Weltklimakonferenz in Polen: Rauch aus der Hauptstadt, Kohle über alles

Nr. 48 –

Die diesjährige Weltklimakonferenz findet in Kattowitz statt, der Hauptstadt des Steinkohlereviers Oberschlesien, in der Region mit der EU-weit schmutzigsten Luft. Die polnische Regierung aber wehrt sich weiter gegen Klimaschutzmassnahmen – und verbietet Demos.

Es ist kühl an diesem Novembervormittag in Kattowitz, als rund dreissig Kinder eines städtischen Kindergartens händchenhaltend durch die Stadt ziehen – mit Atemschutzmasken. Nachdem sie von ihren BegleiterInnen altersgerecht über die Gefahren der Kohleverbrennung aufgeklärt worden sind, stülpen zwei Kinder auf dem Grunwaldzki-Platz, unweit des Stadtzentrums, eine Maske über das Gesicht des in Stein gemeisselten Jan Skrzek, der als Liedermacher einst die Zerstörung dieser Region beklagt hatte. «Mein Onkel hat einen alten Ofen, da kommt immer so viel Rauch oben aus dem Kamin», sagt ein Junge zu Patryk Bialas, der als Vorsitzender des Vereins Bo miasto (Weil es um die Stadt geht) die Aktion organisiert. «Dann kannst du deinem Onkel sagen, dass er sich bei mir melden kann, vielleicht können wir ihm helfen», antwortet Bialas.

Bialas ist Umweltaktivist und Antismogkämpfer mit Leib und Seele. Vor dem und während des diesjährigen Weltklimagipfels COP 24, der in den ersten Dezemberwochen in seiner Heimatstadt Kattowitz stattfinden wird, organisieren er und seine MitstreiterInnen Debatten und Ausstellungen – mitsamt einer Videoschaltung zum ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore, für dessen Climate Reality Project Bialas als Sprecher aktiv ist.

In den letzten Jahren sind in Polen viele Initiativen für den Klimaschutz entstanden, «doch das Bewusstsein für den Klimawandel ist noch immer deutlich weniger ausgeprägt als etwa in Deutschland», sagt Bialas. So gehe es zunächst darum, die direkt spürbaren Folgen aufzuzeigen.

Vorbild China

Im oberschlesischen Industrierevier, dessen Hauptstadt mit 300 000 EinwohnerInnen Kattowitz ist, sind immer noch knapp zwei Dutzend Steinkohlebergwerke mit rund 80 000 Bergleuten in Betrieb. In dieser Region atmen die Menschen seit Jahrzehnten die EU-weit schmutzigste Luft – vor allem wegen veralteter Kohleöfen in ärmeren Privathaushalten. «Man kann die Menschen weniger über Fakten zum Klimawandel für ein Engagement für die Umwelt gewinnen als vielmehr über direkt wahrnehmbare Realitäten wie die übermässige Rodung von Wäldern oder den Smog», sagt Bialas. Immerhin zeigten inzwischen selbst viele Bergleute Verständnis dafür, dass die Kohleförderung auslaufen müsse – vorausgesetzt, dass sie dafür alternative Arbeitsmöglichkeiten erhielten, etwa als Installateure von Fotovoltaikanlagen. Die Einzigen, die die Notwendigkeit von Veränderungen verneinten, so Bialas, seien die PolitikerInnen und Gewerkschafter der Kohlegruben.

In der Tat gehören Polens führende PolitikerInnen quer über die Parteigrenzen hinweg nicht gerade zur Klimaschutzavantgarde. Die seit 2015 regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) tritt dabei gar noch stärker auf die Bremse als die liberalkonservative Vorgängerregierung. So etwa ist die Stein- und Braunkohleförderung nach wie vor das energiepolitische Fundament des Landes – obwohl seit 2015 weitere fünf Steinkohlebergwerke geschlossen wurden und die Förderung seit drei Dekaden ständig sinkt. Im Jahr 2016 etwa wurden von den 170 000 Gigawattstunden in der landesweiten Stromerzeugung etwa 84 Prozent durch Braun- (60 Millionen Tonnen) und Steinkohleverfeuerung (71 Millionen Tonnen) gewonnen. Doch auch die zuletzt kräftig steigenden Preise für Kohle und CO2-Zertifikate sowie die dadurch wachsenden Energiekosten für Privathaushalte und Betriebe konnten die Regierung noch immer nicht dazu bringen, entscheidend auf die klimaschädliche Rolle der Kohleverfeuerung zu reagieren. Stattdessen wirft Warschau der EU vor, den Preis für Kohle künstlich hochzutreiben. «Strom aus Kohle wird dem Druck der Preissteigerungen ausgesetzt, das ist das Ergebnis der EU-Klimapolitik», sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im August.

In den Wochen vor der COP 24 rüsten Polens PolitikerInnen zwar verbal etwas ab. Ihr Kernargument jedoch bleibt: Bei allen verbindlichen Zielen zur Bekämpfung des Klimawandels müssten weltweit die je nationalen Besonderheiten berücksichtigt werden. Daher, so betonte der polnische Energievizeminister Grzegorz Tobiszowski bei einer COP-24-Vorbereitungskonferenz in Brüssel, müsse bei allen Klimazielen dem «Primat der Wirtschaft, der Konkurrenzfähigkeit und der Entwicklung sauberer, moderner Kohletechnologien» mehr Nachdruck verliehen werden. Tobiszowski verwies dabei auf aussereuropäische Staaten wie China, Südafrika oder Russland, die in den vergangenen Jahren ihre Kohleförderung ausgebaut haben.

Blockierte Windräder

In der Realität steigt der Import von Steinkohle nach Polen seit einigen Jahren kontinuierlich, etwa siebzig Prozent kommen aus Russland. Das liegt daran, dass die Steinkohleförderung in Polen selbst immer schwieriger und teurer wird – und daher, im Gegensatz zu den stabilen Fördermengen bei der Braunkohle, seit Jahren rückläufig ist. Dennoch wird die staatlich kontrollierte Kohleholding Polska Grupa Gornicza (PGG) allein in diesem Jahr umgerechnet rund 600 Millionen Euro investieren, die Hälfte davon für die Erschliessung neuer Steinkohleflöze.

Auch von der Braunkohle will Polen, ähnlich wie Deutschland, bislang nicht abrücken. Mehr als 20 000 Beschäftigte arbeiten in den fünf Braunkohletagebauen des Landes, weitere rund 80 000 Arbeitsplätze würden direkt mit dem Tagebau zusammenhängen, argumentiert das Energieministerium. Laut einem Strategiepapier des Ressorts könnten im Rahmen eines «Entwicklungsszenarios» gar drei weitere Tagebauten eingerichtet werden. So soll bereits 2019 das Fördergebiet im zentralpolnischen Zloczew erschlossen werden und Braunkohle für Polens grösstes Braunkohlekraftwerk in Belchatow liefern. Mit einer CO2-Emission von 37 Millionen Tonnen jährlich ist das dortige Anfang der achtziger Jahre gebaute Kraftwerk der grösste CO2-Einzelausstosser Europas. 33 Dörfer würden für seine Befeuerung in Zloczew vom Erdboden verschwinden und ihre BewohnerInnen umgesiedelt werden. Und dennoch scheint die Investition des staatlichen PGG-Konzerns in der strukturschwachen Region bereits besiegelt. «Erneuerbare Energien, vor allem Windräder, werden blockiert, ständig heisst es Kohle, Kohle und Kohle. Und dabei habe ich von Premierminister Morawiecki erfahren, dass jährlich 40 000 Menschen im Land wegen der Luftverschmutzung sterben», sagt Stanislaw Skibinski, der Vertreter einer Bürgerinitiative, die sich den Plänen der Regierung widersetzt.

Erneuerbare Energien fördert die Regierung kaum – oder blockiert sie gar. So ist der Bau neuer Onshore-Windanlagen durch eine verschärfte Abstandsregelung im Jahr 2016 faktisch zum Erliegen gekommen. Die bis dahin installierte Leistung aus Windkraft (5,8 Gigawatt) hat sich seither nur minimal erhöht, auch wenn die Regierung dieser Stagnation nun wieder etwas gegensteuern will. Bei Fotovoltaikanlagen gibt es zwar stabiles Wachstum, doch die installierte Leistung aus Solarparks und Privatanlagen beträgt mickrige 300 Megawatt – Deutschland etwa kommt auf das 140-Fache. «In Polen entwickeln sich die erneuerbaren Energien nicht, weil die gesetzlichen Regelungen sie nicht fördern. Es deutet wenig darauf hin, dass sich das bald ändern dürfte», sagt Katarzyna Guzek von Greenpeace Polen.

Diese Politik schlägt sich auch in einer aktuellen Bewertung durch das Climate Action Network (CAN) nieder. Im Juni veröffentlichte das internationale Netzwerk von Klimaschutzorganisationen ein Ranking, das Polen auf dem letzten Platz unter allen 28 EU-Staaten aufführt. Bewertet wurden «Fortschritt und Ehrgeiz» bei der Bekämpfung des Klimawandels. Diesen Ehrgeiz anzufachen, schreiben sich in Polen immer mehr Expertinnen, Aktivisten, Bürgerinitiativen und Vereine auf die Fahnen – nicht erst im Vorfeld der Weltklimakonferenz. 22 von ihnen haben sich in der «Klima-Koalition» zusammengeschlossen, neben polnischen auch internationale Organisationen wie Greenpeace oder der WWF mit Büros und AktivistInnen im Land. Anfang November hat die Koalition die Regierung in einem offenen Brief an Premierminister Mateusz Morawiecki zu einer radikalen Wende in der Klima- und Energiepolitik aufgefordert.

Soziale Verwerfungen

Auch Urszula Stefanowicz, Chefkoordinatorin der Klima-Koalition, lässt kein gutes Haar an den EntscheidungsträgerInnen in Warschau: «Diese Regierung hat das gleiche grundsätzliche Problem mit der heimischen Energiepolitik wie ihre Vorgänger: Sie ist nicht fähig, ehrlich und offen über die Notwendigkeit zu sprechen, aus der Kohlegewinnung und ihrer Verfeuerung auszusteigen, und schiebt das Problem nur in die Zukunft auf.» Derzeit versuchten die polnischen PolitikerInnen, der Weltöffentlichkeit vor und während der COP 24 eine Erfolgsgeschichte zu verkaufen. Effektiv habe die Förderung von Kohle zwar tatsächlich deutlich abgenommen, räumt Stefanowicz ein. Das liege aber vor allem an der radikalen Restrukturierung in den neunziger Jahren, die zu sozialen Verwerfungen geführt habe: Zehntausende Bergleute verloren kurzerhand ihre Arbeit, es gab zwar einmalige Abfindungen, aber keinerlei Sozialpläne; viele der Geschassten blieben wegen der seinerzeitigen schwierigen Wirtschaftssituation im Revier arbeitslos. Einen weiteren Grund für den Rückgang der Förderung sieht Stefanowicz darin, dass die billig zu fördernde Kohle ausgehe. «Die Reduktion ist jedenfalls nicht das Ergebnis einer langfristigen, durchdachten und sozial gerechten Strategie für eine Energiewende.»

Solche und ähnliche kritischen Stimmen will die polnische Regierung während der COP 24 möglichst still halten. Spontane Demonstrationen sind, abgesehen von einer bereits geplanten Grossdemo am 8. Dezember, auf dem Gebiet der Verwaltungsbezirke Schlesien und Kleinpolen während der zwei Wochen dauernden Klimakonferenz mithilfe eines Sondergesetzes verboten. Doch etliche UmweltaktivistInnen wollen sich nicht daran halten. «Es wird sich zeigen, ob sich die polnische Kohlelobby überzeugend ins Rampenlicht stellen kann», sagt ein Aktivist, der anonym bleiben möchte, «oder ob sich auch hier bei uns im Land endlich das Denken Bahn brechen wird, dass es etwas Wichtigeres gibt: Die Menschheit soll überleben.»