Internationale Entwicklungspolitik: Schweizer Chaosstrategie und Neokolonialismus

Nr. 17 –

Um die Unctad, die Handels- und Entwicklungsorganisaion der Vereinten Nationen, tobt ein Kampf zwischen Nord und Süd, wie es ihn schon lange nicht mehr gab. Die Schweiz mischt dabei kräftig mit.

Die Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd um eine neue Weltwirtschaftsordnung ist auch ein Ringen um Ideologien. Und die Schweiz ist ganz vorne dabei: Sie ist die Anführerin einer starken Verhandlungsgruppe von Industrieländern am derzeit laufenden Vierjahrestreffen der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (Unctad) in Doha (Katar). Die Länder des Nordens wollen dort die Befugnisse der Entwicklungsorganisation massiv einschränken.

Schon länger ist die Unctad für die Mehrheit der Industrieländer ein Ärgernis. Denn anders als thematisch verwandte Organisationen wie die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds (IWF) hat sich die Unctad zu einer starken Stimme des Südens entwickelt. Der aktuelle Unctad-Vorsitzende kommt aus Thailand, während die Präsidentschaften von Weltbank und IWF seit je in US-amerikanischen respektive europäischen Händen sind. Nicht zuletzt erarbeitet die Unctad mit Sitz in Genf ökonomische Analysen, die gerne mal von orthodox neoliberalem Gedankengut abweichen und auch zu Kernthemen von Weltbank und IWF nicht schweigen.

Offiziell geht es der Schweiz und der von ihr koordinierten Ländergruppe um eine Stärkung der Unctad: «Die Konferenz hat zum Ziel, die Arbeitsschwerpunkte für die kommenden vier Jahre festzulegen», sagt Hans-Peter Egler vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), Mitglied der Schweizer Delegation, gegenüber der WOZ. «Die Effizienz der Organisation, die Resultatorientierung und die Ausrichtung auf ihr Kernmandat stehen dabei im Vordergrund. Nur durch Konzentration auf das Themenfeld ‹Handel und Entwicklung› schafft sie einen Mehrwert zu anderen internationalen Organisationen.»

Entscheidung dank Kopfschmerzen

Das sehen VertreterInnen des Südens und unorthodoxer wirtschaftswissenschaftlicher Positionen anders. Vor der Konferenz haben 49 namhafte WissenschaftlerInnen und (frühere) FunktionärInnen wie der Harvard-Ökonom Dani Rodrik oder Brasiliens Exfinanzminister Rubens Ricupero einen offenen Brief publiziert, in dem sie der Gruppe der Industrieländer vorwerfen, die Unctad mundtot machen zu wollen. Der «Mehrwert» der Unctad liege genau darin, dass sie die Entwicklungsproblematik umfassend betrachte. VertreterInnen von zehn grossen Entwicklungsländern betonten in diesem Sinne, dass sich die Unctad weiterhin auch mit der Problematik der Finanzmärkte beschäftigen solle. Der IWF hat für den «europäischen Rettungsschirm» bereits jetzt mehr Geld lockergemacht als für die schweren Krisen der neunziger Jahre in Russland, Südkorea und Mexiko zusammen. Da ist kein Wunder, dass sich die Entwicklungsländer durch den eigentlich für Finanzmarktfragen zuständigen IWF nicht vertreten fühlen.

Der Norden stieg martialisch in die Verhandlung ein. Kommentatoren des britischen «Guardian» und der Hongkonger «Asia Times Online» waren irritiert vom Ton des Schweizer Botschafters Luzius Wasescha während der Vorbereitungskonferenz. Im Namen seiner Verhandlungsgruppe soll er gesagt haben, das Ziel bestehe darin, gegen den Süden zu «mauern», «Chaos» und «Kopfschmerzen» zu erzeugen und dann die Entscheidung herbeizuführen. Hans-Peter Egler vom Seco möchte diese Berichte nicht näher kommentieren: «Es handelt sich bei diesen Aussagen um Momentaufnahmen – die Situation hat sich bereits stark verändert, denn die Verhandlungen zum Text des Abschlussdokuments sind in vollem Gange.»

Viel Bürokratie, wenig Austausch

Diese Meinung teilt Vijay Prashad nicht. Der Professor für internationale Studien berichtet für die «Asia Times Online» von der Doha-Konferenz und sagt gegenüber der WOZ: «Die Industrieländer strichen in den ersten Tagen der Hauptkonferenz konsequent alle Aussagen aus dem Entwurf des Verhandlungstexts, die entweder dem Staat eine gewisse Bedeutung in der Entwicklungspolitik zuschreiben oder Fragen der Finanzmarktregulation betreffen.» Der thailändische Botschafter Pisnau Chanvitan könne sich solches Verhalten nur mit dem «Wunsch nach einem neuen Neokolonialismus» erklären. Solch eindeutige Worte sind auf diplomatischer Ebene zu diesem Thema schon lange nicht mehr gefallen.

Die Forderung der Unctad-KritikerInnen nach mehr Effizienz und Transparenz ist allerdings nicht von der Hand zu weisen. Unctad-Mitarbeitende klagen über viel unnötige Bürokratie, organisatorisches Chaos, wenig Austausch zwischen den Abteilungen und eine gewisse Politisierung der wissenschaftlichen Analysen. Was nichtstaatliche Organisationen bei Weltbank und Konsorten anklagen, wollen sie bei der genehmeren Unctad nicht so genau anschauen. Wenn die Organisation diese internen Probleme nicht angeht, könnte sie sich durchaus selbst in die Bedeutungslosigkeit befördern.

Doch die anstehende Entscheidung nach den aggressiven Kämpfen um den Wortlaut im Schlussdokument wird der Unctad auf jeden Fall Schaden zufügen. Gemäss einem sogenannten Gentlemen’s Agreement aus den achtziger Jahren fällt die Unctad all ihre Entscheidungen im Konsens. Dieses Verfahren beraubt die klar in der Mehrheit befindlichen Entwicklungsländer ihrer Entscheidungsmacht. «Derzeit definieren die Industrieländer fast allein den offiziellen Konsens», sagt John Burley, Mitunterzeichner des offenen Briefs und ehemaliger Unctad-Direktor, gegenüber der WOZ. «Falls die Entwicklungsländer aber nicht zustimmen, würde die Situation eskalieren und die Unctad erst recht Schaden nehmen.» Die martialische Strategie des Schweizer Botschafters Luzius Wasescha dürfte also aufgehen. Die Entscheidung ist für den Erscheinungstag dieser WOZ angekündigt.