Fussball und andere Randsportarten: Euphorie, Euphorie
Etrit Hasler hat schon nach der Hälfte genug von der Europameisterschaft.
Sportmuffel haben es derzeit wirklich nicht einfach. Zwar ist die erste Hälfte des langweiligsten Fussballturniers seit Menschengedenken inzwischen ausgestanden, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass das, was uns in der Knockoutphase der Europameisterschaft 2012 erwartet, die bisher gebotene «Langeweile auf höchstem Niveau» (Daniel Kern, Schweizer Fernsehen) noch überbieten wird – oder glauben Sie tatsächlich, dass ein Duell wie Deutschland–Griechenland nur deshalb zum Kracher wird, weil es da angeblich zur Rache für die Eurokrise kommt?
Mit den gleichen Argumenten müsste das Duell zwischen Frankreich und Spanien zur Neuauflage des Kriegs von 1635 bis 1659 verkommen – was wenigstens noch ein bisschen hoffen liesse, führte doch der Pyrenäenfrieden zum Ende der Dominanz Spaniens in Europa, was auf die Gegenwart zurückprojiziert bedeutet, dass wir die KatalanInnen endlich wieder KatalanInnen sein lassen dürfen und nicht alle dauernd den FC Barcelona mit der spanischen Nationalmannschaft verwechseln.
Falls Sie nichts von Fussball verstehen: Der FC Barcelona ist die inoffizielle Nationalmannschaft jenes unterdrückten spanischen Landesteils, in dem die schönste Stadt Europas steht und wo übrigens auch das als «Tiki-Taka» bekannte Kurzpassspiel popularisiert wurde. Die spanische Nationalmannschaft ist jene um ein paar Barcelona-Spieler angereicherte Versammlung aus Dreikäsehochs, die vom spanischen König abgesegnet und insbesondere von jungen Mädchen, metrosexuellen Männern und Sommerfussballfans bewundert wird.
Sie merken vielleicht – ich bin kein Fan der spanischen Nationalmannschaft. Dem mag die traumatische Erfahrung anlässlich des letzten EM-Finals vor vier Jahren zugrunde liegen, als ich nach dreissig Jahren zum ersten Mal mein typisch schweizerisch antrainiertes Anti-Deutschlandtum ablegen konnte und im Final plötzlich von überzeugten Neo-Spanienfans als Nazi beschimpft wurde – die Situation entspannte sich nicht unbedingt, als ich beiläufig erwähnte, dass die Deutschen ihre Faschisten wenigstens ein paar Jahrzehnte vor den Spaniern losgeworden seien. Natürlich, mit der spanischen Nationalmannschaft hat das nichts zu tun, das Problem liegt in der Masse jener saisonal bedingten Fussballfans, die nur gerade zu den internationalen Turnieren aus den Löchern kommen, sich ein Album mit Panini-Bildchen auf eBay ersteigern (anstatt sie sich mühsam zu ertauschen und als vermeintliche Pädophile von Pausenplätzen weggewiesen zu werden wie wir anderen) und danach drei Wochen lang alles über Fussball wissen.
Nun gut – vergessen wir das Drumherum und reden wir über Fussball. In den knapp zwei Wochen seit Beginn des Turniers habe ich ein einziges Spiel gesehen, bei dem wenigstens ein bisschen Spannung aufkam, und das war die Partie zwischen England und Schweden, also ausgerechnet die Partie, welche nicht von den vermeintlichen Superstars entschieden wurde, sondern von Danny Welbeck, der sich im Strafraum in Ausdruckstanz versuchte und dabei mitten in seiner Pirouette zufällig den Ball traf. «Euphorie, Euphorie», um den deutschen Slampoeten Patrick Salmen zu zitieren.
Sie mögen jetzt sagen, ich solle mich doch nicht so aufregen, es zwinge mich ja niemand, den ganzen Mist zu schauen. Und das stimmt. Immerhin hat das Ausscheiden der Schweiz in der Qualifikation dazu geführt, dass die Unsitte, in jeder Beiz dauernd den Fernseher laufen zu lassen, schlagartig wieder aufgehört hat. Was umgekehrt leider aber nicht bedeutet, dass zu Hause am Fernsehen etwas anderes zu sehen wäre als Fussball – nur kann man ja nicht jeden Abend ausgehen und sich betrinken. Und kaum ist diese EM endlich vorbei, geht es schon wieder mit den Olympischen Spielen weiter. Da gibt es übrigens auch wieder ein Fussballturnier. Es wird ein langer Sommer.
Etrit Hasler hat vor kurzem bemerkt, dass ihn Fussballnationalmannschaften nicht mehr interessieren. Diesen Sommer wird er damit verbringen, sich alle Folgen von «Star Trek» am Stück anzusehen – eine Welt, in der es keine Nationen mehr gibt und damit auch keine Nationalmannschaften.