Medientagebuch: Es knirscht in Zgierz
WOZ-Redaktor Jan Jirát über ein Zeitungsprojekt in Polen, das von der WOZ begleitet wird.
Zgierz ist eine Kreisstadt im Herzen Polens. Knapp 60 000 Menschen leben dort. Sie hatten bis vor kurzem nur eine einzige Möglichkeit, sich über das Stadtgeschehen zu informieren: in der amtlichen Zeitung, die das Stadtpräsidium alle zwei Wochen publiziert.
Für Ilona Majewska, Weronika Jozwiak und Mateusz Mirys war diese Situation untragbar. «Die amtliche Zeitung ist ein PR-Organ der Stadtregierung. Nie gibt es auch nur die leiseste Kritik an der lokalen Politik zu lesen», sagt Mirys. «Dabei gibt es genug Gründe dazu: der Umgang mit dem öffentlichen Raum oder das mangelhafte Kulturangebot etwa.» Auch die Verkehrssituation sei unbefriedigend, die Armut und die Arbeitslosigkeit hoch.
Letztes Jahr beschlossen Majewska, Jozwiak und Mirys, eine unabhängige und kritische Lokalzeitung zu gründen. «Wir wussten, dass es schwierig bis unmöglich wird, private Gelder aufzutreiben. Aber wir haben alle schon positive Erfahrungen mit öffentlichen Fördergeldern gemacht», erzählt Jozwiak. Zufällig stiessen die drei etwa zur gleichen Zeit in einem polnischen Magazin auf einen Artikel über die WOZ. «Es hat uns beeindruckt, dass eine genossenschaftlich organisierte und unabhängige Zeitung seit dreissig Jahren besteht. Uns schwebte ebenfalls eine Genossenschaft als Organisationsform vor. Also haben wir die WOZ wegen einer möglichen Partnerschaft angefragt – nicht zuletzt, um unsere Chancen auf die Fördergelder zu steigern», sagt Jozwiak. Und sie hatten Glück: Ihr Projekt erhielt finanzielle Unterstützung aus der «Kohäsionsmilliarde», welche die Schweiz an die neuen EU-Staaten zahlt.
Für die Umsetzung blieb Majewska, Jozwiak und Mirys, die kaum über journalistische Erfahrungen verfügen, nur wenig Zeit. «Es waren strenge Monate», sagt Majewska rückblickend. «Die anderen beiden studieren, ich arbeite. Aber wir haben es geschafft: Im Januar 2012 ist die erste gedruckte Ausgabe von ‹Zgrzyt› erschienen. Der Name der Zeitung bedeutet übrigens ‹knirschen› und nimmt zugleich Bezug auf unsere Heimatstadt Zgierz.» Vier weitere Ausgaben sind bisher erschienen, die Planung für die sechste ist abgeschlossen. Die Themen: ein mysteriöses Hundemassengrab, die fragwürdige Personalpolitik im Stadtpräsidium, ein Selbstversuch, um die Qualität des öffentlichen Verkehrs zu testen, und eine Anregung zur Neugestaltung eines öffentlichen Parks.
Zwölf werbefreie Seiten umfasst die Zeitung – kommerzielle Inserate sind im jetzigen Projektstatus nicht erlaubt. Die Texte stammen meist von befreundeten AutorInnen. Die Auflage von 7000 Exemplaren haben die drei ZeitungsmacherInnen bisher einzeln von Hand verteilt, doch in Zukunft wollen sie an frequentierten Plätzen Zeitungsboxen aufstellen.
Im Frühjahr haben Majewska, Jozwiak und Mirys die WOZ in Zürich besucht. Kürzlich war nun eine kleine WOZ-Delegation in Zgierz und hat festgestellt, dass die Nachfrage nach einer kritischen, unabhängigen Zeitung gross zu sein scheint – beim Zeitungsverteilen wollte praktisch jeder Passant eine Ausgabe.
Die Zukunft von «Zgrzyt» ist offen. Zurzeit bemühen sich die drei um weitere Gelder aus der «Kohäsionsmilliarde». Andernfalls überlegen sie, ihr Projekt in die grosse Nachbarstadt Lodz zu tragen. «Auch dort fehlt eine wirklich kritische Zeitung», sagt Mirys.
Die WOZ wird «Zgrzyt» auf ihrem Weg jedenfalls weiterhin begleiten.
Jan Jirát ist WOZ-Redaktor.