CD: Organische Zeitbogen

Nr. 38 –

Der Pfingsthymnus «Veni creator spiritus» (Komm, Schöpfer Geist), von Maya Homburger an der Barockvioline und Barry Guy am Bass sensibel intoniert, eröffnet einen musikalischen Reigen, der Jahrhunderte umspannt. Sie lassen schon in diesen ersten zwei Minuten der CD erahnen, welch Klangreichtum sich entfalten wird. Im Hymnus aus dem 9. Jahrhundert, in dem die Gläubigen den Heiligen Geist um Beistand bitten, zeigen der gestrichene Bass und improvisierte Teile den Weg ins 21. Jahrhundert.

Der folgende siebenteilige Zyklus orientiert sich an der Bildsprache der konkreten Malerei. Die von Barry Guy komponierten kurzen musikalischen Skizzen sind eine «Hommage à Max Bill». In «Two Surrounded Squares» loten Homburger und Guy, die seit einigen Jahren im Zürcher Weinland leben, den Raum zwischen den Quadraten aus. Sie lassen die Spannung zwischen den einfachen geometrischen Formen spüren. Violine und Bass umschmeicheln sich, lassen Farben aufleuchten und erzählen so eine runde Geschichte aus der Perspektive des Eckigen.

Im anschliessenden Zwischenspiel steht die «Hommage an J. S. B.», ein Solo für Violine des 1926 geborenen ungarischen Komponisten György Kurtag, zwischen zwei Mysteriensonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704) aus der Barockzeit. Auch im «Zwiegespräch» zwischen Biber und Kurtag finden Vergangenheit und Gegenwart mühelos zueinander. Es entstehen eine Spannung und eine Dynamik von grosser Intensität und Anmut.

Mit dem Ohrwurm «Going Home» leitet Barry Guy auf dem Bass zum zweiten Zyklus über, der den Titel für die CD geliefert hat: «Tales of Enchantment». Wiederum nutzt er die bildende Kunst als Quelle für die Musik. Eine Foliosammlung von Drucken der Künstlerin Elana Gutmann dient dazu, die faszinierende Erzählung zwischen Malerei und Musik weiterzutreiben.

Maya Homburger und Barry Guy: Tales of Enchantment. Intakt Records/Phonag