CD: Organische Musik
«A giant has fallen», schrieb Patricia Parker vergangenen Freitag in einer E-Mail aus New York. Die Tänzerin und Organisatorin des Vision-Festivals beklagte den Tod des grossartigen Tenorsaxofonisten David S. Ware, der seit den achtziger Jahren oft mit ihrem Mann, dem Bassisten William Parker, zusammengespielt hatte. Die Parker-Family ist das Kristallisationszentrum für die afroamerikanische Szene von New York. Aus ihrem engeren Umfeld heraus wird das seit 1996 bestehende Vision-Festival organisiert. Vom Programm her hat es klar die afroamerikanische Szene der USA im Fokus. Über die Jahre streckte die Parker-Family vermehrt die Fühler nach Europa aus und liess auch lokal die «Farbgrenzen» schon seit langem hinter sich.
«Organica (Solo Saxophones, Volume 2)» und «Planetary Unknown» (siehe WOZ Nr. 39/11) gehören zu den letzten Aufnahmen des Tenorsaxofonisten, der in den vergangenen Jahren vermehrt auch auf dem Sopranino zu hören war. «Planetary Unknown» ist eine Quartettaufnahme, zu der David S. Ware in den Linernotes schrieb: «Die vergangenen hundert Jahre des Jazz waren unsere Probe.» Das verdeutlicht die Haltung der vier Musiker, die sich zum ersten Mal im Studio trafen, und belegt, wie sie ihr «instant composing» verstehen. Auf «Organica» sind zwei Solokonzerte in Brooklyn und Chicago von 2010 dokumentiert. Sie zeigen, dass Ware wieder zu seiner alten hymnischen Kraft zurückgefunden hatte und in eleganten Bogen durch die Jazzgeschichte mäanderte – ohne nostalgisch zu werden.
Am Vision-Festival war David S. Ware ein seltener Gast, er spielte dort 2003 und 2010. Sonst lebte er zurückgezogen wie ein Eremit, blieb ein Solitär. Durch ein chronisches Nierenleiden war er stark geschwächt und brachte für Konzerte und Tourneen in den vergangenen Jahren immer seltener genügend Energie auf. Auch die 2009 erfolgte Transplantation brachte nur für kurze Zeit Linderung. David S. Ware, der 1977 seine erste Platte «Birth of a Being» nannte, verstarb am 18. Oktober im Alter von 63 Jahren in New Brunswick. Er ist zum «Planetary Unknown» aufgebrochen, aber seine Musik bleibt.
David S. Ware: Organica (Solo Saxophones, Volume 2). Aum Fidelity/Import
David S. Ware: Planetary Unknown. Aum Fidelity/Import