Das ist alles sehr bequem, weil man das auch im Pyjama oder schlecht gelaunt machen kann. Doch für viele Menschen, besonders ältere, ist das alles nicht erfreulich. Es führt ihnen ihre eigene Hilflosigkeit vor Augen, und es fördert ein Anonymitätsgefühl, das ihnen nicht Freiheit bedeutet, sondern Angst macht.
Aber was heisst das nun für die Unternehmen? Vielerorts sind die Angestellten verschwunden, die an vorderster Front das Gesicht eines Unternehmens prägten. Bei der Post sind sie noch da. Eine Bekannte, die am Schalter arbeitet, sagte mir, dass sie den Kopf hinhalten müsse für die Geizmassnahmen, die von oben verordnet werden. Die Leute schimpfen am Schalter. Nicht in der Teppichetage, weil sie da gar nicht hinkommen. Die Menschen am Schalter aber neutralisieren die Wut, weil die KundInnen wissen, dass sie nichts dafürkönnen. Sympathien für die Post bestehen nur noch ihretwegen.
Eine Firma, die von Gesichtern lebt, nämlich Facebook, wird absolut gesichterlos geführt. Die KundInnen sind ganz alleine in Facebook. Sie sehen nur die anderen KundInnen. Es ist kein Facebook-Steward zugegen, der in einer Uniform im typischen Facebook-Blau bei Problemen lächelnd zu Hilfe eilen würde. Wenn Facebook nicht läuft, kommt keine Facebook-Hostess, die den KundInnen als Entschuldigung Schöggeli verteilt.
Sie müssen sich selber helfen. Man spürt: Hier wird Geld verdient, dass es kracht. Denn die Dienstleistung läuft auf minimaler Sparflamme. Und so sind etwa die Hälfte der Facebook-UserInnen eigentlich Facebook-HasserInnen und würden sofort das ganze Unternehmen in die Luft sprengen. Facebook als Empfangshülle ist kalt und tot. Die SBB sind dagegen (noch) ein warmer Mutterschoss.
Man sieht bei aussergewöhnlichen Ereignissen, wie wichtig menschliche Regungen in Unternehmen sind. Bleibt der Zug stehen, sind die Leute schnell zufrieden, wenn der Lokführer eine entschuldigende Erklärung abgibt. Die kann noch so technisch unverständlich sein, aber wenn die Reisenden das Bedauern in seiner Stimme spüren, sind am nächsten Tag fünfzig Leserbriefe weniger in den Zeitungen. Hören die Reisenden aber nichts oder versucht eine Leitzentrale, Verständnis zu wecken, dann ärgern sie sich zu Recht. Weil Verständnis bei den steigenden Ticketpreisen die wenigsten haben, aber die meisten eine Entschuldigung annehmen. Der Mensch an der Front ist das Bindeglied zwischen KonsumentInnen und Unternehmen. Er steht den KundInnen heute oft näher als seinen eigenen Vorgesetzten und vermittelt ihnen so das Gefühl, kommt, wir machen das zusammen, dann klappt es.
Parallel zum Gesichtsverlust an wichtigen Stellen sind an vollkommen unnötigen Orten Gesichter aufgetaucht. Zum Beispiel im TV-Wetterbericht. Oder in der Gratiszeitung, wo eine Person den SMI-Kurs «präsentiert». In diesen Fällen setzen die Kommunikationsleute plötzlich andere Massstäbe. Man müsse «personifizieren», die KundInnen sollen «abgeholt» werden, es seien «Emotionen reinzubringen».
Man kann davon ausgehen, dass an solchen Stellen Überflüssiges verkauft oder kommuniziert wird, das mit einem Gesicht aufgewertet werden muss.
Es gäbe weniger Vandalismus, hätte es mehr Zugpersonal. Nicht nur, weil die Leute vor Menschen mehr Respekt haben als vor Computerstimmen, sondern weil der Zug eine Seele bekommt. Die SBB werden wie Facebook, wenn sie nicht umdenken.
Ruedi Widmer ist Cartoonist und lebt in Winterthur.