Enzyklopädie zeitgenössischer Irrtümer (9): Gute Dinge (retten die Welt)

Nr. 18 –

Nachhaltige Produkte gelten als soziale und ökologische Hoffnungsträger. Aber kann uns die Konsumlogik wirklich aus dem Schlamassel führen?

Die Apokalypse ist nah. Jeder weiss es. Der Meeresspiegel steigt, die Tomaten werden immer fader, und der eigene Arbeitgeber plant gerade die Erschliessung der letzten unberührten Gasvorkommen in Nordsibirien. Mist. Irgendwie ist alles aus den Bahnen geraten, selbst die TierfilmerInnen haben immer weniger neue Erstaunlichkeiten vorzuweisen. Etwas muss getan werden.

Aber wir müssen die Rettung der Welt gar nicht delegieren, sondern können sie selbst in die Hand nehmen. Als KonsumentInnen sind wir schliesslich nicht nur passive VerbraucherInnen, sondern legitimieren als Triebfeder der Waren- und Güterproduktion auch die ganze Wirtschaft. Wenn die Nachfrage nach guten Dingen steigt, werden die HerstellerInnen zu entsprechenden Anpassungen gezwungen, ganz ohne Gesetze und Vorschriften. So lassen sich all die schlimmen Probleme in fernen Ländern mit dem Einkaufswagen zumindest lindern.

Vorausgesetzt, der Konsument und die Kundin verfügen über die entsprechenden Informationen. Deshalb versichert uns das Label der Handcreme, es seien keine genetisch modifizierten Zusätze verwendet worden, und die Aloe-Vera-Pflanze sei in einem familiären und entspannten Umfeld aufgewachsen. Die Smartphone-App scannt den Barcode auf der Peperoni, um sicherzustellen, dass das Biogemüse aus Almería garantiert von einem Max-Havelaar-zertifizierten «Gastarbeiter» geerntet wurde. Der Rest ergibt sich von alleine.

Oder vielleicht nicht. Man kann auch nachhaltig zu viel konsumieren. Und natürlich kann man – wer könnte das schon – nicht immer und überall konsequent sein. Die Biotomate kompensiert dann das jüngste Shoppingwochenende in London oder den neuen 3-D-Fernseher.

Deshalb sollte unsere Kritik weiter reichen. Etwa was den Anspruch auf umfassende Informationen betrifft. Gewiss müssen wir, um gute Entscheidungen treffen zu können, möglichst viele Faktoren kennen. Angesichts der stattlichen Komplexität unserer Warenwelt scheint das Ideal eines vollständig aufgeklärten Konsumenten jedoch ziemlich fragwürdig. Bedenklicher noch: Die Warenkunde kann zum Selbstzweck werden. Die Suche nach den guten Dingen ersetzt die Suche nach dem richtigen Leben.

Ist der aufgeklärte, im Einklang mit der Welt konsumierende Mensch nicht sogar materialistischer geprägt als sein desinteressiertes, gleichgültiges Pendant, das sich mit Kaufentscheidungen nicht sonderlich beschäftigt? Konstruiert eine ständige, intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Kaufverhalten nicht zwangsläufig eine Identität, die sich massgeblich am Materiellen orientiert? Auch der kritische Konsument bleibt zuerst einmal eines: Konsument. Die Nachhaltigkeit verkleinert unseren Appetit nicht, sondern verfeinert ihn bloss.

Allerdings kommt der Mensch nun mal ohne Dinge nicht aus – warum sollen die Dinge nicht wenigstens gut sein? Besser als nichts, lässt sich einwenden. Vielleicht. Doch wenn das Gewissen bereits mit dem Kauf des richtigen Biobrots befriedigt ist, bleibt nicht mehr viel Antrieb für dessen bessere Produktion. Das ist paradox: Denn gerade auf der Seite der ProduzentInnen bietet der nachhaltige Wirtschaftssektor ein wichtiges Experimentierfeld von Organisations- und Produktionsformen, von denen viele zukunftsweisendes Potenzial haben.

Eine auf Wachstum und Profit ausgerichtete Wirtschaftsorganisation wird der Konsumentin ihren Konsum jedoch nie für obsolet erklären. Die Wirkung nachhaltiger Dinge bleibt beschränkt, solange die Dinge sich einer Marktlogik unterwerfen, die alles andere als nachhaltig ist. Und eine rein auf die Verantwortung der KonsumentInnen gestützte Veränderung der Welt wird angesichts der brillanten menschlichen Fähigkeit zur Verdrängung von Widersprüchen im eigenen Verhalten vermutlich ein Traum bleiben. Wunderbar inszeniert mit fröhlich muhendem Biobeef auf der saftigen Weide, Naturaplan-Bächlein und glücklichem Max-Havelaar-Benzin im Tank. Aber eben ein Traum.