Kubakrise: Die Atomwaffen blieben scharf
Auch nach dem Ende der Raketenkrise 1962 plante die US-Armee eine Invasion von Kuba. Und die Sowjetunion zog Fidel Castro über den Tisch.
Die Kubakrise vor fünfzig Jahren dauerte länger, als bislang angenommen wurde. Auch nach dem Abkommen zwischen US-Präsident John F. Kennedy und dem sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow vom 28. Oktober 1962 war die US-Armee bereit, in Kuba einzumarschieren und dabei notfalls auch atomare Waffen einzusetzen. Dies belegt ein als «streng geheim» klassifiziertes Memorandum von General Maxwell Taylor, damals Chef des Generalstabs der US-Armee, an Kennedy, das jetzt vom National Security Archive der George-Washington-Universität veröffentlicht wurde.
«Wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, dass der Feind Nuklearwaffen einsetzt, um eine Invasion zurückzuschlagen», schrieb Taylor an Kennedy. In diesem Fall «könnten wir sofort mit einem überwältigenden Atomschlag gegen militärische Ziele antworten». Taylor rechnete damit, dass bei einer Invasion Kubas in den ersten zehn Tagen 18 500 US-Soldaten getötet würden. Danach habe man die Lage unter Kontrolle.
Das Memorandum stammt vom 2. November 1962. Eigentlich aber hatten sich Chruschtschow und Kennedy bereits am 28. Oktober darauf geeinigt, dass die Sowjetunion die auf Kuba stationierten atomaren Mittelstreckenraketen abziehen werde. Die USA verpflichteten sich im Gegenzug, ihre Mittelstreckenraketen aus der Türkei und Italien abzuziehen und auf eine Invasion Kubas zu verzichten. Die Stationierung der sowjetischen Raketen hatte dreizehn Tage lang die Gefahr eines Atomkriegs zwischen den beiden Supermächten heraufbeschworen.
Was Taylor damals nicht wusste, aber doch ahnte: Nach dem Abzug der Mittelstreckenraketen blieben taktische sowjetische Atomwaffen auf Kuba zurück. Die waren von den US-Geheimdiensten noch nicht entdeckt worden. Dies geht aus jetzt veröffentlichten Unterlagen von Sergo Mikoyan hervor, Sohn und damals Sekretär von Anastas Mikoyan, der als sowjetischer Unterhändler den kubanischen Staats- und Parteichef Fidel Castro vom Abkommen zwischen Chrutschschow und Kennedy überzeugen musste.
Castro war über den hinter seinem Rücken vereinbarten Abzug der Mittelstreckenraketen erbost und wollte die taktischen Atomwaffen unbedingt als letztes Mittel gegen eine US-Invasion auf der Insel behalten. In den Verhandlungen zwischen Chruschtschow und Kennedy seien diese nicht erwähnt worden, also hätten die USA keine Ahnung von ihrer Existenz. «Wir können sie in unseren Höhlen verstecken», soll er damals vorgeschlagen haben.
Der Sowjetunion aber war das zu heikel: Sie zog die Waffen im Dezember 1962 still und leise ab. Um Castro zu beruhigen, tischte ihm Mikoyan eine Lüge auf: Es gebe in der UdSSR ein neues geheimes Gesetz, das die Stationierung solcher Waffen in Drittländern verbiete. Dieses Gesetz hat es nie gegeben.
Das Verhältnis zwischen Kuba und der Sowjetunion war nach der Krise für Jahre deutlich abgekühlt. Castro fühlte sich von Chruschtschow nicht als gleichberechtigter Partner akzeptiert, sondern als Vasall behandelt, der zu tun hatte, was in Moskau entschieden wurde.