US-Wahlkampf 2012: Der Krieg gegen die Frauen
Die US-amerikanische Rechte wird immer sexistischer – obwohl sie das bei den selbstbewussten Wählerinnen nicht beliebter macht. Sie hat nichts gegen Sex. Aber viel gegen gleichberechtigte Sexualität.
Nicht genug, dass die USA ihre Aussenpolitik als «ewigen Krieg für einen ewigen Frieden» (Gore Vidal) betreiben. Auch im Innern sind martialische Metaphern sehr beliebt: Da gibt es den «Krieg gegen die Drogen», den «Krieg gegen die Armut» und – als Wahlkampfthema 2012 – nun auch den «Krieg gegen die Frauen». So bezeichnen die Demokraten und Feministinnen die rechtskonservative Politik der RepublikanerInnen. Diese, nicht faul, kehren den Spiess gleich um und verunglimpfen die «gleichmacherischen» Ideen der Feministinnen und Sozialisten als Angriff auf das weibliche Geschlecht.
Nun ja, dieselbe Rechte behauptet ja auch, dass die Evolutionstheorie eine Gotteslästerung bedeute und die Klimaerwärmung ein Hirngespinst kommunistischer Wissenschaftler sei. Die US-amerikanischen Frauen jedenfalls schlagen sich klar auf die demokratisch-feministische Seite.
Der republikanische Herrenklub
Noch nie in der Geschichte der USA war der Gender Gap zwischen demokratischer und republikanischer Partei so gross wie heute. Der Frauenvorsprung der DemokratInnen beträgt etwa zwanzig Prozentpunkte. Und je jünger die Frauen sind, desto demokratischer ist ihre politische Einstellung. Gemäss der neusten Umfrage des Forschungsinstituts Pew Research Center würden heute 70 Prozent der 18- bis 29-jährigen Frauen Barack Obama wählen und bloss 25 Prozent für seinen Rivalen Mitt Romney stimmen. Erst bei den Ladys über 65 halten sich Demokratinnen und Republikanerinnen die Waage. (Im Übrigen zeigen auch die 18- bis 29-jährigen Männer eine leichte Vorliebe für Obama; doch bereits ab 30 wechseln zumindest die weissen Männer mehrheitlich ins republikanische Lager.)
Wenn man sich vor Augen hält, was sich die RepublikanerInnen allein im letzten Jahr an sexistischen Ausrutschern und frauenfeindlichen politischen Vorstössen geleistet haben, ist es eigentlich erstaunlich, dass es in den USA überhaupt noch Frauen gibt, die Sympathien für die weit nach rechts gerutschte «Grand Old Party» (GOP) aufbringen. Denn die Mitglieder dieses Herrenklubs, dem immer auch einige ausgewählte Damen angehören, beschäftigen sich geradezu obsessiv mit der Zähmung des offenbar zu widerspenstig gewordenen weiblichen Geschlechts.
Im US-Kongress wurde zum Beispiel diskutiert, ob geltende Gesetze gegen häusliche Gewalt wirklich erneuert werden sollen. Ob eine Vergewaltigung ohne handfeste physische Gewaltanwendung wirklich eine Vergewaltigung ist. Ob Vergewaltigungsopfer wirklich Anrecht auf eine kostenlose Abtreibung haben sollen. 26 der 50 US-Bundesstaaten schränkten 2011 das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ein; ein Recht, das das oberste Gericht der USA 1973 landesweit festgeschrieben hatte.
Es gab sogar parlamentarische Vorstösse, die die Eliminierung von «Abtreibungsärzten» als «gerechtfertigte Tötung» legitimieren wollten. In immer mehr US-Bundesstaaten wird die staatliche Subventionierung der sozialmedizinisch wichtigen Familienplanungsstellen «Planned Parenthood» eingestellt, weil diese unter anderem auch Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Unter anderem im Bundesstaat Mississippi versuchte die Ja-zum-Leben-Lobby, Personenrechte auch für Zygoten, das heisst befruchtete Eizellen, einzuführen, was Verhütungsmethoden wie die Pille danach oder die intrauterine Spirale rechtlich zu Mordwaffen gemacht hätte. Die Bevölkerung lehnte dankend ab.
Mancherorts konterten die demokratischen ParlamentarierInnen die sexistische Offensive der Rechten mit eigenen, gewollt absurden Gegenvorstössen. Im Bundesstaat Delaware zum Beispiel anerkannte das Stadtparlament von Wilmington mit acht zu vier Stimmen die Personenrechte vom Spermium, denn «die Eizellen-Person und die Samenzellen-Person sind vor dem Gesetze gleich». Im Südstaat Oklahoma ging die Diskussion dann noch weiter: Wenn die Eizelle Personenrechte geniesse, dann brauche es einen Rechtszusatz, der verbiete, Samenflüssigkeit ausserhalb des Uterus einer Frau zu ejakulieren, argumentierte eine demokratische Senatorin, das wäre nämlich ein «Akt gegen das ungeborene Kind».
Geschlechtszellen im Duell
In Virginia, wo rechtskonservative Politiker Frauen aus reiner Schikane dazu zwingen wollten, vor ihrem Schwangerschaftsabbruch eine medizinisch irrelevante, aber unangenehme vaginale Ultraschalluntersuchung vornehmen zu lassen, forderten die DemokratInnen eine rektale Untersuchung für alle Viagra-Konsumenten. Diesem Postulat fehlten bloss zwei Stimmen zur Annahme. Und so fort. Was dem einen recht ist, ist der andern billig. Man kann sich natürlich fragen, ob die PolitikerInnen einer Weltmacht in der Krise nichts Gescheiteres zu tun haben, als in diesem Wahljahr kindische Geschlechtszellenduelle auszutragen. Nein, sagen die DemokratInnen, die sich von der Wiederbelebung der Diskussion um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen auch eine Wiederbelebung und Vermehrung ihrer WählerInnenbasis erhoffen. Bei den RepublikanerInnen sind die Meinungen über diese neue Runde im Geschlechterkampf geteilt.
Der radikale Flügel der Sozialkonservativen hat den seit Jahrzehnten andauernden Kampf gegen die Abtreibung in den letzten Monaten zu einer Offensive auch gegen die Geburtenkontrolle ausgeweitet. Schon bisher gab es Randgruppen (darunter die offizielle katholische Kirche), die den Zugang zu Verhütungsmitteln beschränken wollten. Doch in diesem Wahljahr reicht die Opposition gegen Familienplanung weit ins republikanische Lager hinein. Der republikanische Möchtegern-Vizepräsidentschaftskandidat Marco Rubio zum Beispiel will den von Unternehmen finanzierten Krankenkassen und dem staatlichen Gesundheitsprogramm Medicaid erlauben, Geburtenkontrolle ganz aus dem Leistungskatalog zu streichen. In etlichen Bundesstaaten dürfen Apotheken bereits heute den Verkauf von Verhütungsmitteln aus Gewissensgründen ablehnen.
Junge Frauen bestätigen, dass die Beschaffung eines Diaphragmas (Scheidenpessar) vielerorts wie ein unanständiger «Hinterhofdeal» abgewickelt wird. Die dreissigjährige Jus-Studentin Sandra Fluke, die im Februar an einem Hearing vor demokratischen Kongressabgeordneten forderte, dass Verhütungsmittel wie andere Leistungen von den Krankenkassen bezahlt werden sollten, wurde vom reaktionären Radiomoderator Rush Limbaugh als «Nutte» und «Hure» beschimpft – nur sexverrückte Weiber brauchen offenbar Kontrazeptiva. Das meint wohl auch der vor kurzem ausgeschiedene Präsidentschaftskandidat Rick Santorum: Der Vater von acht Kindern findet Sex selbst bei verheirateten Paaren nur zulässig, wenn der Akt «der Zeugung dient».
Sex ist beliebt
Die gemässigteren Politstrategen der RepublikanerInnen raufen sich ob solch weltfremder Aussagen die Haare. Alex Castellano, der George Bush in der Präsidentschaftskampagne 2004 und Mitt Romney bei den Vorwahlen 2008 beraten hatte, sagte gegenüber der «New York Times»: «Dass die Republikaner gegen Sex sind, ist nicht gut. Sex ist beliebt.»
Die Republikaner sind, wie die vielen pikanten Affären und peinlichen Skandale ihrer Spitzenpolitiker beweisen, natürlich nicht gegen Sex per se. Sie sind gegen gleichberechtigte Sexualität. Dagegen, dass Frauen selbst bestimmen, was mit ihrem Körper passiert, und vor allem, ob sie Kinder gebären wollen oder nicht. Genauso antifeministisch reagierte die Rechte in den USA schon auf den Aufbruch der neuen Frauenbewegung vor vierzig Jahren. Strategisch geschickt nutzte sie damals die Ressentiments der durch die Erfolge der schwarzen Bürgerrechtsbewegung verunsicherten Südstaaten, um eine weitere Form der Emanzipation – nämlich die Gleichstellung der Frauen – zu hintertreiben. Mit einer hässlichen Mischung aus Rassismus und Sexismus gelang es den rechtskonservativen Kräften damals, die Ratifizierung des Gleichstellungsartikels Equal Rights Amendment zu blockieren – in der US-Verfassung gibt es bis heute keinen Gleichstellungsparagrafen.
«Dein Bauch gehört mir»
Und so wagt es die GOP auch im 21. Jahrhundert noch, den Frauen einzureden: «Dein Bauch gehört mir.» Eine dermassen überholte Sklavenhaltermentalität kommt bei den freiheitsliebenden US-Amerikanerinnen aber nicht gut an. Da kann Mitt Romney lange ablenken und behaupten, die Wählerinnen seien doch zu sehr mit ihren wirtschaftlichen Alltagsproblemen beschäftigt, um sich für den ganzen sexuellen Firlefanz zu interessieren. Die US-Amerikanerinnen sind nicht dumm. Sie wissen, dass Familienplanung und Karriereplanung gleichwertige und ineinander verwobene Teile eines jeden Frauenlebens sind. Ausser, frau heisst Ann Romney und hat einen Multimillionär zum Mann.
Eine neue Frauenbewegung
Die vierte Welle
Anlässlich der Präsidentschaftswahl 2012 will die radikale neue Rechte endlich ernten, was sie vor langer Zeit gesät und regelmässig gedüngt hat: Sie hofft auf die Rückkehr eines echten Patriarchen. Die rechtskonservativen Kräfte haben ihre Rechnung allerdings ohne die Feministinnen in den USA gemacht, die vielleicht nicht mehr so oft auf der Strasse demonstrieren wie vor vierzig Jahren, die aber im ganzen Land verteilt für feministische Interessen bloggen und rappen, die als Programmiererinnen und Wissenschaftlerinnen, Sportlerinnen und Musikerinnen, Therapeutinnen und Technikerinnen die Sache der Frau unterstützen.
Diese oft vereinzelt oder in kleinen losen Gruppen arbeitenden Frauen nennen sich Feministinnen der «Vierten Welle». Ihre Devise ist: «Jede Bewegung von mir ist eine Frauenbewegung.» Die erste Welle waren die Suffragetten des frühen 20. Jahrhunderts. Die bewegten sechziger Jahre brachten eine zweite Welle der Emanzipation. Nach 1980 sahen in den USA viele Frauen eine dritte Welle des Feminismus heranrollen: etwas lustvoller, sexyer, multikultureller und genderübergreifender als die ihrer strikt politischen Mütter. Die vierte Welle schliesslich, die im Obama-Jahr 2008 ansetzte, greift all das auf, was die Ahninnen der Frauenbewegung erkämpft und erkannt haben.
Viele junge Frauen digitalisieren das feministische Wissen, verlinken die feministischen Aktionen und verfeinern das Netz von Beratung und Selbsthilfe für Frauen in allen Lebenslagen. Es könnte durchaus sein, dass 2012 genau dieses von den politischen Parteien nur schwer fassbare informelle feministische Netz im Untergrund dem «Krieg gegen die Frauen» am ehesten die Stirn bieten kann.