Türkei und Ägypten: Die neue Achse der Macht

Nr. 43 –

Die Umwälzungen in einigen Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens seit Anfang 2011 haben auch die zwischenstaatlichen Beziehungen und Bündniskonstellationen innerhalb dieser Weltregion sowie mit benachbarten Ländern erschüttert. Beim aktuellen Bürgerkrieg in Syrien geht es zumindest den indirekt beteiligten Akteuren von ausserhalb, den USA, Israel, Saudi-Arabien und Katar, auch oder gar in erster Linie darum, durch den Sturz des Assad-Regimes die «schiitische Achse des Bösen» zwischen Damaskus und Teheran, der Hisbollah im Libanon und der Hamas im Gazastreifen zu zerstören.

Neue Bündniskonstellationen zeichnen sich bislang kaum ab. Mit einer Ausnahme: Bereits im Sommer 2011 kündigte der türkische Aussenminister Ahmet Davutoglu eine neue «Achse der Macht» zwischen seinem Land und Ägypten an – als Ersatz für den schwindenden Einfluss der USA in der Region. Seitdem entwickelte sich tatsächlich eine verstärkte Kooperation zwischen den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Region. Heute spricht man schon über mögliche gemeinsame Seemanöver und türkische Wirtschaftshilfe für Ägypten in Höhe von zwei Milliarden US-Dollar. Doch welche Interessen stehen dahinter? Welche Chancen birgt die neue Achse? Welche Gefahren? Und wo liegen ihre Grenzen?

Zur Erinnerung: Unter den Aufständischen in Ägypten, wie auch in Tunesien und Libyen, galt (und gilt) die Türkei mit ihrer laizistischen Verfassung und einer gemässigt islamischen Regierung als Entwicklungsmodell für das eigene Land. Zusätzlichen Kredit verschaffte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seinem Land, als er bereits Anfang Februar 2011 – und noch deutlich vor Barack Obama, Angela Merkel, Nicolas Sarkozy und anderen zögerlichen Regierungschefs westlicher Demokratien – öffentlich Partei für die ägyptische Opposition und gegen Diktator Hosni Mubarak ergriff.

Seit dem Sturz Mubaraks drängen Kairo und Ankara in oftmals abgestimmten Statements immer häufiger auf das Ende der israelischen Besatzungspolitik in der Westbank und auf die baldige Schaffung eines überlebensfähigen Staats Palästina. Intensiv, zugleich aber auch kompliziert ist die Kooperation der beiden Staaten mit mehrheitlich sunnitischer Bevölkerung hinsichtlich des Konflikts in Syrien: Gemeinsam mit dem ebenfalls sunnitischen Saudi-Arabien unterstützen Ägypten und die Türkei die Oppositionskräfte. Zugleich aber sind sich Erdogan und der neue ägyptische Präsident Muhammad Mursi einig, dass eine politische Lösung der Gewaltkonflikte in Syrien nur möglich ist unter dem Einbezug des Iran – obwohl, oder besser: weil Teheran der wichtigste und letzte Verbündete des Assad-Regimes ist.

Erdogan und Mursi sind überzeugt, dass die von ihrem gemeinsamen westlichen Hauptverbündeten, den USA, und von Israel verfolgte Strategie einer totalen Isolierung des Iran längst gescheitert ist. Und dass diese Strategie die Lösung anderer Konflikte in der Region erschwert. Aus diesem Grund reiste Mursi trotz massiven Drucks der Obama-Administration im August nach Teheran zum Gipfel der blockfreien Staaten.

In der bilateralen Beziehung mit Ägypten ist die Türkei zumindest derzeit in jeder Hinsicht der überlegene Partner: politisch, militärisch, vor allem aber wirtschaftlich. Bereits seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts ist die Türkei die am stärksten wachsende Volkswirtschaft der Welt. Von türkischen Investitionen, die bis Anfang 2011 noch hauptsächlich nach Syrien und in den kurdischen Nordirak flossen, könnte das wirtschaftlich geschwächte Ägypten erheblich profitieren. Die Türkei könnte eine ähnlich erfolgreiche Rolle als wirtschaftliche Lokomotive in der Region spielen wie etwa Japan in den siebziger und achtziger Jahren in Asien.

Sollte Ankara darüber hinaus allerdings versuchen, sich auch zum politischen und militärischen Hegemon aufzuschwingen, dürfte das nicht nur in Ägypten, sondern auch in anderen Ländern der Region ungute Erinnerungen an das (seinerzeit von Syrien bis Äthiopien reichende) Osmanische Reich wecken und zur Abkühlung des Verhältnisses zu Ankara führen.