Freedom Theatre: Auch sieben Seelen sind nicht genug
Die SchauspielerInnen des Freedom Theatre in der Westbank kämpfen gegen Schikanen, warten auf Godot und auf Freiheit.
Ihre Gesichter sind wie Aprilwetter. Verspielt und unberechenbar. Immer wieder überrascht der Wechsel zwischen Trauer und kindischem Scherzen, Nachdenklichkeit und Spontaneität. Ihnen im Gespräch gegenüberzusitzen, ist eine Prüfung. Mariam Abu Khaled und Batoul Taleb, 20 und 22 Jahre alt, sind die einzigen im Westjordanland professionell ausgebildeten Schauspielerinnen. Die Frauen haben eine dreijährige Pilotausbildung am Freedom Theatre im palästinensischen Flüchtlingslager Dschenin absolviert und letzten Sommer zusammen mit drei männlichen Kollegen abgeschlossen – «unseren Bodyguards», wie Batoul kokettiert. Im Berliner Szenetheater Ballhaus Naunynstrasse zeigten sie nun im Rahmen des Festivals Voicing Resistance eine Bearbeitung von Samuel Becketts «Warten auf Godot». Das Freedom Theatre hat sich in den letzten Jahren einen Platz auf internationalen Bühnen erobert. Doch seit seinem Zürcher Auftritt im Herbst 2011 hat sich die Lage dramatisch verschlechtert.
Dabei musste die Gruppe auch für ihre vorangehende Produktion «Sho Kman» schon ohne ihren charismatischen Regisseur, Mentor und Theatergründer auskommen. Im April 2011 wurde Juliano Mer-Khamis ermordet. Der Schauspieler und Sohn einer jüdischen Israelin und eines christlichen Palästinensers hatte das Theater 2007 wiederaufgebaut.
Eine «kulturelle Intifada» versuchen
Das Vorgängermodell dazu stammte von seiner Mutter, der Trägerin des Alternativen Nobelpreises Arna Mer-Khamis, und wurde im israelischen Kampf gegen die Zweite (palästinensische) Intifada zerstört. In den späten achtziger Jahren hatte Arna Mer-Khamis den ersten Impuls für ein Theater in Dschenin vermittelt. Von den Kindern, die damals die Möglichkeit ergriffen, auf der Bühne zu ihrer eigenen Stimme zu finden, sind die meisten inzwischen gestorben – entweder durch Schüsse der israelischen Armee oder als Selbstmordattentäter. Wie es dazu kam, hat der Sohn Juliano im Dokumentarfilm «Arna’s Children» erzählt. Ein Ende hat diese Geschichte noch nicht.
Der Versuch von Mer-Khamis, eine dritte, «kulturelle Intifada», also einen gewaltfreien Weg des Widerstands, zu ermöglichen, drohe zu scheitern, sagt Udi Aloni. Der Israeli, Autor, Filmemacher und enge Freund von Mer-Khamis hat die «Warten auf Godot»-Produktion mitsamt der Gruppe übernommen. Israel versuche alles, um den gewaltfreien Widerstand, den sich die Generation um Batoul und Mariam sehnlich wünsche, wieder in einen bewaffneten Konflikt umschlagen zu lassen.
Neben anderen Gründen nennt der prononcierte Israelkritiker die Verhaftungswelle, die das Theater über sich ergehen lassen muss: Ohne Anklage inhaftierte die israelische Armee viele der AkteurInnen temporär, angeblich im Zusammenhang mit dem Mord an Mer-Khamis. Am 6. Juni verschleppten maskierte Soldaten in einer nächtlichen Aktion den künstlerischen Leiter Nabil Al-Raee. Sein Aufenthaltsort scheint bislang auch seinem Anwalt trotz einer Strassburger EU-Petition unbekannt zu sein. Solche Schikanen gehören inzwischen fast zur Routine. Der Schauspieler für die Rolle des Pozzo in «Warten auf Godot» durfte während eines Monats im Militärgefängnis noch nicht einmal sein Textbuch studieren.
Batoul und Mariam erklären, wie die Aufführung trotzdem zustande kam: Für die jeweils Verhafteten sei ein Schauspieler als Ersatz engagiert worden. Falls dann doch zur Premiere alle Akteure in Freiheit seien, dürfe der Ersatz das Stück um eine neue Rolle erweitern und Witzeinlagen zum Besten geben. So wurde das Stück in «While Waiting» umbenannt und durch Witze ergänzt: «Als ich im Flugzeug nach endlosen Visumkontrollen endlich aufs Klo wollte, was stand da auf der Tür? Occupied! Mensch, du Idiot, hab ich gerufen, seit über sechzig Jahren sitzt du da nun schon drauf! Komm endlich runter!»
Die Publikumsreaktion auf «While Waiting» ist empathisch. Das ist angesichts der Leistungen der SchauspielerInnen gerechtfertigt. Darum fällt es im Gespräch umso schwerer, genauer, auch kritischer nachzufragen. Erkundigungen nach den Schwierigkeiten, die das Theater in der palästinensischen Bevölkerung hat, sind weniger willkommen. Die Thematisierung der Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden schliesslich ist heikel. Zakaria Zbeidi, einer der Theatermitbegründer, gilt als lokaler Kopf der Brigaden. Auch er ist zurzeit inhaftiert, und zwar von den palästinensischen Behörden. Offiziell hat er 2007 seine Waffen niedergelegt und ist von den Israelis amnestiert worden.
Von der Trauer erzählen
Seine Biografie spiegelt die ungelöste Tragödie des Nahen Ostens in einer einzigen Person – und trotzdem: Sind die Verstrickungen, die sie dem Theater auferlegt, zu bewältigen? Und wie viel Verständnis rechtfertigt wie viel Gewalt? Die extreme Situation führt zu extremen Positionen, auch wenn Batoul, Mariam und Udi Aloni sich nichts sehnlicher wünschen als einen friedlichen Weg.
Juliano Mer-Khamis hatte Männer zum Niederlegen ihrer Waffen überzeugen können. Aber auch seine «sieben Seelen», die der Mensch nach islamischem Glauben hat, waren nicht genug für Dschenin. Geht es um ihn, zittert Udi Aloni, Batouls und Mariams Gesichter verschliessen sich in Konzentration. Dann erzählen sie von ihrer Trauer. «Wir hatten keine Zukunftssorgen, wir vertrauten ihm», sagt Batoul. Nun müssen sie ihren eigenen Weg suchen. Und das «in einem Land, das kein Land, in einem Zuhause, das kein Zuhause, und mit einem Theater, das kein Theater ist».
Die Zukunft des Freedom Theatre ist trotz weltweiter ideeller und finanzieller Unterstützung gefährdet. Mariam und Batoul leben inzwischen in Ramallah. Und wenn es keinen Freund gibt, der einen Proberaum zur Verfügung stellt, proben sie «in den Bergen».