Medientagebuch: #Ich bin 132

Nr. 23 –

Eine medienkritische Bewegung in Mexiko.

Rund sechs Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in Mexiko sind die Umfragen durcheinander geraten. Eine hauptsächlich in den «sozialen Medien» verankerte Studentenbewegung stellt den aussichtsreichsten Kandidaten infrage – und fordert eine Demokratisierung der Medien.

Die Wahlen vom 1. Juli galten schon als entschieden. Eine Rückkehr der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), die 71 Jahre lang Mexiko regiert hatte, schien nach dem Debakel des Drogenkriegs unausweichlich. Ihr Kandidat, Enrique Peña Nieto, ein aufstrebender Politiker mit Fernsehlächeln und Schauspielergattin, war vom mächtigen Privatsender Televisa aufgebaut worden.

Doch das Erfolgskonzept geriet unversehens ins Wanken, als der Kandidat im Wahlkampf die Iberoamerikanische Universität (UIA) in Mexiko-Stadt besuchte. «Atenco ist nicht vergessen!», warfen ihm die Studierenden entgegen und erinnerten an einen gewalttätigen Polizeieinsatz von 2006, den Peña Nieto als Gouverneur zu verantworten hatte. Die StudentInnen kritisierten Korruption, Intransparenz und Straflosigkeit unter der einstigen PRI-Regierung, sie prangerten auch die aktuellen Verquickungen von Peña Nieto und dem Fernsehsender Televisa an. «Eine Gruppe bezahlter Unruhestifter», mutmassten die Nachrichtensprecher von Televisa – und lösten damit eine weitere Kundgebung aus: 131 Studierende widersprachen persönlich diesem Vorwurf; den Universitätsausweis in der Hand, gefilmt mit der eigenen Webcam. Auf YouTube sorgte das Video für Furore. Über Facebook und Twitter entstand die Bewegung «#Ich bin 132».

Nach landesweiten Demonstrationszügen in der letzten Woche berichten nun auch die traditionellen Medien von den aufrührerischen Seiten der «sozialen Medien». Im Politmagazin «Proceso» wurde das «Manifest 132» abgedruckt: «Wir kommen aus den Netzwerken einer Welt, die sie nicht kennen und niemals manipulieren werden», heisst es da: «Wir wollen die auf einem Auge blinde Welt nicht, die die Medien jeden Tag konstruieren, um uns besser abzulenken. Wir sind das Mexiko, das aufgewacht ist.»

Tatsächlich stand eine öffentliche Kritik an der mexikanischen Medienlandschaft lange aus. Televisa dominiert in Mexiko gemeinsam mit TV Azteca den Fernsehmarkt. Gerade auf dem Land sind die Fernsehsender für viele Menschen die einzige Informationsquelle. Das sogenannte Televisa-Gesetz von 2006 zementierte die Position: Die Vergabe von Sendefrequenzen wurde in private Firmenhände abgegeben. Im Drogenkrieg dankte es Televisa der Regierung von Felipe Calderón mit einer Gleichschaltung ihrer Berichterstattung. Nicht genug, dass der Sender Polizeieinsätze ausstrahlte, die sich später als mediale Manipulation herausstellten. Angesichts einer offensichtlich verfehlten Strategie und der Explosion der Gewalt im Land initiierte Televisa im letzten Jahr ein Abkommen, mit dem sich rund sechzig Medienhäuser freiwillig zur Regierungstreue verpflichteten.

Die Medienkritik der Bewegung 132 stösst deshalb auch bei der mexikanischen Friedensbewegung auf grosse Gegenliebe. «Ohne demokratische Medien ist die Demokratie eine Farce», sagte Javier Sicilia, ein Sprecher dieser Bewegung, der Tageszeitung «La Jornada». Die junge Generation setzt unterdessen weiter auf die Informationsfreiheit dank der «sozialen Medien» und fordert den flächendeckenden öffentlichen Internetzugang in Mexiko.

Kathrin Zeiske schreibt für die WOZ als freie Journalistin aus Mexiko.