Medientagebuch: Konsequent neue Töne
Linda Stibler über fünf Monate «TagesWoche»
Seit fünf Monaten erscheint in Basel die «TagesWoche». Seither stiegen AbonnentInnenzahlen und Kioskverkäufe stetig. Der Onlinebesuch übertraf alle Erwartungen. Das zeigt, dass die «TagesWoche» ihre LeserInnen findet und sich bis jetzt behaupten kann. Ob sie längerfristig über die Runden kommt, bleibt offen. Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass diese Zeitung neue journalistische Akzente setzt. Sie markiert eine Abkehr von der reisserischen Sensationsmache, die den Journalismus in den letzten Jahren in Verruf gebracht hat.
Die Neugierde wird nicht mit Skandalen geweckt, sondern mit einer klugen Auswahl von Themen, die den Menschen auf den Nägeln brennen. In jeder Nummer gibt es einen Schwerpunkt, etwa über das Phänomen, dass Kinder immer stärker zu NarzistInnen erzogen werden. Mit leichter Ironie werden dazu Fakten aus der Schweiz und den USA ausgebreitet. Oder ein anderer Schwerpunkt, «Was uns krank macht», der die leeren Versprechen der Gesundheitsprävention unter die Lupe nimmt und deren wirtschaftliche Interessenhintergründe ausleuchtet. Es braucht Mut, ein solches Thema in der Pharma-Hauptstadt zu beackern. Daneben finden sich grosse Interviews mit Leuten aus der regionalen und schweizerischen Politik und Gesellschaft, auch spannende Streitgespräche wie etwa in der letzten Nummer zwischen dem Basler SP-Präsidenten Martin Lüchinger und FDP-Regierungsratskandidat Baschi Dürr. Markenzeichen solcher Interviews: Sie sind sachbezogen, manchmal persönlich, nie aber unanständig. Und das Besondere daran: die Bilder, die oft mehr sagen als Worte.
Bleibt noch ein kurzer Blick auf die tägliche Onlineausgabe. Auch sie ist konsequent im neuen Ton gehalten. Täglich gibt es einige gut recherchierte Berichte als Eigenleistung, daneben viele Agenturberichte – sorgfältig aufbereitet und bebildert, sodass man über das Wesentliche regional, national und international informiert ist. Das Witzige daran sind die LeserInnenkommentare.
Es gibt auch Schwachstellen, sowohl in der Print- wie in der Onlineausgabe. Manche Stoffe sind etwas zu langfädig ausgebreitet. Mehr Vielfalt – und dabei auch kleinere Beiträge – wäre wünschenswert. Insgesamt aber ist die «TagesWoche» eine wundersame, seltene Erscheinung. Schön und sinnlich gestaltet, wendet sie sich an ein urbanes, selbstbewusstes Publikum, ohne elitär zu sein. Genügt das zum Überleben? Das Unternehmen ist eine Gratwanderung – oder ein Spagat zwischen allgemeinen und regionalen Bedürfnissen, zwischen Unabhängigkeit und der Notwendigkeit von zusätzlichen Inserateeinnahmen. Gerade die grossen, mächtigen Inserenten werden sich jedoch hüten! Und schliesslich findet ein unerbittlicher Verdrängungskampf der «Basler Zeitung» statt, deren Geldgeber – Blocher & Co. – sich etwa eine Gratisverteilung ihrer Sonntagsausgabe in der ganzen Region leisten können.
Hinzu kommt die immer noch tief verwurzelte Sehnsucht nach einer täglichen Ausgabe, wie sie etwa der Fussballer Benjamin Huggel im Interview geäussert hat: Er möchte jeden Morgen eine «TagesWoche» im Briefkasten haben. «Das Zeitunglesen des Morgens ist eine Art von realistischem Morgensegen», soll Georg Wilhelm Friedrich Hegel bereits vor 200 Jahren geäussert haben. Ist das Nostalgie? Ist die «TagesWoche» ein Zukunftsmodell? Steigen die Leute für den täglichen Bedarf tatsächlich aufs Netz um? Das bleiben spannende medienpolitische Fragen.
Linda Stibler ist Journalistin in Basel.