Grüner Kapitalismus?: Wir stecken immer tiefer im Fossilismus

Nr. 45 –

Die liebenswerte Vision einer Green Economy verblasst angesichts der Wirtschaftsentwicklung der 500 weltgrössten Unternehmen: Die Macht des «braunen» Kapitals wächst weiter.

Die Öl-, Bergbau- und Rohstoffkonzerne werden immer grösser – und immer reicher. Förderpumpen im westsibirischen Nischnewartowsk. Foto: Igor Gavrilov, Greenpeace

Seit der Uno-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro im Jahr 1992 ist es sozusagen amtlich: Es findet eine gefährliche Erwärmung des weltweiten Klimas statt. Diese ist weitgehend von Menschen verursacht. Das entscheidende Treibhausgas, das diese Klimaerwärmung bewirkt, ist Kohlendioxid, das kennzeichnend ist für den fossilistischen Kapitalismus mit seiner Energiegewinnung aus Kohle, Öl und Gas. Damit ist auch klar, dass die CO2-Emissionen auf globaler Ebene gesenkt werden müssen, um die Klimaerwärmung einzudämmen.

Schliesslich wurde am 11. März 2011 mit der atomaren Katastrophe von Fukushima dokumentiert, dass die Atomkraft keine «Brückentechnologie» darstellt, dass es sich hier nicht um eine Form der Energiegewinnung handelt, mit der die Zeitlücke bis zum massenhaften Einsatz alternativer und nachhaltiger Energien geschlossen werden könnte. Vielmehr ist diese mit Gefahren verbunden, die noch wesentlich schneller als eine Klimakatastrophe Millionen Menschen ihrer Lebensgrundlagen berauben können.

Good, bad, ugly

Wenn das Energieszenario des 21. Jahrhunderts als Hollywoodfilm dargestellt würde, er hiesse «The Good, the Bad and the Ugly»: «Ugly», wirklich hässlich ist die fossilistische, CO2-intensive Wirtschaft. Als «bad», als ausgesprochen schlecht, erweist sich das Setzen auf Atomkraft. «Good» sind der Ausstieg aus dem Fossilismus und eine nachhaltige Wirtschaftsweise.

Es fehlte nur noch eine überzeugende Marke für die andere Wirtschaftsweise. Sie wurde mit dem Begriff «Green Economy» gefunden.

Ende 2011 legte die Uno-Umweltorganisation Unep eine 600-Seiten-Schrift vor mit dem Titel «Towards a Green Economy. A Pathway to Sustainable Development and Poverty Eradication» (Auf dem Weg zu einer grünen Wirtschaft. Ein Pfad zu nachhaltiger Entwicklung und Armutsbeseitigung). Die Hauptthese in dieser Schrift ist erstaunlich schlicht: Es habe da eben eine umfassende «Fehlallokation von Kapital» gegeben. Nach Jahrzehnten, «in denen neuer Reichtum in einer braunen Ökonomie, basierend auf fossilen Brennstoffen, geschaffen» worden sei, müsse nun – natürlich überwiegend mit Marktmechanismen – das Kapital umdirigiert und in Green-Economy-Projekten neu angelegt werden. Banal gesagt, so die Unep-Studie, entspreche «eine grüne Wirtschaft einem niedrigen Level von Kohlendioxid-Emissionen, hoher Ressourceneffizienz und sozialer Ausgewogenheit».

Aber gibt es überhaupt Anzeichen dafür, dass das spezifische Gewicht des fossilistischen Kapitals geschwächt und dass andere Sektoren des Kapitals, die eher einer Green Economy zuzurechnen sind, gestärkt werden würden? Eine Analyse der 500 grössten Unternehmen der Welt lässt auf die gegenteilige Entwicklung schliessen: Die «braunen», fossilistischen Industrien werden immer bedeutender.

Die «Global 500» sind entscheidend

Seit 1990 veröffentlicht das US-Wirtschaftsblatt «Fortune» detaillierte Statistiken zu den 500 grössten Unternehmen der Welt. Seit 1995 wurde dabei eine statistische Aufbereitung gefunden, die in ihrer Grundstruktur bis heute gleichbleibend ist. Die letzte Statistik erschien in der «Fortune»-Ausgabe vom 6. August 2012 mit den Daten für das Jahr 2011.

Der entscheidende Massstab für das Ranking der sogenannten Global 500 ist in der «Fortune»-Statistik der Jahresumsatz. Die Liste enthält jedoch auch die Angaben zu den erzielten Profiten, zur Börsenkapitalisierung und zu den Beschäftigtenzahlen. Eine gewisse Einschränkung der Aussagekraft gibt es dadurch, dass in erster Linie börsennotierte Unternehmen aufgeführt werden. Nicht börsennotierte Unternehmen tauchen in der Global-500-Liste nur dann auf, wenn diese einen sogenannten Form-10-K-Geschäftsbericht veröffentlichen. Damit tauchen einige grosse Familienunternehmen und eine Reihe rein staatlicher Konzerne in der Liste nicht auf. Beispielsweise fehlt der grösste Ölkonzern der Welt, Saudi Aramco, dessen Umsatz und Profit nur geschätzt werden können.

Vergleichen wir die Jahre 1999 und 2011. Es handelt sich beide Male um Jahre mit einem deutlichen Wirtschaftswachstum und weltweit steigenden Gewinnen. Als Erstes fällt auf: Die Grossmacht Grosskapital hat heute ein nochmals deutlich grösseres Gewicht in der Weltökonomie als vor zwölf Jahren. 1999 lag der addierte Umsatz der Global 500 bei 12 700 Milliarden US-Dollar, im vergangenen Jahr waren es fast 2,5-mal mehr. Da sich im gleichen Zeitraum das weltweite Bruttoinlandsprodukt – ebenfalls in jeweiligen Preisen – «nur» gut verdoppelte, wuchs das Gewicht der Global 500 innerhalb der Weltwirtschaft.

Bei der Profitmasse ist die Steigerung nochmals grösser: Diese hat sich von 554 Milliarden auf 1631 Milliarden ziemlich exakt verdreifacht. Ebenfalls interessant sind die Beschäftigtenzahlen: 1999 hatten die 500 grössten Unternehmen knapp 44 Millionen Menschen auf ihren Lohn- und Gehaltslisten; 2011 waren es fast 64 Millionen. Das entspricht einer Steigerung um 45 Prozent. Im gleichen Zeitraum wuchs die Weltbevölkerung «nur» um 14 Prozent (von 6,1 auf 7 Milliarden). Bedenkt man, wie gross die Ausstrahlung dieser Unternehmen auf ihr jeweiliges Umfeld ist, dass also für jeden dieser Konzerne Hunderte Unternehmen als Zulieferer tätig sind, dann lässt sich mit Fug und Recht sagen: Die 500 grössten Konzerne der Welt sind für das Lohnarbeiterschicksal von einigen Hundert Millionen Menschen bestimmend. Damit ist auch klar: Die Gruppe der Global 500 spielt eine entscheidende Rolle im weltweiten Kapitalismus; sie ist für diesen prägend.

In der Global-500-Gruppe gibt es eine Reihe von Branchen, die zusätzlich – im bereits mächtig angeschwollenen Global-500-Kapital – an Gewicht gewonnen haben. Das trifft zu auf die Pharmakonzerne, auf die Gruppe Stahl-Maschinen-Bau (wozu auch Anlagenbau und Aluminiumerzeugung zählen), auf die Baukonzerne und auf die «Gesundheitsindustrie». Schliesslich gibt es eine neu zu den Global 500 vorstossende Gruppe mit Agrobusinesskonzernen. An Gewicht verloren haben vor allem die Sektoren Nahrungsmittel und Genuss, Telekommunikation und Handel. Wohlgemerkt: Auch diese Sektoren sind in der Regel absolut erheblich gewachsen; doch dieses Wachstum war geringer als dasjenige des gesamten Global-500-Kapitals.

Bis dahin deckt sich das bisher gezeichnete Bild mit anderen Beobachtungen: Es gibt weltweit einen gewaltigen Boom im Bausektor (Häuserbau, aber vor allem Anlagenbau, also neue Fabriken, Kraftwerke, Grossprojekte). Die Privatisierungen im Gesundheitssektor lassen die Ausgaben für Gesundheit und damit die Gesundheits- und Pharmakonzerne anschwellen. Die neoliberale Welle führt dazu, dass Löhne und Gehälter zurückbleiben, weswegen die Sektoren Nahrungsmittel und Genuss sowie der Handel, hier vor allem der Einzelhandel, zurückfallen.

Verzehnfachte Gewinnsumme

Überraschend ist die Tatsache, dass der Finanzsektor zwar auch erheblich, jedoch unterproportional wuchs und damit deutlich an Gewicht verlor – und zwar beim Anteil an den addierten Umsätzen ebenso wie beim Anteil an den Profiten.

Nun sprechen alle übrigen Anzeichen für das Gegenteil: Der Finanzsektor wuchs in der genannten Periode überproportional zum sonstigen Wachstum. Des Rätsels Lösung: Das überproportionale Wachstum der Finanzindustrie fand vor allem in den Bereichen statt, die von dieser Statistik nicht erfasst werden: bei den Hedgefonds, den Private-Equity-Gesellschaften, den sonstigen Fonds und den Schattenbanken aller Art.

Unübersehbar ist: Das grösste absolute Wachstum und damit auch die grösste Anteilssteigerung gab es bei den Öl-, Bergbau- und Rohstoffkonzernen. Die Zahl solcher Konzerne in der Global-500-Gruppe hat sich von 32 auf 73 erhöht. Der Umsatz wurde von knapp 1 Billion auf 6,5 Billionen Dollar um mehr als das Sechsfache gesteigert, die Gewinnsumme hat sich von 45 Milliarden auf 475 Milliarden gut verzehnfacht. Entsprechend stieg das Gewicht dieser «braunen» Konzerngruppe beim Umsatz von 7,8 Prozent im Jahr 1999 auf 22,1 Prozent 2011, bei den Profiten gar von 8,2 auf 29,2 Prozent.

Das deutlich gesteigerte Gewicht der Öl-, Bergbau- und Rohstoffkonzerne strahlt auf andere Branchen aus. Vor allem der Bereich «Energieproduktion und Energieversorgung» hat beim Global-500-Umsatz ebenfalls erheblich an Gewicht gewonnen. Bildet man eine Gruppe all derjenigen Unternehmen, die zu den «braunen» Wirtschaftszweigen und damit zur fossilistischen Wirtschaft zu rechnen sind, dann steigen im Jahr 2011 die Umsatzanteile dieser Gruppe am gesamten Global-500-Umsatz auf knapp vierzig Prozent und die Profitanteile sogar auf mehr als vierzig Prozent.

Es spricht leider sehr viel dafür, dass diese fossilistische Wirtschaft weiter an Gewicht gewinnt, also absolut und relativ wächst. Es ist fatalerweise sogar der hohe Ölpreis, der dazu beiträgt. Jüngst schrieb die deutsche «Wirtschaftswoche»: Oberhalb von achtzig bis neunzig US-Dollar pro Barrel Öl «rechnet sich derzeit jede Investition». Deshalb wird immer tiefer unter dem Meeresboden gebohrt, daher das teure, aber gigantische neue Gasmengen erschliessende Fracking-Verfahren zur Gasgewinnung, daher die grossen Investitionen zur Öl- und Gasgewinnung in der Arktis und in Alaska, letztere vor allem zur Gewinnung von Öl aus Ölsand.

Die fossilistische Wirtschaftsweise, ausgerechnet «the Ugly», befindet sich heute mehr denn je auf der Gewinnerseite. Ein Sieg dieses Wirtschaftsmodells hat verheerende Folgen; er stellt eine Niederlage für die menschliche Vernunft dar, und er entzieht jeder Solidarität den Boden. Eine Alternative ist notwendiger denn je – und diese Alternative bekommen wir nicht, ohne die real herrschende Wirtschaftsweise grundsätzlich infrage zu stellen, und nicht, ohne die Eigentumsfrage bei den Unternehmen der Global 500 und bei den hinter diesen stehenden Finanzkonzernen zu stellen.

Der Glaube an «the Good», an die Green Economy, zielt genau darauf ab, die tatsächliche Struktur des Weltkapitalismus zu ignorieren und die entscheidende Frage nach dem Eigentum an den grossen fossilistischen Kapitalgesellschaften nicht zu stellen.