«Eine andere Wahl ist möglich»: Auf der Strasse, für die Strasse

Nr. 19 –

Selbst scheinbar aussichtslose Wahlen lassen sich gewinnen. Ein Buch über den Ständeratswahlkampf von Paul Rechsteiner zeigt, wie das geht.

St. Gallen hat jetzt zwei Politstars. Seit längerem einen rechten – Karin Keller-Sutter. Und neuerdings einen linken – Paul Rechsteiner. Sie vertreten seit Dezember 2011 in Bern den Stand St. Gallen. Dass es einmal so weit kommen würde, sprengte selbst das Vorstellungsvermögen von Rechsteiners eigener Partei, der SP. Als er seine linke Kampfkandidatur bekannt gab, wettete kaum jemand auf ihn. Einer glaubte daran: Rechsteiner. Weshalb er eine Chance witterte, wie er den Wahlkampf akribisch vorbereitete, WeggefährtInnen um sich scharte, auf einem von der SP unabhängigen Wahlkomitee beharrte und eine partei- und schichtenübergreifende Bewegung auslöste, darüber erzählt das Buch «Eine andere Wahl ist möglich». 

Das Buch ist aus der Innenperspektive erzählt, vom Autor, Journalisten und Wahlhelfer Ralph Hug. Es ist von entwaffnender Offenheit. Obs ums liebe Geld geht (180 000 Franken Wahlbudget für zwei Wahlgänge) oder um Strategie, um eine Linke in der Depressionsfalle, um Zufall oder den «Glücksschock» am Wahltag – es lässt nichts Wesentliches aus. Auch wenn mitunter ein wenig Pathos durch die Seiten hallt, betreibt das Buch doch keine Nabelschau. Es erzählt, vergisst dabei aber die Analyse nicht. Etwa den Zerfall der bürgerlichen Politkultur am östlichen Ende der Schweiz.

Seriös und ohne Mätzchen

Die Wahl war möglich, weil die bürgerlichen Parteien sich nicht einig waren, weil sie die Folgen der Finanzkrise und der Frankenschwäche für die normalen BürgerInnen nicht ernst nahmen, weil die CVP in der Sache nichts zu sagen hatte, einen unbekannten Politneuling auf den Schild hob und im Wahlkampf mit üblen Gerüchten auf den Mann spielte, sie war möglich, weil viele St. GallerInnen genug hatten von der SVP und weil Paul Rechsteiner die Ausgangslage mit seinem Team richtig analysiert hatte.

Möglich machte diese Wahl aber auch ein Kandidat, der in schwierigen Zeiten tat, was er schon immer tat – seriös und ohne Mätzchen Politik und Gewerkschaftsarbeit betreiben. Möglich war diese Wahl, weil Rechsteiner über Jahrzehnte seine Unbestechlichkeit bewies und weil er, der sich als Anwalt einen Namen machte, auch nach seinem Aufstieg in den Nationalrat und an die Spitze des Gewerkschaftsbunds die kleinen Leute nicht vergass und sie vor Gericht vertrat.

Und Rechsteiners Team setzte auf politische Inhalte – verkürzt: auf den Slogan «Gute Löhne, gute Renten und Menschenrechte für alle». Es griff auf ein Mittel zurück, das die Linke im Kanton St. Gallen in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt hatte: den Strassenwahlkampf, direkt zu den Leuten gehen, ihnen zuhören, die Stadt verlassen, in den Agglos vor Einkaufszentren mit den Menschen sprechen.

Kollektive Aktionen für Rechsteiner

Ständeratswahlen sind auch Persönlichkeitswahlen. Doch auch darin blieb sich der Anwalt treu: Er brauchte kein neues Image. Er trat auf, wie er immer auftritt: ernsthaft, sachkundig, ohne Mätzchen. Das kam offensichtlich gut an. Auch im eigenen Lager. Die Frauen, die Jungen, die KünstlerInnengemeinde und sogenannt gewöhnliche Leute unterstützten ihn mit unabgesprochenen Aktionen. Das war nur möglich, weil der Gewerkschafter, Politiker, Anwalt, Kunstinteressierte und Intellektuelle für den Kanton und seine Heimatstadt viel getan hat. Es ging auch hier um die Sache, um eine kollektive Anstrengung. Rechsteiner war gerade wegen seines Ernsts in den Jahren des Neoliberalismus als trockener Gewerkschaftsapparatschik denunziert worden, als ewiggestriger Linker, der die Zeichen der Zeit angeblich nicht erkannte.

Im Buch von Ralph Hug scheinen all diese Facetten auf. Dass auch Rechsteiner vom Wahlkampf und dem Erfolg nicht unbeeinflusst geblieben ist, kommt in einem Gespräch mit dem WOZ-Journalisten Stefan Keller am Ende des Buchs zum Ausdruck. Gerade weil sich auch darin fast alles um die Sache dreht, erfährt man hier mehr über den Menschen Rechsteiner, als jedes Porträt oder jede Homestory zu zeigen vermöchte. Erfolg macht erfolgreich – zumindest was die Medienaufmerksamkeit betrifft. Plötzlich ist eine 1.-Mai-Ansprache des Gewerkschaftsbosses ein Frontthema («Tages-Anzeiger») – und dem «Magazin» das bislang beste Porträt über Rechsteiner wert. Dort sagt der SVP-Nationalrat Luzi Stamm, Rechsteiner sei der kompetenteste Politiker, den er kenne: «Er ist ein gefährlicher Mann.» Damit die Linke in diesem Sinn gefährlich wird, sollte sie sich von Hugs Buch inspirieren lassen.

Eine andere Wahl ist möglich. Wie Paul Rechsteiner Ständerat wurde. Rotpunktverlag. Zürich 2012. 184 Seiten. 24 Franken