Tierseuchengesetz : Schlimme und andere Seuchen
Die Abstimmung zum Tierseuchengesetz spaltet die Kreise, die sich sonst gemeinsam für eine ökologischere und tierfreundlichere Landwirtschaft einsetzen.
Was ist vom revidierten Tierseuchengesetz (TSG) zu halten? Diese Frage interessierte bis vor kurzem fast nur Bauern, Tierärztinnen und die gut vernetzte, ökologisch-esoterisch und oft auch rechts angehauchte Szene der ImpfgegnerInnen. Doch das Referendum kam zustande, am 25. November wird abgestimmt.
Die Konfliktlinien verlaufen ungewöhnlich: Der Bauernverband ist dafür, nicht aber seine fast immer verlässliche Partnerin, die SVP. Auch das links-grüne Agrarlager ist gespalten: Der Schweizer Tierschutz STS und die Grünen befürworten die Vorlage, die Kleinbauernvereinigung, Bio Suisse und Uniterre lehnen sie ab.
Der Wirbel um das TSG ist nur verständlich, wenn man die Vorgeschichte kennt: 2007 erkrankten in der Schweiz die ersten Rinder an der Blauzungenkrankheit, die oft relativ unproblematisch verläuft. Obwohl sie nicht als «hochansteckend» oder «auszurottend» eingestuft wurde, sondern nur als «zu bekämpfend», verfügte der Bund von 2008 bis 2010 ein Impfobligatorium. Viele BäuerInnen hatten nach der ersten Impfung Probleme mit ihren Tieren – Aborte, Abmagern, Kälbersterben – und weigerten sich weiterzuimpfen. Die Kantone reagierten unterschiedlich darauf: «Es hing stark von den Kantonstierärzten ab», sagt Martin Bossard, Leiter Politik bei Bio Suisse. «In manchen Kantonen wurden beide Augen zugedrückt, in anderen versuchten die Behörden sogar, Tiere zwangsweise abzutransportieren, es gab Bussen und Verfahrenskosten über Tausende von Franken.»
Heute ist die Schweiz blauzungenfrei – doch was genau geschah, bleibt umstritten: Untersuchungen zeigten, dass viele Tiere mit Impfschäden bereits aus anderen Gründen geschwächt waren. Das heisst aber nicht, dass die Impfung unproblematisch war: Sie kann genau jener zusätzliche Faktor gewesen sein, der die Tiere krank machte.
Umstrittene Impfstoffregelungen
Doch was hat das alles mit dem neuen TSG zu tun? Nicht viel, sagen Bundesrat und Bauernverband, die sich für einmal einig sind. «An den heutigen Regeln für eine Impfkampagne wird nichts geändert», betont Johann Schneider-Ammann. Die wichtigsten Neuerungen sind andere: Die Tierseuchenprävention wird mit Früherkennungs- und Überwachungsprogrammen gefördert, der Bund kann Impfstoffbanken betreiben und Impfstoffe gratis oder verbilligt abgeben (bisher war das Sache der Kantone). Neu sind Einsprachen gegen alle Verfügungen des Bundesamts für Veterinärwesen möglich. «Das sollten doch alle begrüssen», sagt Hansuli Huber vom Schweizer Tierschutz (STS).
Bio Suisse ist trotzdem dagegen. «Mit den neuen Impfstoffregelungen werden Zwangsmassnahmen logistisch vereinfacht. Die Versuchung für den Bund wird grösser, solche zu verfügen», sagt Martin Bossard. «Wir hätten erwartet, dass der Bund eine Lösung sucht, die mehr auf die Anliegen der Tierhalter eingeht. Wer entscheidet, welche Seuche wie schlimm ist? Wie werden die Halter einbezogen? Diese Auseinandersetzung hat nicht stattgefunden.»
Hansuli Huber vom STS versteht die GegnerInnen nicht: «Die Leute haben ein kurzes Gedächtnis. Es gibt schlimme Tierseuchen, niemand will Berge von brennenden notgeschlachteten Tieren sehen, und darum ist es enorm tierschutzrelevant, die Prävention zu verbessern. Das TSG gibt dem Staat Mittel für die Prävention in die Hand.»
Mit der Globalisierung steige das Risiko, dass Erreger eingeschleppt würden. Bei akuter Seuchengefahr könnten einzelne TierhalterInnen gar nichts tun. «Da müssen sie sich einschränken zugunsten des grossen Ganzen. Dafür braucht es eine zentrale Stelle, die die Seuchenbekämpfung leitet. Fehler passieren immer, auch der Staat macht vieles falsch, aber mir ist es lieber, er ist für die Seuchenbekämpfung zuständig und nicht die Pharmaindustrie oder sonst eine private Stelle», sagt Huber.
Mehr Mitsprache gefordert
Martin Bossard ist damit teilweise einverstanden: «Die Maul- und Klauenseuche zum Beispiel ist hochansteckend, da muss man anders vorgehen als bei der Blauzungenkrankheit. Wir sind nicht in jedem Fall gegen Zwangsmassnahmen, aber wir wollen sie beschränken auf wirklich schlimme Krankheiten.» Und das sei entscheidend: «Bei einer Seuche, die nur als ‹zu bekämpfend› eingestuft ist, soll der Tierhalter selber über Schutzmassnahmen entscheiden können.» Bio Suisse fordert auch, dass die TierhalterInnen bei der Einstufung der Seuchen einbezogen und bei Schäden, die durch Zwangsmassnahmen entstehen, einheitlich entschädigt werden.
Jene BefürworterInnen und GegnerInnen, die in diesem Abstimmungskampf differenziert argumentieren, stehen sich oft erstaunlich nahe. Sie unterscheiden sich fast nur darin, dass sie die positiven oder die negativen Aspekte des TSG stärker gewichten. Auch Huber räumt ein, dass das Impfen «überborden» könne: «In der EU wird zum Teil geimpft, um schlechte Haltungsbedingungen zu übertünchen.» Umgekehrt grenzt sich Bossard von GegnerInnen ab, die das Impfen generell verteufeln.
Und in einem sind sich wohl alle einig: «Wir sollten die Nutztiere nicht überzüchten, die Haltung verbessern, allen Tieren Zugang zu Bewegung und frischer Luft verschaffen. Das sind die Grundlagen jeder Prävention», sagt Huber. «Aber darüber stimmen wir nicht ab.»