Hilfsbusiness: Handliche Lampen für das Unglück
Ob Auto, Wein oder Esoterik – jedem Geschäft seine Messe. Da erstaunt es nicht, dass auch die internationale Hilfsgemeinschaft zum Branchentreffen lädt. Mit von der Partie: eine bunte Schar von Erfindern und Unternehmerinnen.
Niemand käme auf die Idee, auch nur einen Schluck der unappetitlich braunen Brühe zu trinken, die Michael Pritchard in den leuchtend gelben Kanister füllt. Dann betätigt er kurz die eingebaute Handpumpe – und aus dem Behälter sprudelt, wie von Zauberhand gereinigt, klares Wasser.
«Reines Trinkwasser», wie der Brite dem staunenden Publikum versichert. SkeptikerInnen verweist er an seinen Gewährsmann bei Oxfam. Die internationale Hilfsorganisation ist Kundin bei Pritchard. Sie setzt seine Wasseraufbereitungsgeräte in Katastrophengebieten und in der Entwicklungszusammenarbeit ein.
«Lass es patentieren»
Anlass für die Erfindung der «Lifesaver-Flaschen» seien Bilder notleidender Kinder nach der Tsunamikatastrophe von 2004 gewesen, erzählt Pritchard anlässlich einer Produktdemonstration an der Branchenmesse Aid Ex in Brüssel, bei der internationale Hilfsorganisationen und ihre ZulieferInnen zusammenkommen. Dass die Menschheit auf den Mond fliegen, aber in Notsituationen kein Trinkwasser aufbereiten kann, habe ihn so wütend gemacht, dass er eineinhalb Jahre in die Entwicklung seines Filtersystems investiert habe. Informationen über die Technik, die in seinen Wasserflaschen steckt, sind dem Erfinder nicht zu entlocken. Einen wertvollen Hinweis gibt er seinen ZuhörerInnen trotzdem mit auf den Weg: «Hast du eine gute Idee, lass sie patentieren! Sonst stiehlt dir einer das Geschäft.»
Lukrative Patente auf Produkte für Menschen in Not – das ist nicht, was man landläufig mit humanitärer Hilfe in Verbindung bringt. Die internationale Katastrophen- und Entwicklungshilfe ist heute jedoch zu einem globalen Wirtschaftsfaktor geworden. Das Hilfsbusiness unterscheidet sich kaum mehr von anderen Wirtschaftszweigen. Nur herrscht hier keine Krisenstimmung – die Spendenbudgets wachsen, und die nächste Katastrophe kommt bestimmt. Dies ist während der zweitägigen Aid Ex 2012 deutlich zu spüren.
So lässt Britannien in seinem Pavillon die staatliche Agentur für Entwicklungshilfe – gemeinsam mit der staatlichen Wirtschaftsförderung – für britische Unternehmen der Hilfsindustrie werben. Insgesamt 200 Betriebe buhlen an Ausstellungsständen und in Workshops um Aufmerksamkeit. Das Spektrum reicht vom Hygienebeutel über Kraftnahrung bis zu Stahlbrücken. Gut vertreten sind Autofirmen mit ihren neusten Geländewagen sowie die AnbieterInnen von Hightechkommunikationsgeräten und Logistiksoftware. Ein Publikumsmagnet ist das aufblasbare Feldspital von Ärzte ohne Grenzen. Mobile Spitäler für den Katastrophenfall sind aber auch als Container oder in Zeltform zu haben.
Weltweite Standards
Das Angebot an Investitionsmöglichkeiten für Spendengelder ist immens. Viele der AusstellerInnen sind schon lange im Geschäft. Wer grosse Hilfsorganisationen wie zum Beispiel das Rote Kreuz oder World Vision zu seinen KundInnen zählt, hat wertvolle Referenzen und Zugang zum Weltmarkt. Genau das erhofft sich auch Maurice Adema von seiner Präsenz an der Aid Ex. Normalerweise ist der Direktor von Sundaya Indonesia, einem Unternehmen, das günstige Solarlampen und Fernsehgeräte entwickelt, nicht gut auf Hilfswerke zu sprechen. «Dadurch, dass sie ihre Hilfsgüter gratis abgeben, machen sie uns den Markt kaputt», sagt Adema. Trotzdem ist er nach Brüssel gereist, um mit der Hilfsindustrie ins Geschäft zu kommen: «Unsere handlichen Lampen würden sich bestens für Katastropheneinsätze eignen.»
Von den Grossen der Szene sind auch Ärzte ohne Grenzen, das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sowie die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) mit eigenen Ständen vertreten. Letztere präsentiert ein kiloschweres Buch, das für alle ZulieferInnen, die mit der Organisation ins Geschäft kommen wollen, Pflichtlektüre ist. Darin aufgeführt sind weltweit gültige Vorgaben für sämtliche Hilfsgüter, die von der IFRC eingesetzt werden. Dank dieser Standardisierung, sagt IFRC-Cheflogistikerin Birgitte Olsen, sei ihre Organisation jederzeit in der Lage, im Katastrophenfall innert kürzester Zeit bis zu 450 000 Menschen zu versorgen.
Die Festlegung von Qualitäts- und Produktstandards entspricht einem Trend in der humanitären Hilfe, der von den professionellen Hilfsorganisationen vorangetrieben wird. Aus Sicht der KatastrophenhelferInnen ist es hilfreich, wenn sie bei jedem Einsatz, egal wo auf der Welt, mit den gleichen Instrumenten arbeiten und die gleichen Fertighäuser aufstellen können. Die Frage, ob dies auch den Bedürfnissen der sogenannt Begünstigten entspricht, wird an einem Podium an der Aid Ex zwar diskutiert – allerdings aber nicht beantwortet. Denn Direktbetroffene wurden zum Stelldichein der Hilfsindustrie in Brüssel nicht eingeladen.