Entwicklungszusammenarbeit: Wässrige Partnerschaften
Die öffentliche Wasserversorgung der Schweiz gilt als Modell für andere Länder. Doch die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit nutzt dieses Know-how wenig – und sieht Nestlé als Trumpf im Wasserbereich.
Insgesamt 11,35 Milliarden Franken stehen der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe in den nächsten vier Jahren zur Verfügung. Das Parlament hat die entsprechenden Rahmenkredite diese Woche verabschiedet. Die deutliche Erhöhung der Mittel spiegelt den letztjährigen Parlamentsbeschluss, die öffentliche Entwicklungshilfe bis 2015 auf 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, womit die Schweiz endlich einen Mittelfeldplatz unter den OECD-Geberländern erreicht.
Doch wird die Schweiz in den nächsten Jahren auch die richtigen Prioritäten setzen? Besonders fragt man sich dies im Bereich der Wasserversorgung, einem Bereich, der ans Lebendige geht und bei dem Entwicklungsländer kaum Fortschritte machen: 1,7 Milliarden Menschen leben ohne regelmässige Trinkwasserversorgung und einfache sanitäre Anlagen. Dieser Umstand ist für achtzig Prozent der Krankheiten in den Entwicklungsländern verantwortlich; in der Folge sterben jedes Jahr etwa 1,8 Millionen Kinder an Durchfall.
Franklin Frederick, ein in Bern wohnhafter brasilianischer Wasseraktivist, befürchtet aufgrund einzelner Passagen in der Botschaft zu den Rahmenkrediten, dass die Schweiz in Entwicklungsländern vermehrt eine Privatisierung von Wasserversorgungen vorantreiben werde. «In der Schweiz ist Wasser ein öffentliches Gut, und die Schweiz hat eines der besten öffentlichen Wassersysteme», schreibt Frederick in «Correos», der Zeitschrift des Zentralamerikasekretariats. Doch anstatt dieses Wissen auch Entwicklungsländern weiterzugeben, fördere die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) öffentlich-private Partnerschaften (PPP) – und dies auch unter dem Einfluss des Lebensmittelkonzerns Nestlé, so Frederick.
Aus Misserfolgen gelernt
François Münger, Leiter der Sektion Wasserinitiativen der Deza, widerspricht: «Die Deza hat schon vor Jahren eine Plattform für den Austausch zwischen Schweizer Wasserversorgungsbetrieben und öffentlichen Partnern im Süden etabliert, die auch direkte finanzielle Beiträge ermöglicht.» So haben die Stadt Lausanne und umliegende Gemeinden eine Partnerschaft mit Nouakchott, der mauretanischen Hauptstadt. Der Privatsektor im Süden werde vorab durch Aufträge an das lokale Kleingewerbe beim Bau und Betrieb von Trinkwassersystemen einbezogen, wenn dies die lokalen Wasserkomitees entschieden, sagt Münger.
Auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das in der Entwicklungszusammenarbeit für die städtische Wasserversorgung zuständig ist, fördert PPPs nur noch zurückhaltend und wendet sich gegen jegliche Wasserprivatisierung: «Der öffentliche Sektor soll in jedem Fall Eigentümer der Wasserversorgung sein», sagt Michelle Gysin, stellvertretende Leiterin des Ressorts Städtische Infrastruktur und Versorgung beim Seco. «Der öffentliche Wasserversorger kann aber das Know-how privater Unternehmen nutzen, um seinen Betrieb effizienter zu gestalten», ergänzt Gysin.
Peter Niggli, Geschäftsführer von Alliance Sud, der entwicklungspolitischen Organisation von sechs grossen Schweizer Hilfswerken, bestätigt: «Seit El Alto ist uns keine Privatisierung einer Wasserversorgung bekannt, an der die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit direkt beteiligt gewesen wäre.» In der bolivianischen Grossstadt El Alto unterstützte das Seco eine PPP, bei dem der damalige französische Infrastruktur-Multi Suez S. A. das Versorgungsnetz ausbauen sollte. Laut einer Publikation der Weltbank, die die Privatisierung initiierte, verbesserte sich die Wasserversorgung dadurch kaum – das Wasser sei jedoch teurer geworden, und die Armutsrate habe deshalb um zwei Prozent zugenommen. 2005, nach einem Aufstand der Bevölkerung, wurde die Versorgung wieder verstaatlicht.
Nestlé: eine Schweizer «Stärke»
Doch indirekt, da ist die Schweiz immerhin Mitinhaberin und eine der grössten Geldgeberinnen der International Finance Corporation (IFC), einer Weltbank-Tochter, die für Privatsektorentwicklung zuständig ist. Die IFC propagiert auch heute noch grossangelegte Wasserprivatisierungen – gemäss internationalen nichtstaatlichen Organisationen nicht immer zum Vorteil der Bevölkerung, wie etwa kürzlich veröffentlichte Berichte zu Projekten in Indien und auf den Philippinen zeigen. Und in PPP-freundlichen Netzwerken wie der Global Water Partnership trifft die Deza beispielsweise auf Nestlé.
Deza-Wasser-Chef Münger betont, eine Zusammenarbeit mit Nestlé und anderen Unternehmen bestehe nur in Programmen, die das Ziel hätten, den Wasserverbrauch beispielsweise in der Kaffeeproduktion zu verringern. Im zunehmenden Nestlé-Engagement im Trinkwasserbereich sieht Münger kein «Hauptproblem»: «Auf globaler Ebene ist Flaschenwasser wenig bedeutend und gefährdet die Wasserressourcen der Erde nicht.» Deza-Direktor Martin Dahinden schrieb im Deza-PR-Magazin «Eine Welt» auch schon, dass Nestlé eine der schweizerischen «Stärken» im Wasserbereich sei. Da klingt Maude Barlow, die ehemalige Chefberaterin der Uno für Wasserfragen, weniger freundlich: Sie unterstellt Nestlé eine «kriminelle Unternehmenspolitik» (vgl. WOZ Nr. 4/12 ).
Derweil sind die öffentlichen Wasserversorger in der Schweiz etwas frustriert. «Einige städtische Wasserversorger würden gerne vermehrt ihr betriebliches Know-how in die Entwicklungszusammenarbeit einbringen», sagt Urs Manser vom Schweizerischen Verein des Gas- und Wasserfaches. Bisher mit wenig Erfolg. Deza und Seco nehmen dieses Angebot bisher erst punktuell wahr.