Balts Nill und Katharina Weber: Fliegender Teppich mit Flügel

Nr. 17 –

Balts Nill war lange Drummer der Gruppe Stiller Has. Dann sagte er dem Rockstarleben Ade. Heute macht er freie Musik mit den AvantgardistInnen Katharina Weber und Barry Guy. Gemeinsam eröffnen sie Anfang Mai das 23. Jazzfestival Schaffhausen.

Katharina Weber und Balts Nill: Musik von der meditativen Miniatur zur hitzigen Debatte. Foto: Francesca Pfeffer

Nach sechzehn Jahren hatte Balts Nill von der Rockmusik genug. 2005 verliess der Schlagzeuger die Kultgruppe Stiller Has, die er 1989 mit Endo Anaconda gegründet hatte und die seit etlichen Jahren in der Schweiz jede Halle füllt. Nill, der bürgerlich Ueli Balsiger heisst, wollte eine andere Musik machen. Ihm schwebten freiere, subtilere Klänge vor, Töne, die der Kreativität und Spontanität mehr Raum lassen.

Der Bruch war weder ein radikaler Neuanfang noch eine Bekehrung, sondern eher eine Heimkehr zu den Wurzeln. Mit Konzepten freier Improvisation hatte der Schlagwerker schon während seiner Studienzeit experimentiert. Als einer der ersten Studenten an der Jazzschule Bern war er Anfang der siebziger Jahre Schüler von Peter Giger und Pierre Favre gewesen. «Der Freejazz der späten sechziger Jahre ist der Stil, der mich am meisten geprägt hat», so Nill. «Das ist meine Ursuppe. Gleichzeitig habe ich die Entwicklung in der E-Musik verfolgt. Karlheinz Stockhausen war ein Einfluss.»

Konservenbüchsen aufwerten

Nach seinem Abgang knüpfte Nill an diese Erfahrungen an und baute sein Schlagzeug um. Er musikalisierte die Alltagswelt, indem er Gebrauchsgegenstände wie Dosen, Blechdeckel, ein Serviertablett, Holzstücke und Metallteile einbezog. Skurrile Klänge wurden sein Metier. «Ins normale Schlagzeug ist viel Konvention eingebaut», begründet er seinen Gesinnungswandel. «Darüber wollte ich hinaus.»

Bis auf zwei Metallbecken, die mehr als mitschwingende Resonanzkörper fungieren, verzichtete er bald ganz aufs gewöhnliche Drumkit. Er arrangierte sein Arsenal wundersamer Klangerzeuger auf einem Teppich und trommelte kniend mit kleinen Plastikflaschen oder japanischen Essstäbchen darauf. «Es gibt sehr viele verschiedene Essstäbchen. Manche sind lackiert, andere aus Holz, sie laufen vorne ganz spitz zu oder sind breit», fasst er die Ergebnisse seiner Materialerkundungen zusammen. «Sie haben jeweils andere Eigenschaften und klingen unterschiedlich.»

Balts Nill begann mit der ebenfalls in Bern lebenden Pianistin Katharina Weber Musik zu machen, frei improvisiert – jeder Ton aus dem Augenblick heraus erfunden. Sein pointillistisches Perkussionsspiel ging mit den manchmal dissonanten, manchmal elegischen Pianotönen von Weber wunderbar zusammen. «Mein Instrumentarium besteht aus zusammengetragenen zerdepperten Blechteilen, und Katharina Weber spielt auf dem hochentwickelten teuren Konzertflügel. Was für ein Gegensatz!», erklärt Nill die Faszination. «Das ergänzt sich gut. Es nimmt dem Flügel etwas von seiner Glorie und wertet meine Konservenbüchsen auf.»

Zwischen Kurtág und Improvisation

Katharina Weber ist eine Spezialistin für zeitgenössische Konzertmusik. Schon als Teenager wagte sich die Klavierschülerin an Kompositionen von John Cage heran, einem der Väter der Avantgarde. «Cages Musik empfand ich als rätselhaft und faszinierend. Sie hat mich ungemein gereizt», so Weber. Zur Interpretation Neuer Musik in diversen Kammermusikensembles und Solokonzerten kam das Interesse an freier Improvisation hinzu, einem spontanen Spiel jenseits der Jazztradition. «Ich habe oft Elemente aus Kompositionen herausgelöst, um darüber zu improvisieren.» Diese Strategie wird auf der aktuellen Einspielung erneut angewandt.

Weber hat zehn kleine Stücke von György Kurtág ausgewählt, einem zeitgenössischen Komponisten, den sie äusserst schätzt und bei dem sie etliche Meisterkurse absolviert hat. Die Kompositionen stammen aus einer achtbändigen Sammlung von Klavierwerken, die der ungarische Komponist «Játékok» genannt hat: Spiele! «Mit möglichst wenig Tönen möglichst viel ausdrücken», gab er den InterpretInnen mit auf den Weg.

Für die Aufnahmen haben Katharina Weber und Balts Nill den englischen Kontrabassisten Barry Guy hinzugezogen, der seit einigen Jahren in der Nähe von Zürich lebt. Guy ist Pionier des europäischen Freejazz und ein profilierter Komponist. Er gehörte schon Ende der sechziger Jahre in London zum Kreis der wichtigen Impulsgeber, die den Stein der freien Improvisation ins Rollen brachten. Wie Nill nutzt auch Guy eine breite Palette aussergewöhnlicher Sounds, die er aus seinem Bass herauszukitzeln weiss. Manchmal lässt er das Instrument sonor tönen, um ihm kurze Zeit später Klänge zu entlocken, die an ein afrikanisches Daumenklavier erinnern.

Die Kurtág’schen Stücke kommen extremen Verdichtungen gleich. Sie wirken wie Denkanstösse, die von den drei InstrumentalistInnen aufgegriffen und weitergesponnen werden. «In Kurtágs Kompositionen sind so viele Ideen angelegt», so Weber. Während die Kompositionen meditativen Miniaturen gleichen, die meistens in stiller Ruhe strahlen, sind die Improvisationen gesprächiger, können sich sogar zu hitzigen Debatten steigern. Doch nie wird überzogen. Ob als schnelle Sprints oder gemächliche Spaziergänge – immer wieder führen die musikalischen Exkursionen durch abenteuerliche Klangsphären, die aufregende Ausblicke ermöglichen.

Katharina Weber, Barry Guy, Balts Nill: 
«Games and Improvisations – Hommage à 
György Kurtág». Intakt Records.

Das Trio eröffnet am Mittwoch, 2. Mai 2012, 
um 20 Uhr das 23. Jazzfestival Schaffhausen. www.jazzfestival.ch