Thun: Café-Bar Mokka: «Securitys sind Faschos – so einfach ist das leider»

Nr. 42 –

MC (bürgerlich Beat) Anliker ist – seit der Eröffnung vor 26 Jahren – Zeremonienmeister, Veranstalter, Kolumnenschreiber und «Mädchen für alles» des Musikclubs Café-Bar Mokka in Thun. Ein Gespräch über Lärm, die Kunst des Jointbauens und die junge Generation.

Thun: Café-Bar Mokka Foto: Andreas Bodmer

WOZ: MC Anliker, wie geht es dir und dem «Mokka» im Moment?
MC Anliker: Es ging schon besser. Wenn etwas schiefgeht, geht meistens alles schief: Zum Stress mit Behörden kommt dann mit Sicherheit auch noch Stress mit dem Personal. Menschen, die im Delirium den Hauptschlüssel mitnehmen und unfähig sind zu bemerken, wenns kein WC-Papier mehr hat.

Brauchst du neues Personal?
Das sind nicht Leute, die ich einfach entlassen kann. Und das sind die Figuren, die man von aussen mit dem Betrieb identifiziert, egal ob sie ihren Job schlecht machen. Und das Publikum braucht solche Leute – ein Bier trinken bei jemandem, den sie kennen.

Ein Stück Heimat?
Natürlich. In einer Zeit, in der jegliche Heimat nur noch Fake und verfremdet ist – nichts weiter als nur noch eine Marke, in die man sich einkauft. So wie du angeblich zu den Party People gehörst, wenn du mit Orange telefonierst. Da bietet das «Mokka» schon noch ein bisschen mehr. Das ist vielleicht mit ein Grund, warum wir so viel Solidarität in der Bevölkerung geniessen.

Der Club hat in der letzten Zeit einige Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Da war die furchtbare Schlägerei 2010 …
Das war keine Schlägerei mehr, das war Totschlag. Die haben auf den armen Kerl – einen Eritreer, der bei uns seinen Status als aufgenommener Flüchtling feiern wollte – so lange mit einer Flasche eingeprügelt, bis sein Hirn nur noch Mansch war.

Was war der Auslöser?
Es war eine seltsame Zeit, angefangen mit dem Rauchverbot 2009. Die Leute hatten keine Kohle, kamen zwar zu unseren Shows, aber drei Minuten nach Konzertende waren sie auch schon wieder weg. Der besagte Abend war der erste der Saison, der richtig lief. Kurz vor Feierabend tauchte plötzlich diese gemischte Balkan- und Italienposse auf, zugepudert bis obenhin, in der ganzen Stadt auf der Suche nach Ärger, und sie landeten bei uns, an einem der verletzlichsten Orte überhaupt.

Wieso verletzlich?
Weil wir eben ein Ort sind, wo man einfach sein kann. Wo die Menschen auch sein können, wenn sie sich für einmal aus ihrer Zombie-of-irgendwas-Welt ausklinken. Wo du sein kannst, wie du bist, egal wer du bist.

Und deswegen seid ihr verletzlich?
Wir haben keinen Paranoiablick, wie überall sonst in der Clubkultur. Wir sind nicht nur ein Club, wir sind eine soziokulturelle Institution. Deswegen kommen die 200 000 Franken Subvention fürs «Mokka» auch grösstenteils aus dem sozialen Lastenausgleich des Kantons und nicht aus dem Kulturbudget.

Das ist schweizweit ein Unikum.
So wie der Club eben auch. Die Sachen funktionieren bei uns einfach anders. Ein Betrieb ohne Sexismus, ohne Sponsoring und halt eben auch ohne Securitys. Das Personal ist deswegen aber stärker gefordert.

Was waren die Konsequenzen? Habt ihr den Laden dichtgemacht?
Nein, wir blieben offen. Unser Discokeller war versiegelt, die Polizei machte alle möglichen forensischen Untersuchungen, nahm Hunderte von Fotos und Blutspuren.

Und auf der emotionalen Ebene?
Das war heavy. Das ist doch nicht unsere Welt. Wir machen Shows mit coolem Zeugs, das wir mit den Leuten teilen wollen. Und dann kreuzen irgendwelche Typen auf, die noch nie an einer Show hier waren, und machen unsere Ideale kaputt.

Jeder andere Club hätte mehr Security-Personal eingestellt.
Das wollen wir nicht. Securitys machen dir einen Staat im Staat, die fördern diese Kultur des Mackertums. Securitys sind Faschos, ob im Fussballstadion oder am Eingang zum Club – so einfach ist das leider, da darf man sich nichts vormachen. Wir hatten während des Balkankriegs ein einziges Mal Security, und das ging schief. Da sind dann die übelsten Mafiakerle an der Kasse vorbeigewinkt worden – das geht so nicht.

Was habt ihr sonst noch für Massnahmen getroffen?
Wir haben die Schnaps-Shots aus dem Programm genommen, Wodka und so weiter. Die waren für mich schon immer Teil dieser Verniedlichung von schnell wirkenden Drogen. Ich habe nichts gegen Drogen, aber ich bin der Meinung, wenn sich die Leute schon etwas reinpfeifen wollen, dann sollen sie die Auswirkungen auch als massiv wahrnehmen. Das soll dich beissen. Nichts ist schlimmer als Männer, die ab fünf Uhr nachmittags nur noch mit der Flasche in der Hand rumrennen und gar nicht mehr mitbekommen, dass sie nur noch lallen und stinken.

Hast du ein Gegenmodell?
Wir haben in den siebziger Jahren auch Drogen genommen, aber um uns damit weiterzubringen – oder zumindest davon zu träumen. Das war eine lebendige Subkultur. Wer kiffte, war automatisch dein Freund. Da hast du dich ausgetauscht über die verschiedenen Sorten und die Methoden, einen kunstvollen Joint zu bauen. Zeig mir heute jemanden, der noch weiss, wie man ein «Kreuz des Südens» baut!

Und das hat sich verändert?
Massiv. Das ist doch nur noch Instant Gratification – sofortige Befriedigung. Und orale Fixierung: grosse Brustwarzen und Red Bull. Ich glaube, diese ganze Generation hat einfach zu wenig an der Brust gehangen. Hast du eine bessere Erklärung, wieso ein solch ekliges Gesöff überall konsumiert wird?

Da klingst du jetzt allerdings schon ein bisschen wie ein alter Sack, der sich über die Jungen aufregt …
Das mag sein. Aber wenn ich mich im Business umschaue, werde ich das Gefühl nicht los, dass es die alten Säcke braucht, weil da von den Jungen her nichts nachkommt. Da fehlt einfach die Power.

Gibt es keine Ausnahmen? Im Moment rennen junge Menschen durch Thun und sammeln Unterschriften für das «Mokka» …
Das stimmt schon. Diese Kids, die innert kürzester Zeit eine Petition aus dem Boden gestampft haben, mit Stickern und Plakaten und Videos. Wow! Die haben mich beeindruckt. Aber es gibt zu viele, die mit den Möglichkeiten von heute überfordert sind. Das kann ich auch verstehen, wenn ich mir anschaue, mit wie viel sinnlosem Material von Bands ich bombardiert werde: ganze zehn Alben pro Tag. Wer soll sich denn den ganzen Scheiss anhören?

Bleiben wir bei der Petition. Wie kam es dazu?
Unser Summerdance-Festival lief seit sechzehn Jahren, und es gab nie Probleme. Und dieses Jahr gab es einen neuen Nachbarn, der bei der Polizei anrief, um sich über den Lärm zu beschweren. Wäre der beim Polizeihauptquartier Thun gelandet – zwanzig Meter neben dem «Mokka» –, hätte man ihm wohl gesagt, das sei schon immer so gewesen. Leider hatten die an dem Abend das Telefon zur Zentrale in Steffisburg umgeschaltet, und da hat er irgendeinen beflissenen Bürohengst erwischt, der wahrscheinlich noch nie in der Nähe von Thun war. Der schaute sich die letzte Bewilligung von 2003 genauer an und merkte plötzlich, dass wir zwar ein Gartenpatent bis morgens halb vier hatten, die Musik aber schon um zehn Uhr abgestellt werden muss.

Das war mit der Stadt zwar anders ausgehandelt worden, aber belegen kann ich es nicht.

Und jetzt? Stellt die Stadt auf stur?
Nein, überhaupt nicht. Die wissen, was sie an uns haben. Man wird jetzt das Ganze neu verhandeln müssen, aber es ist rein rechtlich schon klar, dass man nie wieder zwei Wochen am Stück die ganze Nacht durch Party machen kann. Das ist verloren und kaputt – für immer. Im besten Fall kriegen wir eine Bewilligung bis halb eins. An den Wochenenden.

Dann bringt aber auch die Petition nicht viel?
Fürs Summerdance-Festival nicht. Aber uns wird gerade eine grosse Überbauung direkt vor den Club gesetzt. Mit Wohnungen und Cineplex und allem Seich. Wir wollen, dass der Gemeinderat der Bauherrschaft und den zukünftigen Mietern klar kommuniziert, dass es uns gibt – dass wir eine unverzichtbare Institution in der Stadt sind. Und die Reaktionen sind enorm: Da kamen Kuverts mit Unterschriften von ganzen Schulhäusern, Versicherungsagenturen, Bahnhöfen. Wir sind jetzt bei 6500 Unterschriften [bei Redaktionsschluss dieser Beilage war die Anzahl auf 7800 gestiegen], und wir zielen auf 8500. Zum Vergleich: Die Petition zur Erhaltung der schwarzen Schwäne auf dem Thunersee hatte 7000 Unterschriften, und das war eine News-Story, die um die Welt ging.

Schützt euch das vor Lärmklagen?
Wenn das politische Bewusstsein da ist, dass wir wichtig sind für Thun, werden wir nicht einfach abgeschossen. Um noch stärker öffentlich wahrgenommen zu werden, veranstalten wir am 6. Oktober auf dem Rathausplatz Thun einen Aktionstag unter dem Titel «Leben macht Lärm». Da werden die Behörden wohl ein bisschen nervös.

Haben sie Angst vor einem nächsten «Tanz dich frei»?
Ja, klar. Und weil es vor kurzem die Aktion gab «Figg di, Fritschi». Marc Fritschi ist der Regierungsstatthalter. Aber was sollen wir gegen den motzen – als ob der irgendetwas ändern könnte? Das wird ein friedliches Fest, das kann ich denen garantieren. Und es gibt keine Tanzdemo. Zum Glück nicht.

Warum nicht? «Tanz dich frei» in Bern hat doch ziemlich Aufsehen erregt.
Das ist doch einfach wieder eine Party mehr, das hat doch mit politischem Bewusstsein nichts zu tun. Das muss ich auch den Behörden dauernd erklären. Die hören «Leben macht Lärm» und denken, dass das ein lärmiger Anlass sein muss. Also liegen sie mir in den Ohren und wollen wissen, wer denn die auftretenden Künstler seien. Das Einzige, was ich denen bisher sagen konnte, ist, dass U2 abgesagt haben, weil ihnen der Flughafen Thun zu klein ist, und dass Madonna in Burma am Meditieren sei.

Wie lange machst du noch weiter im «Mokka»?
Ich glaube, in zehn Jahren bin ich nicht mehr hier. Und ob sich bis dahin junge Leute finden, die das «Mokka» übernehmen können, das kann ich mir noch nicht vorstellen. Wobei – als wir den Laden vor 26 Jahren eröffnet haben, war es auch unvorstellbar, dass es uns länger als ein paar Monate geben würde.

Setzt du dich in zehn Jahren dann zur Ruhe?
Solange ich noch Bands höre, von denen ich noch nie gehört habe und die ich hier veranstalten will, stimmt das für mich. Ich habe schon vor, den Abgang zu schaffen, bevor ich im Pyjama im Club rumstehe. Der Club ist mein Leben. Ich bin Old School – wie ein marokkanischer Bäcker, der einmal im Leben nach Mekka geht und sonst kaum aus seinem Quartier rauskommt.

Wohin geht deine Mekkareise?
Ich plane für nächsten Januar eine Reise nach Island. Dann soll es das stärkste Nordlicht der letzten Jahrzehnte geben. Wenn die Blizzards ausbleiben, werden mein Kumpel und ich da stundenlang unter dem Grünlicht stehen und wahrscheinlich jeden LSD-Trip verfluchen, den wir je geschmissen haben.

MC Anliker

Seit 26 Jahren betreibt Beat «MC» Anliker (55), gern «Pädu» genannt, die «Café-Bar Mokka» in Thun. Der gelernte Gipser und Maurer hat noch nie einen Fahrausweis besessen, bezeichnet das Veranstalten im «Mokka» als sein Leben und meint entsprechend, dass er in einem Leben nach dem Veranstalten höchstens noch einen Job «hinten auf dem Küdderlaster» bekommen würde.

Das Gespräch mit MC Anliker fand Mitte September statt – der darin angekündigte Aktionstag «Leben macht Lärm» am 6. Oktober wurde zum vollen Erfolg. Über tausend Menschen kamen auf den Thuner Rathausplatz, um friedlich feiernd ihre Solidarität mit dem «Mokka» zu zeigen. Anliker war denn auch nach dem Aktionstag tief gerührt: «Es war eine wunderbare Mischung: die Jungen, die noch einmal für die Petition sammelten, und die vielen Älteren, die kamen, um sich bei uns für unsere Arbeit zu bedanken. Wir sind sehr froh um diese Unterstützung und hätten uns keine bessere Voraussetzung wünschen können, um unsere Petition Anfang November einzureichen.»

«This city needs»

Aufgrund einer Lärmklage im Sommer 2012 wurde dem seit sechzehn Jahre stattfindenden Summerdance-Festival in der «Café-Bar Mokka» die Bewilligung entzogen. Eine Gruppe junger Menschen im Umfeld des «Mokka» reagierte umgehend mit einer Petition, durch die der Thuner Gemeinderat aufgefordert wird, eine Lösung zur Rettung des Festivals zu finden und sich unmissverständlich zur Weiterführung des «Mokka» zu bekennen.

Unterschriftenbogen auf: www.mokka.ch.