Subventioniertes Asphaltland : Unter dem Asphalt ist der Boden tot

Nr. 42 –

Der Bund treibt die Intensivierung der Landwirtschaft mit einer beispiellosen Erschliessungspolitik voran. Unzählige Feldwege werden asphaltiert und ausgebaut – mit Subventionen aus dem Landwirtschaftstopf. Das riesige Nebenstrassennetz hat einen hohen Preis.

Velofahrer bei Rüschlikon ZH: Mittlerweile geht man selbst auf über einem Viertel der Wanderwege auf Hartbelag. Foto: Andreas Bodmer

Der Kies knirscht unter den Füssen. Aus dem Grasstreifen in der Mitte des Feldwegs ragen Kamille, Vogelknöterich und Schafgarbe. Spinnen, Käfer und Ameisen wuseln herum, ein Wurm stösst Erde aus seinem Loch. Etwas weiter vorne holt sich eine Mehlschwalbe bei einer Pfütze Lehm für ihr Nest. In unserer intensiven Landwirtschaft entsteht Biodiversität heute an den Rändern – etwa an den Feldwegen. 

Doch diese Lebensräume verschwinden zusehends, denn seit Jahrzehnten hinterlässt die Asphaltwalze ihre Spuren auf dem Schweizer Boden und schwarze Narben in der Landschaft: Immer neue Asphaltstreifen durchziehen Wiesen, Äcker und Wälder, winden sich durch Täler und auf Alpen. Mittlerweile geht man selbst auf über einem Viertel aller Wanderwege auf Hartbelag. 

«Landschaft unter Druck», der jüngste Fortschreibungsbericht des Bundesamts für Raumentwicklung, drückt das Ausmass dieser beispiellosen Erschliessungspolitik in Zahlen aus: In der Schweiz sind alleine zwischen 1972 und 2003 ganze 60 000  Kilometer Lokalstrassen neu gebaut, verbreitert und asphaltiert worden. Das entspricht einer Strasse, auf der man eineinhalb Mal um die Welt fahren könnte. Im Kanton Luzern weisen heute beispielsweise gerade noch zwanzig Prozent aller Güterstrassen einen Naturbelag auf. 

Diese Entwicklung wird mit Agrarsubventionen massiv unterstützt. Allein im letzten Jahr wurden laut Bundesamt für Landwirtschaft rund 25 Millionen Franken in den Güterstrassenbau investiert, davon flossen rund achtzig Prozent in die Berg- und voralpine Hügelregion. Die Kantone ihrerseits steuerten noch etwa 22 Millionen Franken bei. Der Rest der Kosten, die sich insgesamt auf rund 85 Millionen Franken pro Jahr belaufen, entfällt auf die Eigentümer der Güterstrassen, also insbesondere die Gemeinden. Damit wird praktisch fast die gesamte Finanzierung des ländlichen Netzausbaus von der öffentlichen Hand übernommen.

Kies ist günstiger

«Es ist verheerend, wie die Landschaft mit Steuergeldern zerstört wird», sagt Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. «Wenn das so weitergeht, müssen natürliche Feldwege unter Schutz gestellt werden.» Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat bereits verschiedentlich versucht, den Ausbau und die Asphaltierung des Güterstrassennetzes zu stoppen – etwa mit dem Vorschlag, BergbäuerInnen, die weniger gut erschlossene Alpen bewirtschaften, finanziell zu belohnen. Oder mit der Forderung nach jährlichen Unterhaltsbeiträgen für Kieswege. Vergebens.

Dass die Bundesgelder vor allem in Asphaltstrassen investiert werden, hängt mit dem Subventionssystem zusammen, das insbesondere die Bauwirtschaft ankurbelt. Der Bund subventioniert den Neu- und Ausbau sowie die Sanierung von Güterstrassen nach acht bis zwölf Jahren, nicht aber deren regelmässigen Unterhalt. Kiesstrassen, die laufend unterhalten werden müssen, sind dadurch benachteiligt. Und das, obwohl sie insgesamt volkswirtschaftlich kostengünstiger sowie natur- und landschaftsverträglicher wären, wie es bereits 1995 in einem Bericht des Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft (heute Bundesamt für Umwelt) hiess, in dem erstmals eingehend die Kostenfrage bei Güterstrassen untersucht wurde.

Während heute für den Neubau eines Kilometers Asphaltstrasse mit rund 230 000  Franken zu rechnen ist, kosten Kiesstrassen etwa 50 000  Franken pro Kilometer, wie die Dienststelle Landwirtschaft und Wald des Kantons Luzern schätzt. Zwar verspricht man sich durch die Asphaltierung von Strassen geringere Unterhaltskosten, doch müssen diese regelmässig saniert und nach rund zwanzig Jahren oft ganz erneuert werden. Langfristig gesehen sind Kiesstrassen also etwa halb so teuer.

Weshalb hat der Bund das Subventionssystem bis heute nicht geändert? «Die Unterstützung des Güterstrassenbaus über die Agrargesetzgebung hat sich grundsätzlich bewährt», sagt Markus Wildisen, Leiter des Fachbereichs Meliorationen beim Bundesamt für Landwirtschaft. Laut Wildisen gibt es auch keine Alternative zur «zweckmässigen» – sprich asphaltierten – Erschliessung. Nur so sei die Bewirtschaftung und Pflege des ländlichen Raums möglich, und nur so könnten in der Landwirtschaft die Produktionskosten gesenkt und die Betriebe wettbewerbsfähig und effizient bleiben. 

Im Zuge dieser Politik sind für Bauernhäuser und Alphütten unzählige lastwagentaugliche Zufahrten erstellt und Feldwege auch in den abgelegensten Winkeln landmaschinentauglich ausgebaut worden – das heisst, auf drei bis vier Meter verbreitert. Während also immer mehr Bauernbetriebe verschwinden – innerhalb der letzten 25 Jahre haben in der Schweiz rund 40 000  LandwirtInnen ihren Hof aufgegeben –, werden die Feldwege für Vierzigtönner fit gemacht und damit die Intensivierung der Landwirtschaft, der Verkehr und der Ferienhaustourismus auch in den Rand- und Bergregionen weiter gefördert. Mit verheerenden Auswirkungen für die Pflanzen- und Tierwelt. Mit der Asphaltierung der Landschaft wurden Tausende von neuen Todesfallen und oft unüberwindbaren Barrieren für Käfer und Würmer geschaffen – und viel unfruchtbare Erde: Denn unter den giftigen Asphaltbelägen ist der Boden tot.

Immense finanzielle Belastung

Das Resultat der jahrzehntelangen Erschliessungspolitik sind auch immer horrendere Kosten. Der Unterhalt des riesigen Netzes aus asphaltierten Nebenwegen wird für Gemeinden, Weggenossenschaften und BäuerInnen mehr und mehr zur finanziellen Belastung. Die Instandstellungskosten des Gemeindestrassennetzes belaufen sich heute auf 1,4 Milliarden Franken pro Jahr. Zwar unterstützt der Bund die Sanierung von Güterstrassen mit bis zu 60 000  Franken pro Kilometer, doch immer mehr KleinbäuerInnen können nicht mehr von ihrem Hof leben und führen ihn nur noch im Nebenerwerb, womit das Anrecht auf staatliche Wegsubventionen teilweise entfällt. 

Mittlerweile müsse deshalb bei fast der Hälfte der bestehenden Güterstrassen nach neuen Unterstützungsmöglichkeiten gesucht werden, schreibt Martin Christen, Projektleiter Strukturverbesserung der Luzerner Dienststelle Landwirtschaft und Wald. Sein Fazit: «Die Phase der Neubauten ist mehrheitlich abgeschlossen. Die bestehenden Güterstrassen zu erhalten ist die nächste grosse Herausforderung und mit den heutigen Mitteln (…) nicht möglich.»

Eine Herausforderung, vor der die Politik die Augen zu verschliessen scheint: Weder in der neuen Agrarpolitik noch im neuen Raumplanungsgesetz wird auf die Problematik eingegangen.

Mitte September hat FDP-Nationalrat Kurt Fluri, Präsident der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, in einer Interpellation zu einer weiteren verbreiteten Praxis auf Feld- und Waldwegen eine Stellungnahme vom Bundesrat verlangt: zum Einsatz von Asphaltgranulat, also einer Art zu Kies verarbeiteten alten Belägen. Asphaltgranulat wird vom Bund ebenfalls über Agrarsubventionen unterstützt. Die schwarzen Kieselsteinchen, die zum Teil im Verdacht stehen, krebserregend zu sein, gelten als Naturbelag. Die Antwort des Bundesrats ist hängig.