Tierhaltung: Die andere Epidemie

Nr. 47 –

Die Afrikanische Schweinepest wütet auf fünf Kontinenten – und hinterlässt nicht nur Hunderttausende tote Tiere, sondern treibt auch die Kleinlandwirtschaft in den Ruin. In der Schweiz wird die Seuche vor allem Wildschweinen gefährlich.

Das Eintreten des Ernstfalls ist nur eine Frage der Zeit: Schweinepestübung bei Schönbühl im Kanton Bern.

Ein Bergungsschlitten bringt den Wildschweinkadaver an den Waldrand von Schönbühl im Kanton Bern. Am Fundort desinfiziert ein Mann im Schutzanzug die verwendete Ausrüstung. Der Tank auf seinem Rücken ist beeindruckend gross. Aber das Asfivirus ist auch robust: Im Waldboden kann es wochenlang, in gefrorenem Fleisch gar mehrere Monate überleben. Das Virus ist der Erreger der Afrikanischen Schweinepest, die für den Menschen ungefährlich ist, aber neun von zehn infizierten Haus- oder Wildschweinen innerhalb einer Woche tötet.

Die Szenen in Schönbühl sind Teil einer schweizweiten Übung, doch im Ernstfall wäre der Desinfektionsmittelexzess durchaus begründet. Und der Ernstfall ist nur eine Frage der Zeit: «Dass es in der Schweiz bisher keinen Ausbruch gab, ist Zufall», sagt Kaspar Jörge, Leiter Tierschutz im Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und verantwortlich für die dreitägige Schweinepestübung Anfang November.

Preiszerfall und Exportstopp

Europäer:innen haben der Afrikanischen Schweinepest Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Namen gegeben. In Ländern wie Südafrika gibt es zwar Lederzeckenarten, die das Virus verbreiten, zur weltweiten Bedrohung wurde die Tierseuche aber durch Menschen, die den Erreger auf Kleidern, in Lebensmitteln oder mit Nutztieren über weite Strecken transportierten. Während zwölf Jahren galt die Krankheit auf dem europäischen Festland als ausgerottet. Doch seit in Georgien 2007 ein neuer Virenstrang auftauchte, hat sich die Afrikanische Schweinepest wieder rasant ausgebreitet. Auch in die Europäische Union: Dieses Jahr meldeten die Behörden in Deutschland, Polen und Ungarn je 2500 Fälle bei Wildschweinen. Und Mitte November kam es bei Rostock erstmals in Deutschland zum Ausbruch in einer Schweinemast. 49 Tiere starben an der Seuche, die übrigen 4000 wurden zur Eindämmung getötet.

Während Jörger am Waldrand Medienfragen beantwortete, spielten seine Kolleg:innen im Berner Büro ein Rollenspiel: Was passiert, wenn nach einem Ausbruch in der Schweiz niemand mehr Schweinefleisch kauft? Dann würden die Preise zerfallen, an Export wäre auch nicht zu denken. Tierseuchen, auch für den Menschen unbedenkliche, rufen in der Bevölkerung Ängste hervor und verändern den Konsum. Die Aufgabe der Beamt:innen in diesem Szenario war deshalb, Schweinemastbetriebe davon zu überzeugen, ihre Tiere trotzdem nach Plan zu schlachten. Diese Überzeugungsarbeit solle das Tierleid minimieren, sagt Jörger: «Die Schweine wachsen weiter, der Stall wird zu klein – wir haben ein Tierschutzproblem.» Schon mit wenigen Wochen Verzug bleibt den Tieren kein Platz mehr.

Da die Schweinepest für Menschen ungefährlich ist, interessiert sich die Menschheit vor allem aus wirtschaftlichen Gründen für das Thema. Die Ausbrüche der letzten Jahre sorgten weltweit für Hunderte Milliarden US-Dollar Verluste in der Fleischindustrie. Der weltweite Hausschweinebestand pendelt zwischen 700 und 800 Millionen Tieren. Die Hälfte davon lebte in China. In der heftigen Schweinepestepidemie 2018/19 starben bis zu 200 Millionen Tiere. Weil es weder Medikamente noch eine Impfung gibt, ist die Massentötung das Mittel zur Eindämmung der Seuche.

Die Schweinepest hat Chinas Bruttoinlandsprodukt 2019 um fast ein Prozent geschmälert. Die Preise brachen ein – und damit auch die Einkommen all jener Menschen, die beruflich vom Schweinefleisch abhängig sind. Die Investitionen für erhöhte Biosicherheitsstandards konnten sich die ruinierten Kleinfarmer:innen erst recht nicht mehr leisten. Derweil bauten Konzerne «Schweinehotels»: Hochhäuser, in die bis zu 120 000 Tiere gepfercht sind und in denen Roboter automatisiert füttern und die Körpertemperatur messen. Bis 2018 stammte nur etwa ein Prozent des chinesischen Schweinefleischs aus Betrieben mit mehr als 500 Tieren. Nach der Schweinepestwelle haben Tierfabriken ihren Marktanteil auf 57 Prozent erhöht. Auch in anderen Ländern, etwa in Estland und der Dominikanischen Republik, stieg der staatliche Druck auf die Hinterhof- und Kleinfarmen durch teure Biosicherheitsstandards so sehr, dass diese Schweinehaltung am Verschwinden ist.

Unkontrollierte Konzerne

Die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) wie auch das Friedrich-Loeffler-Institut, das zuständige Forschungsinstitut in Deutschland, sehen «Kleinhaltungen» als Treiber der Tierseuche. Die NGO Grain, die sich für den Kleinbauernsektor einsetzt, kommt zu gegenteiligen Schlüssen. Devlin Kuyek von Grain sagt: «Die meisten Tiere sterben in der industrialisierten Landwirtschaft.» Die vielen Ausbrüche auf Kleinfarmen beträfen oft wenige Tiere und könnten meist eingedämmt werden. Doch die Krankheit weite sich immer dann zur Epidemie aus, wenn sie in den «aggressiven Tierfabriken» auftrete, die sich ihrer klinischen Biosicherheit rühmten.

In Südwestrussland war etwa Schweineblut kontaminiert, das in Grossbetrieben verfüttert worden war. Auch in China ist das Virus in industriell produziertem Tierfutter, Blut und Proteinpulver nachgewiesen worden. «Aber weil die Behörden die Fleischkonzerne nicht unter Kontrolle bekommen, schaffen sie den Kleinen unüberwindbare Hürden.» Frei laufende Schweine haben unkontrolliert Kontakt mit Artgenossen. Kuyek bestreitet nicht, dass Kleinbetriebe ihre Tiere einzäunen sollten.

Gerade solchen Betrieben würde auch eine zahlbare Impfung helfen. Doch bis jetzt ist kein Impfstoff zugelassen; der vielversprechendste befindet sich im Experimentalstadium. «Ohnehin bin ich unsicher, ob die grossen Konzerne impfen würden», so Kuyek. Ein Fleischlobbyist in Russland habe ihm gesagt, die Impfung würde sich gar nicht lohnen. In diesem Aspekt kommt das Friedrich-LoefflerInstitut zu einem ähnlichen Schluss: Die «Akzeptanz eines Impfstoffeinsatzes in der Schweineproduktion» sei «fraglich», denn eine Impfung ginge mit «Handelseinschränkungen» einher.

Prügelknabe Wildschwein

Schweineblut zu verfüttern, ist in der Schweiz verboten, und die Behörden gehen auch nicht gegen Freilandhaltung vor. Barbara Früh vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) sagt, sie erlebe von den Behörden keinen Druck gegen Biobetriebe. Das BLV kläre auf. «Aber niemand fordert, die Tiere einzusperren», sagt Früh. In einem eben beendeten westeuropäischen Forschungsprojekt zu «Resilienz in der Bioschweinehaltung», dessen Leitung Früh für die Schweiz innehatte, zeigte sich die Afrikanische Schweinepest als grösste Sorge unter Bioschweinehalter:innen. Die Unterschiede seien aber gross. Je breiter ein Betrieb aufgestellt sei, desto resilienter sei er und desto entspannter blicke man in die Zukunft. Allgemein fürchte man laut Früh in der Schweiz weniger die zusätzlichen Biosicherheitsmassnahmen bei einem Ausbruch unter Wildschweinen als die «Marktbereinigung», die ein solcher auslösen würde.

Dass Wildschweine die Verbreitung des Virus befördern, ist eine Tatsache. Viele Massnahmen zielen auf Wildschweine ab. Polen und Südkorea etwa jagten sie mit Polizei und Armee. Und die Schweinemastnation Dänemark baute einen Zaun an der Grenze zu Deutschland, der die Wildschweine am Übertritt hindern soll. Beide Taktiken sind relativ hilflos: Wildschweine sind gute Schwimmer, und die massenhafte Jagd sorgt womöglich bloss dafür, dass die Tiere grössere Distanzen überwinden – und so auch das Virus verbreiten. Gleichzeitig bewältigt das Virus aber auch immer wieder Distanzen, die nur durch menschliche Aktivitäten erklärbar sind.

Wildschweine, selbst am gefährdetsten, sind allerdings willkommene Prügelknaben: Der Landwirtschaft gelten sie ohnehin als Schädlinge, weil sie etwa Maisfelder zerstören. Der Schweinemastverband Suisseporcs fordert wegen der näherrückenden Afrikanischen Schweinepest seit Jahren die Bejagung von Wildschweinen «mit allen Mitteln».

Kein Umdenken

«Die Wildschweine sind Gärtner des Waldes», sagt hingegen Martin Gisin, Jagdleiter im Baselbieter Revier Buus. Sie würden Mäuse, Aas, Larven und Schädlinge wie den Engerling fressen, den Boden auflockern und damit Pflanzen bei der Samenverbreitung unterstützen. «Mit ihrem Wühlen leisten sie einen Beitrag zur Artenvielfalt.» Denn ähnlich wie in der Landwirtschaft solle auch der Waldboden nicht zu intensiv bewirtschaftet sein. Gisin, der in mancher Jagdsaison keinen einzigen Schuss abgebe, sagt aber auch: «Natürlich muss man die nötigen Massnahmen gegen die Seuche treffen.» Die Jäger:innen würden höhere Abschusszahlen erfüllen, sobald sie die Behörden dazu veranlassen.

Als Gisin vor etwa zwanzig Jahren seine Jagdprüfung ablegte, gab es in der Region noch keine Wildschweine. Die Tiere mögen milde Winter; mit der Klimaerwärmung wachsen ihre Population und ihre Verbreitung in ganz Europa. Der Jäger sagt, eigentlich brauche es die Regulation durch Jagd nur deshalb, weil der Mensch Raum einnehme und Nahrungsquellen schaffe. Aber er habe auch das Gefühl, dass sich die Gesellschaft ändere: Der Fleischkonsum werde wohl weiter sinken, zumindest ein bisschen. In der Schweiz würden Gisins Gefühl nach viele ihre Kaufentscheidungen mit einem Nachhaltigkeitsbewusstsein treffen. Er sagt: «Das naturnahste Fleisch stammt aus dem Wald – oder aus tiergerechter Haltung.»

Zum grossen Umdenken ist es bisher noch nicht gekommen. Nur gut 42 000 von 2,5 Millionen letztes Jahr geschlachteten Schweinen wurden nach Bio-Suisse-Standard gehalten. Mehr als zwei Drittel kamen aus labelfreier Schweinemast.