«TagesWoche»: Das Phantom
Intransparenz, Entlassungen, seltsame Auflagezahlen: Die Basler «TagesWoche» steht vor einem Scherbenhaufen. Welche Rolle spielt dabei Georg Hasler, der Mann im Hintergrund?
Ganz Basel war in heller Aufregung. Der Tessiner Financier Tito Tettamanti hatte die «Basler Zeitung» übernommen, Markus Somm, Blocher-Biograf und Ex-«Weltwoche»-Mann, wurde zum Chefredaktor ernannt. Das erste Halbjahr 2010 war ein Schock für die Stadt am Rheinknie, die sich als links oder wenigstens linksliberal versteht. Schnell vermutete man Christoph Blocher als Hintermann, aber es sollte noch einige Zeit vergehen, bis der Herrliberger Milliardär das Versteckspiel auf- und seine Beteiligung an der «Basler Zeitung» («BaZ») öffentlich zugeben würde.
In diesem Umfeld entstand die «TagesWoche», die Anti-«BaZ», die sie nie sein wollte, aber doch immer war. Basel freute sich über die neue Medienvielfalt. Die Presselandschaft war begeistert, dass jemand ein neues Projekt wagte. Die LeserInnen schienen den Mut zu belohnen: Nach einem Jahr wies die «TagesWoche» eine verkaufte Auflage von 22 500 Exemplaren aus, 2013 stieg die Zahl weiter auf 26 500, während die meisten anderen Schweizer Zeitungen an LeserInnen verloren.
Die «TagesWoche» war ein verheissungsvolles Projekt: Die Finanzierung über eine Mäzenin war zukunftsweisend, das Hybridformat neuartig. Eine Wochenzeitung, die täglich online publizierte – oder war es umgekehrt? Eine Onlineplattform, die nebenher als Wochenzeitung erschien?
Die Frage führt mitten in einen Konflikt, der die Redaktion spaltete, letzten Frühling zu einem Strategiewechsel führte (oder «Putsch», wie manche sagen) und mit Entlassungen und Abgängen erfahrener JournalistInnen endete. Zuletzt musste vor drei Wochen der ehemalige Chefredaktor Urs Buess die «TagesWoche» verlassen – nach «unüberbrückbaren Differenzen» mit der Geschäftsleitung.
Die Anfangseuphorie ist längst verflogen. Auf der Redaktion herrsche eine Stimmung der «inneren Emigration», wie es heisst. Der kürzliche Relaunch der Zeitung ist missglückt, und nachdem Tele Basel im Februar aufgedeckt hatte, dass die «TagesWoche» bloss die Hälfte der Auflage tatsächlich verkaufte, wurde ein polizeiliches Ermittlungsverfahren eröffnet. Die «TagesWoche» rechtfertigte sich, die Wemf AG für Werbemedienforschung habe die Zahlen beglaubigt, und schlüsselte im Detail auf: nur 9765 Abonnemente und 350 Kioskverkäufe, dafür knapp 15 000 Promo-, Flughafen- und Belegexemplare.
Zweieinhalb Jahre nach dem Start hat die «TagesWoche» viel verbrannte Erde hinterlassen. Sie trat mit dem Anspruch an, transparent zu sein, heute wird ihr selbst Intransparenz vorgeworfen. Was zum Teufel ist da bloss schiefgelaufen?
Der Geigenbauer
Wo nahm die Geschichte der «TagesWoche» ihren Anfang? Als Blocher als Besitzer der «BaZ» geoutet wurde? Als Kulturschaffende den Aufruf «Rettet Basel» lancierten? Als die Roche-Erbin Beatrice Oeri ihr Portemonnaie für die Stiftung Medienvielfalt öffnete? Wahrscheinlich begann alles schon ein paar Jahre früher, ohne dass man die Zukunft gekannt hätte, ohne genauen Plan, aber mit der Gewissheit, dass etwas falsch lief, und mit dem Wunsch, die Verhältnisse in Basel und der Welt zu verändern.
Wahrscheinlich begann alles mit einem Mann namens Georg Hasler, einem Basler Unternehmer, der vielfach verbandelt ist, aber fast so selten in Erscheinung tritt wie seine enge Geschäftspartnerin Beatrice Oeri.
Hasler (44) stammt aus einer Familie klassischer MusikerInnen, selbst spielt er Jazz. Er wuchs im solothurnischen Dornach auf, anthroposophischer Hintergrund, bedächtiger Typ, angenehm im Umgang. Er verbrachte in seiner Kindheit viel Zeit auf dem Schrottplatz: «Man blickt von hinten auf die Welt und schaut, was daraus zu machen ist», sagte er einmal an einem Salongespräch zum bedingungslosen Grundeinkommen. Eigentlich wollte er Erfinder werden, machte aber eine Lehre als Geigenbauer. Zog in die Berge ins Glarnerland, wo er das Handwerk von A bis Z lernte, vom Baum bis zur Geige: Messer schleifen, Bäume fällen, spalten, sägen, lagern. Das Herstellen einer Geige faszinierte ihn: «Eine wirklich gute Geige zu bauen, die vibriert und glänzt auf eine Art, wie das Dinge fast nicht tun können, ist wie Gold machen.»
Später verliess er Wald und Berge, kam zurück in die «abgelenkte Welt» und sah «die Diskrepanz zwischen einer schönen Geige und den Vorstädten von Zürich» – hässlich, fand er. Er rutschte in die Informatik, wurde Programmierer, schrieb ein Manuskript mit dem Titel «Blütenstaubwirtschaft», eine fantastische All-inclusive-Mischung aus Liberalismus und Sozialismus. Die Mittel zur Erlösung der Menschheit: Grundeinkommen und Open Source.
Ideenwerkstatt Unternehmen Mitte
Neunzehnmal zog Hasler um, bis 2003 in Kleinbasel ein Häuserpaket zum Verkauf stand. Er besorgte sich Geld, kaufte das Geviert an der Oetlingerstrasse und liess es zu einer Familiensiedlung umbauen: acht Siebenzimmerwohnungen, je knapp 200 Quadratmeter, 3000 Franken Miete. Familien erhalten einen Rabatt. Das Motto: «Grossbürgerliches Wohnen, neu interpretiert». Hasler zog mit seiner Familie gleich selber ein, Tobias Faust, Geschäftsführer der «TagesWoche» und Freund, wohnt heute ebenfalls in der Siedlung.
Bereits 1999 hatte Hasler mit den Freunden Daniel Häni und Thomas Tschopp den ehemaligen Sitz der Schweizerischen Volksbank übernommen und zum Unternehmen Mitte umbauen lassen. Hier bezog die «TagesWoche» später ihre Büros, hier erfand Hasler-Freund Häni die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen, hier hatten Hasler und Bekannte im Oktober 2004 auch die Idee, eine Petition zu lancieren. Die «BaZ» war soeben in neuem Kleid erschienen, und die Inserate im Kulturkalender wurden gebührenpflichtig, was in Basel (lange vor Blocher) zu einem Boykottaufruf führte. Die Petition trug den Titel «Liebe NZZ». Der Wunsch: ein Basler Regionalbund in der «Neuen Zürcher Zeitung». Tatsächlich soll Hasler später Gespräche mit der NZZ geführt haben, eine Alternative zur «BaZ» blieb aber lange Zeit frommer Wunsch.
Bis am 28. Oktober 2011 die erste Ausgabe der «TagesWoche» erschien. Herausgegeben wurde die Zeitung von der Neue Medien Basel AG, die von der Stiftung für Medienvielfalt finanziert war, die wiederum von der Stiftung Levedo finanziert war, in deren Stiftungsrat zwei Personen sassen: Roche-Erbin Beatrice Oeri und Georg Hasler.
«Die Definition von Wahnsinn»
Die Stiftung Levedo war bereits 2007 gegründet worden, aber nicht für die «TagesWoche», sondern für ein anderes Medienprojekt, das kläglich scheiterte. 2006 hatte Hasler mit Thomas Gilgen, einem der Betreiber des Zürcher Nachtclubs Dachkantine, eine Konzession für ein DAB-Radioprojekt beantragt: «Radiolab / Open Broadcast» sollte – ganz im Sinn von Haslers Philosophie – ein Community-Projekt sein mit wenig Profis, dafür umso mehr UserInnen, die alles selber machen sollten. Zwei Dutzend Programmierer wurden eingestellt, Beatrice Oeri stellte Räumlichkeiten und die Finanzen dafür zur Verfügung, noch vor Sendebeginn hatte das Projekt mehr als zwei Millionen Franken verschluckt. Denn im Grunde bestand eigentlich kein Plan: «Open Broadcast» hatte mit einer Art Meditation unter Haslers Leitung in den Bergen begonnen.
Das Resultat war ein dicker Stapel handgeschriebener Glaubenssätze, die zu einer Papierspirale zusammengetackert wurden und fortan als Leitbild galten. Eine ehemalige Weggefährtin Haslers sagt: «Es war die Definition von Wahnsinn. Da sassen zwanzig Programmierer und hatten keine Ahnung, was sie tun sollten. Aber es kam laufend Geld rein, mehr, als man brauchte. Es war wie ein Traum. Es gab kein Konzept, aber eine Mama mit unbegrenzt viel Geld.» Als ein Scheitern absehbar wurde, zog sich Hasler zurück, verliess den Verwaltungsrat und kontrollierte das Projekt fortan diskret über die geldgebende Stiftung Levedo. Open Broadcast ging zwar auf Sendung, startete aber nie richtig durch. 2010 hatte es laut «NZZ am Sonntag» 300 registrierte NutzerInnen, 30 davon aktiv.
Die Parallelen zur «TagesWoche» sind augenfällig. Hasler gehörte auch hier zur Kerngruppe, die in der Vorprojektphase das Konzept ausarbeitete, mit dem Beatrice Oeri für die Finanzierung gewonnen wurde. Mit dabei die heutige Führung der «TagesWoche»: Chefredaktor Dani Winter, Geschäftsführer Tobias Faust und Verwaltungsrat Ivo Bachmann. Hasler trat als Sprecher der Stiftung Levedo auf und redete stellvertretend für die öffentlichkeitsscheue Milliardärin Oeri. Danach verschwand auch Hasler aus der Öffentlichkeit.
Bis heute hat er – zumindest auf dem Papier – keine Funktion bei der «TagesWoche». Trotzdem gilt er für viele im Umfeld der Zeitung als heimlicher Machthaber mit freundschaftlichen Verbindungen in den Betrieb, der Mann im Hintergrund, ohne den nichts gehe. Der Strategiewechsel im Mai 2013 (Titel: «Online First») trage Haslers Handschrift, ebenso die Stärkung der Community zulasten der Redaktion. Dabei ersetzte Dani Winter Urs Buess als Chefredaktor. Buess wurde stattdessen zum publizistischen Leiter ernannt und in einen Verlegerausschuss befördert. Heute wirkt es, als hätte dem Gremium nie eine tragende Rolle zukommen sollen und es sei bloss zur gestaffelten Entlassung von Buess errichtet worden.
Zwei Beispiele stützen den Verdacht und zeigen das Zerwürfnis zwischen alter und neuer Leitung. Erstens: Ein Redaktionsstatut, das der Verlegerausschuss vorlegte, hätte dem publizistischen Leiter Buess mehr verlegerische Kompetenzen eingeräumt, was der Geschäftsleitung um Dani Winter missfiel. Sie lehnte es wegen «inhaltlicher Mängel und anderer Widersprüche» ab. Zweitens: Buess plante Ende 2013 einen Leitartikel, warum das Grundeinkommen aus linker Sicht abzulehnen sei. Auch das verhinderte Winter, «nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil es der falsche Zeitpunkt war».
Tatsächlich wurde der Verlegerausschuss mittlerweile aus dem Impressum gestrichen. Dani Winter bestätigt, dass der Ausschuss seit Buess’ Abgang nicht mehr aktiv ist.
«Ohne Hasler keine ‹TagesWoche›»
Manche vermuten hinter den Veränderungen Haslers Einfluss. Da er aber diskret sei, indirekt wirke und sein Engagement stets im Ungefähren bleibe, nennt man ihn auch «das Phantom». Andere sehen in ihm bloss den «Schlüssel zu Oeris Schatulle». Über Hasler existieren viele Gerüchte, wenig davon ist belegt. Hasler selbst äussert sich kaum öffentlich. Der WOZ antwortete er auf eine Interviewanfrage, dass er lediglich Stiftungsrat der Levedo sei. Er habe zwar in der Vorprojektphase mitgewirkt, «und natürlich interessiert es uns, was jeweils daraus wird», er spiele aber keine Rolle mehr.
Positiver sieht Guy Krneta Haslers Rolle. «Ohne Hasler gäbe es vermutlich keine ‹TagesWoche›», sagt der Schriftsteller, der 2010 die Initiative «Rettet Basel» ins Leben rief. Hasler sei ein Macher, der etwas draufhabe. «Bei aller Kritik an der ‹TagesWoche›: Ohne sie wäre die Medienlandschaft Basel zum Verzweifeln.» Insbesondere schätze er deren Onlineausgabe. Dani Winter, Chefredaktor der «TagesWoche», sagt, Hasler habe «konkret gar keine Rolle» bei der Zeitung. Er sei lediglich Stiftungsrat der Levedo. «Auf den Inhalt der ‹TagesWoche› haben weder Oeri noch Hasler je Einfluss genommen.»
Hinter vorgehaltener Hand sagen allerdings verschiedene Personen, dass Hasler seinen Einfluss diesen Frühling stärker geltend gemacht habe als sonst. Nach dem Trubel um die Auflage der «TagesWoche» wollte der Verwaltungsrat der Neue Medien Basel AG personelle Konsequenzen ziehen. Tobias Faust wäre als Geschäftsführer davon betroffen gewesen. Hasler, langjähriger Freund Fausts, soll aber eine Freistellung verhindert haben. Chefredaktor Winter will dies weder bestätigen noch dementieren. Verwaltungsrat Ivo Bachmann will das nicht kommentieren. Faust sagt, dass er davon nichts wisse. Er werde vom Unternehmen, der Geschäftsleitung, dem Verwaltungsrat und der Eigentümerin voll getragen. Georg Hasler reagierte nicht auf eine diesbezügliche Anfrage.