AKW Mühleberg und Doel-3: Angeschlagenes Herzstück

Nr. 34 –

Risse in einem belgischen Reaktordruckbehälter sorgen in der Schweiz für Aufsehen – das AKW Mühleberg hat einen Behälter desselben Herstellers. Leckt ein solcher Behälter, ist das schlimmer als alles, was man sich sonst an möglichen Unfallszenarien vorstellen kann.

Atomkontrollbehörden von neun Ländern trafen sich vergangene Woche in Brüssel – Experten der Schweizer Atomaufsichtsbehörde Ensi waren mit dabei. Man redete über die vielen kleinen Risse, die man bei der aktuellen Jahresrevision im Reaktordruckbehälter des belgischen AKWs Doel-3 gefunden hat.

In der Schweiz ist im AKW Mühleberg ebenfalls ein Reaktordruckbehälter desselben Herstellers im Einsatz (der Firma Rotterdamsche Droogdok Maatschappij, die inzwischen Pleite gegangen ist). Ursprünglich hiess es, der Behälter von Leibstadt sei ebenfalls in den Niederlanden gefertigt worden. Inzwischen konnte Leibstadt aber belegen, dass ihr Druckbehälter in Japan geschmiedet worden war. Laut Ensi «gibt es keine Anhaltspunkte», dass die AKWs Beznau oder Gösgen betroffen sein könnten.

Kein Notfallsystem

Der Druckbehälter ist der Kessel, in dem sich die Brennelemente befinden – da geschieht die Kernspaltung. Dieser Kessel steht unter Druck und muss grosse Temperaturschwankungen aushalten. Ginge das Ding kaputt, liesse sich der Kern nicht mehr kühlen, eine Kernschmelze wäre nicht zu verhindern. Ein Szenario, das sich niemand vorstellen will. Der Druckbehälter ist der Bestandteil eines AKWs, der partout nicht kaputtgehen darf, weil es kein Notfallsystem gibt, das einspringen könnte.

Die Risse im Kernmantel des AKWs Mühleberg, die immer wieder für Schlagzeilen sorgen, sind – verglichen mit möglichen Rissen im Druckbehälter – nur ein harmloser Schönheitsfehler. «Jegliche Reparaturen am Druckbehälter sind praktisch unmöglich, weil befürchtet werden muss, dass Reparaturarbeiten das Material zusätzlich belasten – was unbedingt vermieden werden muss», schreiben die belgischen Atomkontrollbehörden. Den defekten Kessel auszutauschen, sei zudem «extrem schwierig (hohe Strahlendosen et cetera) und wurde vorher noch nirgends auf der Welt gemacht». Findet man wirklich ernst zu nehmende Risse, wird man den Reaktor zwangsläufig stilllegen müssen.

Die Risse in Doel-3 wurden entdeckt, weil man erstmals die Kesselwände mit einer neuen Ultraschallmethode durchgehend untersucht hat. Bislang überprüfte man nur ausgewählte, heikle Stellen wie zum Beispiel Schweissnähte. Ursprünglich war nur von «millimeterkleinen Risschen» die Rede, Anfang August wurde dann aber bekannt, dass einige der Risse bis zu zwei Dritteln durch die gesamte Dicke der Kesselwand gehen. Nach der Beratung vorige Woche besänftige Willy De Roovere, der Direktor der belgischen Aufsichtsbehörde: Die meisten Risse sässen parallel zur Oberfläche und seien nicht gefährlich, weil es aber «so viele sind», müsse man es schon genauer untersuchen. Laut einem unveröffentlichten internen Papier soll man in Doel-3 gar 8000 Risse gefunden haben.

Umfassende Ultraschalluntersuchung

Der Wissensstand ist aber höchst desolat – auch in der Schweiz. Es lässt sich zum Beispiel nicht eindeutig sagen, ob die Risse bei der Produktion der Behälter oder erst später entstanden sind. Wären sie entstanden, als der Kessel geschmiedet wurde, hätte man sie vor Jahrzehnten finden müssen, weil er «nach der Herstellung einer vollständigen Ultraschalluntersuchung unterworfen wurde», wie das Ensi mitteilt. Die Prüfberichte zeigten aber «keine Hinweise auf herstellungsbedingte Unregelmässigkeiten im Grundmaterial des Reaktordruckbehälters».

Eine erneute Überprüfung mit Ultraschall ist heute sehr aufwendig. Denn der Reaktor muss für eine umfassende Ultraschalluntersuchung völlig entladen werden, was bei den üblichen Revisionen nicht passiert. In Doel hat man das nun zum ersten Mal getan; die Ergebnisse führten dazu, dass jetzt auch der bauähnliche belgische Reaktor Tihange-2 genau angeschaut wird.

Das AKW Mühleberg ist noch einige Jahre älter als Doel-3. Seit Anfang August steht die Anlage für die übliche, etwa vierwöchige Jahresrevision still. Ob der Druckbehälter nun flächendeckend mit Ultraschall untersucht wird, ist offen. Wenn man es nicht tut, wird man nie mit Gewissheit sagen können, er habe keine Risse.

Das Ensi kommuniziert lediglich: «Über das weitere Vorgehen wird das Ensi nach Vorliegen der angeforderten Informationen noch während des Revisionsstillstands entscheiden.»

Mitarbeit: Susan Boos