Burma: Lorbeeren für das Regime, leere Versprechen für die Rebellen
Die burmesische Regierung wird im Ausland für ihre Reformen gelobt. Doch die ethnischen Minderheiten werden weiterhin unterdrückt. An einer konstruktiven Lösung für die vielen bewaffneten Konflikte im Land ist die Regierung nicht interessiert.
Die Schlangen vor der Mae-Tao-Klinik ausserhalb der thailändischen Grenzstadt Mae Sot sind lang. Täglich warten Hunderte geduldig in der sengenden, feuchten Hitze, bis sie an der Reihe sind. Viele sind krank oder verwundet. Schwangere wollen hier ihr Baby zur Welt bringen. Eltern möchten ihre Kinder impfen lassen. Eines haben sie alle gemeinsam: kaum oder gar kein Geld. Die Mae-Tao-Klinik ist der einzige Ort, den sie aufsuchen können, denn hier werden die PatientInnen kostenlos behandelt.
Aus einem der Gebäude dringen Hämmern und Schleifen. Neben der offenen Tür sitzt Kyaw Thoo und sieht zu, wie seine neue Prothese hergestellt wird. Eine Landmine hatte dem Landarbeiter den Unterschenkel abgerissen. Kyaw Thoo stammt aus der burmesischen Verwaltungseinheit Karen-Staat, die im Osten des Landes direkt an der Grenze zu Thailand liegt. «Zu Hause hatte ich keine Möglichkeit, mich behandeln zu lassen. Deswegen bin ich hierhergekommen», sagt Kyaw.
Kyaw Thoo gehört zu den mehr als 100 000 PatientInnen, die in dieser Klinik jedes Jahr behandelt werden. Es sind vor allem Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen aus Burma, die hier Hilfe suchen. Aber auch andere BewohnerInnen des Nachbarlandes pilgern für die Behandlung nach Mae Sot. Davon, dass Burma sich politisch öffne, wie es in den internationalen Medien heisst, merken die MitarbeiterInnen der Klinik nichts: Der PatientInnenstrom reisst nicht ab.
Nach fünf Jahrzehnten der Militärdiktatur liegt in Burma das Gesundheits- und Bildungssystem darnieder. Von Wohlstand und nationaler Aussöhnung ist das südostasiatische Land Lichtjahre entfernt. Vor allem in den von ethnischen Minderheiten bewohnten Grenzgebieten ist die Situation nach wie vor prekär. So etwa im Karen-Staat, der jahrzehntelang Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen war zwischen den RebellInnen der Befreiungsarmee der Karen (KNLA) – dem bewaffneten Arm der Karen National Union (KNU) – und den Truppen der Zentralregierung. Die Bergvölker der Karen kämpfen seit 1949 gegen Burmas Regierung – zuerst für ihre Unabhängigkeit, später für weitreichende Selbstbestimmung.
Durch den Konflikt wurden Hunderttausende Karen zu Flüchtlingen. Viele flohen über die Grenze nach Thailand. Im Januar 2012 unterzeichneten die Karen-RebellInnen mit Burmas Zentralregierung eine Vereinbarung über eine sofortige Waffenruhe. Seither gab es bereits erste Gespräche zwischen Burma und Thailand über die mögliche Rückführung von rund 140 000 Langzeitflüchtlingen auf thailändischer Seite innerhalb eines Jahres. Doch die Sicherheit der Menschen ist mit der Vereinbarung keineswegs gegeben. Die Karen betrachten diese lediglich als einen ersten Schritt hin zu einem echten Frieden und zu Gleichberechtigung für die ethnischen Minderheiten.
So sieht es auch Cynthia Maung, selbst eine Karen: «Wir brauchen einen politischen Dialog, der alle einschliesst: die Regierung, die Opposition und die ethnischen Anführer», sagt die Ärztin, die 1989 die Mae-Tao-Klinik aufgebaut hatte. Zwar sei vielen bekannt, dass die Zentralregierung mit einzelnen ethnischen RebellInnengruppen Waffenstillstandsabkommen geschlossen habe, aber eine Waffenruhe allein bedeute noch keinen Frieden.
Belohnung für die Regierung
Die KNU strebt deshalb eine langfristige politische Vereinbarung an. Darin sollen den ethnischen Minderheiten gleiche Rechte innerhalb einer Föderalunion garantiert werden, sagt Zipporah Sein, die KNU-Generalsekretärin und eine der VerhandlungsführerInnen bei den Friedensgesprächen mit Burmas Regierung: «Nationale Versöhnung nur auf der höchsten Ebene ergibt keinen Sinn, wenn die einfachen Menschen davon nichts spüren.»
Die BewohnerInnen in vielen Gebieten merken tatsächlich nichts von jenen ersten Reformen, für die Präsident Thein Seins quasizivile Regierung seit einigen Monaten international Lorbeeren einheimst. Zur Belohnung hat die internationale Staatengemeinschaft die Wirtschaftssanktionen, die sie Ende der achtziger Jahre über das Land verhängt hatte, ausgesetzt oder weitestgehend gelockert.
KritikerInnen mutmassen, dass die Regierung nur deshalb Friedensgespräche mit der KNU führe, weil sie hoffe, dadurch den Aufbau der Wirtschaftszone Dawei im Süden Burmas beschleunigen zu können. Einen Ausverkauf der natürlichen Ressourcen wie Edelsteine, Teakholz und Metalle dürfe es aber nicht geben, sagt Zipporah Sein. Vielmehr müsse sichergestellt werden, dass die lokale Bevölkerung von den Entwicklungen profitiere.
Stets neue Offensiven
«Es gibt durchaus Veränderungen in zentralen Regionen, etwa in Städten wie Rangun und Naypyidaw», sagt Zoya Phan, Vorsitzende des Europäischen Karen-Netzwerks. Aber im Karen-Staat, in dem grosse Flächen vermint sind, wie auch in anderen von ethnischen Minderheiten bewohnten Regionen kann laut Zoya von Frieden keine Rede sein. So komme es trotz Waffenruhe im Karen- wie auch im Shan-Staat immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstössen.
In Burmas nördlichstem Staat Kachin an der Grenze zu China wurde im Juni 2011 ein siebzehn Jahre zuvor vereinbartes Waffenstillstandsabkommen gebrochen, als Regierungstruppen eine Offensive gegen die RebellInnen der Befreiungsarmee der Kachin (KIA) starteten. Die Regierungssoldaten attackierten zunächst einen strategisch wichtigen KIA-Posten in der Nähe eines von China finanzierten Wasserkraftwerks – und lösten so einen neuen Konflikt aus. Seitdem reissen die Kämpfe nicht ab. MenschenrechtlerInnen werfen der Regierungsarmee Mord, Folter und Vergewaltigung vor. Schätzungsweise 100 000 Menschen sind vertrieben worden.
Burmas Geschichte hat wiederholt gezeigt, dass eine Waffenruhe ohne politischen Dialog nichts taugt: Bereits General Khin Nyunt, ehemaliger Geheimdienstchef und Premierminister des Militärregimes, der 2004 gestürzt wurde, hatte in den neunziger Jahren mit RebellInnengruppen einen Waffenstillstand ausgehandelt – unter anderem mit den Kachin. Den RebellInnen in der an natürlichen Ressourcen reichen Region wurden wirtschaftliche Zugeständnisse gemacht. Gleichzeitig nahm die Zahl gross angelegter Entwicklungsprojekte zu, von denen neben einigen wenigen KIA-AnführerInnen vor allem die Militärführung, lokale Geschäftsleute sowie chinesische InvestorInnen profitierten. Die BewohnerInnen hingegen waren gezwungen, die rücksichtslose Ausbeutung der Ressourcen hinzunehmen. Sie wurden von ihrem Land vertrieben oder mussten Fronarbeit leisten.
Auch von der neuen «Öffnung» Burmas unter Präsident Thein Sein spüren die Kachin nichts: Zwar habe Sein zweimal angeordnet, dass die Regierungstruppen ihre Angriffe auf die RebellInnen einstellen – doch das Gegenteil sei eingetroffen: Die Truppen seien verstärkt worden und würden immer neue Offensiven gegen die Kachin starten.
Dass seine Befehle missachtet werden, scheint den Präsidenten nicht zu kümmern. Obwohl bisher alle Gesprächsrunden gescheitert sind, geht Thein Sein davon aus, dass seine Regierung mit den Kachin-RebellInnen, mit denen man sich demnächst an einen Tisch setzen wolle, eine Vereinbarung treffen könne, wie er Ende September in einer Rede vor der Uno-Vollversammlung sagte. Beide Seiten würden «an weiteren vertrauensbildenden Massnahmen arbeiten». In einem Interview wies Thein Sein zudem alle Vorwürfe bezüglich der von der Armee verübten Menschenrechtsverletzungen von sich. Die staatlichen Truppen seien vielmehr «sehr diszipliniert» und hätten keinen Grund, Vergewaltigungen und Morde zu begehen.
Widerstand des Militärs
Regierung und RebellInnen haben völlig verschiedene Vorstellungen davon, wie der künftige Weg hin zu einer föderalen Union aussehen soll. Die Regierung erwarte von den RebellInnen, dass diese die Waffen niederlegen und politische Parteien bilden, um dann einen politischen Dialog einzig innerhalb des jetzigen parlamentarischen Systems initiieren zu können, schreibt die Organisation Burma Partnership, in der sich verschiedene Initiativen im asiatisch-pazifischen Raum zusammengeschlossen haben, die für ein demokratisches Burma kämpfen.
Würden sich die RebellInnen diesem Prozedere unterordnen, hiesse das gleichzeitig, sie müssten das von juntatreuen Abgeordneten und Militärs dominierte Parlament anerkennen und die umstrittene Verfassung von 2008 akzeptieren. Diese beschneidet jedoch die Rechte der ethnischen Minderheiten massiv, garantiert dem Militär eine Vormachtstellung und favorisiert den Zentralstaat. Verfassungsänderungen können nur mit Zustimmung von mindestens 75 Prozent der Abgeordneten durchgesetzt werden, wobei die Armee, die unabhängig von Wahlen 25 Prozent der Parlamentssitze innehat, in allen wichtigen Entscheidungen ein Vetorecht besitzt.
Zwar deutete Aung Min, der Chefunterhändler der burmesischen Regierung, an, man werde alle notwendigen Kompromisse eingehen, um dem Land Frieden zu bringen, und signalisierte gar Kompromissbereitschaft für eine mögliche Änderung der Verfassung. Doch die Bereitschaft, Konzessionen zu machen, dürfte längst nicht auf alle zutreffen. Freiwillig werden die Hardliner innerhalb des Militärs ihre Machtposition nicht aufgeben. Bereits haben Kommandeure in den RebellInnengebieten signalisiert, dass sie sich nicht an die Anordnungen der Regierung gebunden fühlen. Entsprechend bezweifeln KritikerInnen nicht nur Thein Seins politischen Willen, das Land tatsächlich zu befrieden, sondern fragen sich auch, ob der Präsident dafür überhaupt die Macht besitzt. Sie monieren ohnehin, es gehe der Regierung eher um die Aufhebung westlicher Sanktionen als um eine nachhaltige Friedenslösung.
Waffenruhe auf dem Prüfstand
Aus diesem Grund haben VertreterInnen des United Nationalities Federal Council (UNFC), einer aus rund einem Dutzend bewaffneter RebellInnenorganisationen bestehenden Allianz, ihre eigenen Vorstellungen in einem Sechspunktepapier festgehalten. Darin machen sie deutlich, dass für sie weder die Anerkennung der jetzigen Verfassung infrage kommt noch die Umwandlung der bewaffneten Gruppen in eine einheitliche, dem Zentralstaat unterstellte Streitmacht.
Nicht wenige fordern eine Rückbesinnung auf das sogenannte Panglong-Abkommen von 1947, das Burmas Unabhängigkeitsheld General Aung San mit mehreren ethnischen Minderheiten geschlossen hatte und das diesen gleiche Rechte und eine gewisse Autonomie innerhalb einer Union Burma garantierte. Doch kurz darauf wurde Aung San ermordet, das Abkommen nie umgesetzt.
Im Hinblick auf eine politische Lösung fordern der UNFC und andere ethnische Interessengruppen einen Dialog zwischen VertreterInnen der Regierung, von ethnischen Minderheiten und Demokratiebewegungen. Ausserdem solle es Treffen der Regierung mit sämtlichen bewaffneten RebellInnengruppen geben anstatt individueller Verhandlungen mit einzelnen Gruppierungen. Die Waffenstillstands- und Friedensgespräche sollen zudem von internationaler Seite beobachtet werden. Um mögliche Abkommen zu ratifizieren, müsse in jedem ethnischen Staat zudem ein Referendum stattfinden.
Zwischenzeitlich hatte der UNFC der Regierung gar ein Ultimatum gestellt: Sollten die Offensiven der Regierungstruppen im Kachin-Staat bis Mitte Juni nicht eingestellt werden, wolle man bisherige Abkommen über eine Waffenruhe überdenken. Passiert ist bislang nichts.
Aung San Suu Kyi : Demokratie-Ikone in der Kritik
Nur wenige BurmesInnen profitieren von den politischen Reformen, für die die quasizivile Regierung von Präsident Thein Sein international gelobt wird. Demokratieaktivistinnen und Vertreter ethnischer Minderheiten beklagen, dass die Weltgemeinschaft ihre Aufmerksamkeit einseitig auf die als Ikone des burmesischen Widerstands wahrgenommene Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi sowie die Demokratiebewegung ihrer Partei richte. Derweil verschlimmere sich teilweise die Lage in den Gebieten, in denen seit Jahrzehnten bewaffnete ethnische Konflikte ausgetragen werden.
Auch die starke Lockerung der westlichen Wirtschaftssanktionen stehen in der Kritik. Zwar sprach sich Aung San Suu Kyi im Sommer für ein Ende der US-Sanktionen aus. Doch RegimekritikerInnen fordern, dass die Sanktionen so lange aufrechterhalten werden sollten, bis in Burma echter Frieden und politischer Wandel eintreten. Die Weltgemeinschaft dürfe nicht überhastet Hilfsleistungen und Investitionen bereitstellen, die nicht auch den lokalen Gemeinschaften zugutekämen. Vom Ausland unterstützte Initiativen für den Friedensprozess müssten nachhaltige politische Lösungen in den Mittelpunkt stellen.
Indes wird die Kritik an Aung San Suu Kyi lauter. So zeigt sich die 67-Jährige merkwürdig schweigsam bezüglich der ethnischen Konflikte im Land. Auch das Versagen der Regierung und die Menschenrechtsverletzungen im westlichen Rakhine-Staat während der blutigen Unruhen im Juni zwischen buddhistischen Rakhine und muslimischen Rohingya prangerte sie nicht an.
Ebenfalls zurückhaltend bleibt Aung San Suu Kyi bei Fragen zum anhaltenden Kachin-Konflikt. Es müsse «erst etwas über die Ursache des Konflikts herausgefunden werden, um diesen bestmöglich lösen zu können», sagte sie. Mit solchen Aussagen stösst sie die ethnischen Minderheiten vor den Kopf. So sagte eine Kachin-Aktivistin gegenüber der «Kachin News Group»: «Aung San Suu Kyi muss die Kriegsverbrechen der Regierung ansprechen und das Militär kritisieren, sonst werden ihr die Kachin nicht trauen.»
Nicola Glass